Wirtschaft

Migration

Die Gründerinnen

Frauen mit Migrationshintergrund werden in Deutschland Unternehmerinnen – und machen ihre Herkunft zum Wettbewerbsvorteil.
Von Bettina Weiguny
Vier Frauen, vier Geschichten: Nuray Celedir-Massini, Sevgi Karaman, Adriana Castillo, Samiro Charkaoui (v.l.n.r.) privat, Frank Röth

Es gibt viele gute Gründe, als Türkin, Argentinierin oder Marokkanerin in Deutschland kein Unternehmen zu gründen. Die häufigsten Argumente gegen die Selbständigkeit lauten in etwa so: Das gibt nur Probleme, schon wegen der Sprache; durch die deutsche Bürokratie blickt kein Ausländer durch; die Behörden gängeln einen nur; Frauen bekommen eh keine Finanzierung, werden nicht ernst genommen. Und dazu noch ein ausländischer Nachname?

Das kann nur schiefgehen. Oder nicht? Die Gründerinnen-Initiative Jumpp aus Frankfurt ist dieser Frage zusammen mit der Bank of America nachgegangen und hat in einer Studie Unternehmerinnen mit Migrationshintergrund dazu befragt. Die Ergebnisse sind erstaunlich. Denn die meisten Befragten fühlen sich offensichtlich wohl in ihrer Haut als Selbständige. Sie sehen sich als Migrantinnen nicht benachteiligt. Im Gegenteil: Mehr als ein Drittel (34 Prozent) empfindet die ausländische Herkunft sogar als Vorteil. Nur fünf Prozent der Frauen sehen sie als Nachteil an. Die anderen Teilnehmerinnen führen sowohl Vor- als auch Nachteile (29 Prozent) auf ihre Herkunft zurück oder haben dazu keine Meinung (32 Prozent), weil die Herkunft für sie keine Rolle spielt – was ja auch ein gutes Zeichen ist.

„Die Behörden waren sehr entgegenkommend“
Und sie vergeben sogar gute Noten an die deutschen Behörden. So machte die Stimm- und Sprachtherapeutin Sevgi Karaman positive Erfahrungen, als sie vor drei Jahren das Frankfurter Institut für Stimm- und Sprachstörungen übernahm. „Die Behörden waren sehr entgegenkommend“, berichtet sie. „Sie haben mich unterstützt bei den Anträgen für die Zulassung und mir immer wieder Zeit eingeräumt, wenn sich etwas verzögert hat.“ Der Schritt war ein Wagnis für die heute 54-jährige gebürtige Türkin. Denn die Praxis, in der sie freiberuflich arbeitete, war zu dem Zeitpunkt defizitär, hatte 15 Mitarbeiterinnen, von denen nicht klar war, wie viele bleiben oder abwandern und Kunden mitnehmen würden. „Das hat mir schlaflose Nächte bereitet.“ Aber sie wollte sich auch beweisen. Mit zehn Jahren war sie nach Mannheim gekommen, hatte Abitur gemacht, angefangen Medizin zu studieren. „Dann war ich schwanger mit Zwillingen und habe das Studium abgebrochen.“ Aber nur Hausfrau, das war ihr zu wenig. Deshalb hat sie eine Ausbildung zur Logopädin gemacht.

Jetzt ist sie zwar keine Ärztin, aber Chefin. In ihre Praxis kommen viele Migranten. Denn egal, ob nach einem Schlaganfall oder bei Parkinson, das Sprachsystem lasse sich am leichtesten in der Muttersprache aktivieren. Das Gleiche gilt für sogenannte „late talker“, Kinder aus Migrationsfamilien, die sehr spät beginnen zu sprechen. „Die schubsen wir hier an, der Rest kommt dann von allein.“ Deshalb hört man in Karamans Praxis viele Sprachen – Deutsch, Türkisch, Portugiesisch, Serbokroatisch, Französisch, Englisch. „Die gemeinsame Sprache ist wie eine Brücke, unsere Klientel fühlt sich dadurch angenommen.“

Alleinstellungsmerkmal Migrationshintergrund
Ein anderes Beispiel ist Nuray Celedir-Massini. Die Türkin sagt sogar: „Mein Background ist mein USP.“ Also ihr Alleinstellungsmerkmal, das ihr eine lukrative Nische als Selbständige eröffnet. Die Anwältin mit eigener Kanzlei in Frankfurt ist in der Türkei geboren. Sie war fünf Jahre alt, als die Eltern mit ihr von Anatolien nach Deutschland zogen. Ihr Vater fand in Wuppertal Arbeit in einer Fabrik. Nuray war von da an „das Gastarbeiter-Kind“. Aber eines mit Potential. „Meine Lehrer haben mir immer gesagt: Nuray, du machst mal Abitur und studierst.“ Das hat sie gemacht, und zwar Jura.

