Auszeichnung:Gewaltige Bildchen

Matthias Schultheiss bekommt im Rahmen des Comic-Festivals den Peng!-Ehrenpreis für sein Lebenswerk

Von Jürgen Moises

Ein Mann mit einem Propeller auf dem Rücken und in der schützenden Haut eines Delfins. Ein Motorrad-Ninja, ein technisches Genie im Rollstuhl. Und dann ist da noch ein großer, blonder Musiker, aus dessen Umhängekeyboard Blitze schießen. Das ist die Mannschaft, die Matthias Schultheiss in "Propellerman" in einer dystopischen Zukunftswelt ins Feld gegen ein übermächtiges Regime schickt, das ein fieses Spiel mit dem menschlichen Bewusstsein treibt. Man könnte nun sagen: Das klingt etwas seltsam. Aber so verrückt auch wieder nicht, wenn man an andere US-Superhelden-Comics denkt. Denn in den USA ist "Propellerman" 1993 in acht Teilen erschienen. Und zwar als Versuch des deutschen Zeichners Schultheiss, sich auf dem amerikanischen Comic-Markt zu etablieren.

Matthias Schultheiss

Matthias Schultheiss - Peng!-Ehrenpreisträger 2019.

(Foto: Matthias Schultheiss/Comic-Festival)

Die Chance dazu hatte ihm der Verlag Dark Horse Comics gegeben, der damals auch Größen wie Frank Miller unter Vertrag hatte. Diese Tatsache allein kam bereits einer