Seit sie sich 2013 selbständig gemacht hat, berät sie mit ihren Kolleginnen auf der einen Seite deutsche Firmen, die in der Türkei Fuß fassen wollen, sich aber mit dem Niederlassungsrecht dort nicht auskennen. Auf der anderen Seite unterstützt sie türkische Unternehmer aus der Immobilien- und Baubranche, die hierzulande Rechtsstreitigkeiten haben. „Die sind froh, wenn sie ihr Problem jemandem in der Muttersprache schildern können, der nicht gleich denkt: Was streiten die Türken sich denn schon wieder?“ Die meisten Kunden kommen über Mund-zu-Mund-Propaganda zu ihr, immer wieder aber stoßen Mandanten auch bei Google auf ihre Homepage. „Die sehen meinen türkischen Namen und denken: Die kann uns helfen, die kennt beide Seiten.“

Zugewanderte krempeln das Land um
Momentan scheint es so, als seien es vor allem Zugewanderte, die das Land umkrempeln und die Wirtschaft vorantreiben. Man denke nur an das Forscherehepaar Özlem Türeci und Ugur Sahin, denen in Mainz mit BioNTech der große Durchbruch beim Corona-Impfstoff gelang. Beide haben türkische Wurzeln, sind als Kinder nach Deutschland gekommen.

Jeder fünfte Unternehmer in Deutschland hat laut einer Bertelsmann-Studie inzwischen ausländische Wurzeln. Seit 2005 ist die Zahl ihrer Neugründungen um ein Drittel auf fast 800 000 gestiegen. 2,3 Millionen Menschen finden hier eine Arbeit. Darunter fallen Dönerbuden und Gemüsehändler, aber auch Baufirmen, Dienstleister und innovative Tech-Firmen. Auch einige der wertvollsten Berliner Startup-Firmen gehen auf ausländische Konten. Hinter dem Gebrauchtwagen-Händler „Auto1“ steht ein gebürtiger Türke genauso wie hinter „Gorillas“, einem Express-Bringdienst, dessen radelnde Truppen die Städter mit frischen Lebensmitteln versorgen. Gerade haben sie eine knappe Milliarde Dollar an Investorengeldern eingesammelt – unter anderem von Delivery Hero, einem Essens-Auslieferer, der von einem Schweden mitgegründet wurde und mittlerweile ein Dax-Wert ist. Die Idee zu Research-Gate, einer Datenbank für wissenschaftliche Publikationen, stammt von einem syrischen Flüchtlingskind aus Wolfsburg. Und das Reiseportal Omio, mehr als eine Milliarde Euro wert, hat ein Inder gegründet, der von Bangalore über die Harvard Business School und die Wall Street schließlich an die Spree gekommen ist.

Hin und her zwischen zwei Welten
Die Migranten haben deutschstämmigen Gründern einiges voraus. Sie sind tendenziell risikofreudig und fühlen sich in verschiedenen Welten heimisch. So beschreibt Adriana Castillo ihre Herkunft aus einem anderen Kulturkreis als großes Plus. Die Argentinierin ist zum Master-Studium nach Nürnberg gekommen, hat sich verliebt und ist in Deutschland geblieben. Sie arbeitete einige Zeit im Marketing für die Automarke Mini, hatte dann aber Probleme wegen ihres argentinischen Passes. „Bei jeder Bewerbung musste ich beweisen, dass ich besser und qualifizierter für die Stelle bin als alle anderen Bewerber.“ Schließlich kam ihr altes „Händlerinnen-Gen“ in ihr durch. „In meiner Verwandtschaft sind alle irgendwie Händler.“ Sie machte sich 2019 selbständig mit Tashay, einem Online-Shop für nachhaltige Mode. Jetzt gerade hat sie Hochsaison: Im Winter verkaufen sich ihre Ponchos aus Lama-, Alpaka- und Merinowolle wie am Schnürchen. Anders als im Sommer, den verbringt die Unternehmerin deshalb gerne in Südamerika, um Kontakte zu Handwerksbetrieben, Bauern und Wollhändlern zu knüpfen und sich an Ort und Stelle ein Bild von der Qualität der Naturprodukte, der Produktionsweise und den Arbeitsbedingungen zu machen. „Ich kenne jeden Handelspartner persönlich, und da ich eine von ihnen bin, nehmen sie mich ernst.“ So reist sie hin und her zwischen zwei Welten: dem Land, in dem sie aufgewachsen ist, und ihrer neuen Heimat in Deutschland. Ihr Mann hilft ihr beim Papierkram. „Dabei ist Deutschland eigentlich total unkompliziert. Man besorgt sich einen Gewerbeschein – und legt los.“ Aus Südamerika ist sie ganz andere Hürden gewohnt.

Bisher hat Castillo ihre Ersparnisse in den Aufbau ihres Mode-Labels gesteckt. Jetzt sucht sie Investoren. Bei der TV-Show „Die Höhle der Löwen“ hat sie sich schon angemeldet, obwohl Carsten Maschmeyer und seinen Mitstreitern nachgesagt wird, bei Bewerberinnen ungern die Geldbörse zu öffnen. So haben sie interessante Geschäftsideen schon abgelehnt, weil es reine „Frauen-Produkte“ seien, und einer Gründerin geraten, sich lieber eine Frau als Investorin zu suchen. Was leichter gesagt als getan ist.

Wagniskapitalgeber sind fast ausschließlich Männer
„Hier gibt es Nachholbedarf in Deutschland“, sagt der Deutschlandchef der Bank of America, Armin von Falkenhayn. „Es muss mehr Kapital an Gründerinnen fließen.“ Allerdings werden die Wagniskapitalgeber in Deutschland laut Boston Consulting Group fast ausschließlich (zu 96 Prozent) von Männern geführt – und Männer fördern Männer. In der Regel nicht aus böser Absicht, um die Frauen kleinzuhalten. Sondern wegen eines „unconscious bias“, wie die Soziologen es nennen, also der unbewussten Bevorzugung des gleichen Geschlechts. So landen 90 Prozent der Investments bei männergeführten Firmen und erhalten bessere Ratings, obwohl sie – auch das haben Studien gezeigt – im Schnitt eine niedrigere Rendite erwirtschaften als Frauen.

Die finanzielle Benachteiligung bringen in der Jumpp-Studie mehrere Unternehmerinnen zur Sprache. Sie erwähnen auch andere Nachteile: Fehlende Netzwerke aus Schul- und Studienzeit gehören dazu, aber auch Rassismus. „Der Tenor der Frauen lautet dann: Wir haben es trotz unserer Herkunft geschafft“, sagt die Studien-Leiterin Unica Peters. „Das ‚trotz‘ muss weg. Wer die Nase rümpft über den Akzent einer Person, sollte bedenken, dass diese mindestens zwei Sprachen spricht und den Beruf in einer Fremdsprache ausübt. Das verdient Respekt.“

„Ich sehe mehr Farben als meine deutschen Freunde“
Die schärfste Kritik kommt in der Umfrage von einer russischen Unternehmerin, die nach eigenen Angaben häufig rassistische Aussagen zu hören bekommt, zum Beispiel, dass sie sicherlich Wodka-trinkfest sei und für die Mafia oder den KGB arbeite. „Ich musste schon als Kind mit Diskriminierung klarkommen.“ Allerdings gibt sie auch an: Aus den negativen Erfahrungen lasse sich ein Vorteil ziehen. „Dazu muss man bereit sein, sich die Anerkennung hier hart zu erarbeiten.“

So sieht es auch Samira Charkaoui. Die Marokkanerin hätte als Kind nie gedacht, dass sie ihre Herkunft mal als Vorteil empfinden würde. „Aber es ist so. Ich sehe mehr Farben als meine deutschen Freunde“, sagt Charkaoui. Ihre Mutter wurde in Casablanca zwangsverheiratet, folgte dem Mann nach Deutschland, hat hier – in ständiger Angst – die Trennung durchgefochten. („Wir mussten gegen unseren Vater aussagen vor Gericht, haben als Kinder nie unseren Namen am Telefon nennen dürfen“.) Das alles habe sie durchsetzungsstark gemacht, sagt Charkaoui heute. „Meine Chefs wussten immer: Ich bin doppelt motiviert, nehme jede Herausforderung an, was vielleicht an den arabischen Genen, sicher aber an meinem Werdegang liegt.“ Sie hat Industriekauffrau gelernt, als Stewardess gearbeitet, anschließend Marketing und Kommunikationswissenschaften studiert, und 15 Jahre Compliance-Lösungen auf Vorstandsebene installiert.

„All die Jahre über hat mich schockiert, wie viel Kraft und Produktivität den Unternehmen durch Mobbing verloren gehen“, berichtet sie. Daraus entstand ihre Geschäftsidee: das „ESG Institut“, das Führungskräfte und Mitarbeiter darin schult, Mobbing frühzeitig zu erkennen oder vorzubeugen. „Mobbing kostet die Wirtschaft laut einer KPMG-Studie 30 Milliarden Euro im Jahr“, sagt Charkaoui. Da sieht sie Handlungsbedarf. Nun rennt man mit dem Thema Mobbing zwar keine offenen Türen in den Firmen ein, aber Charkaouis Kunden erhalten für die erfolgreiche Teilnahme an den Workshops ein ESG-Zertifikat. „Alle Firmen müssen nachhaltig werden, die Agenda 2030 ist der Ruf der Zeit. Das hat man auch in den Vorstandsetagen verstanden.“

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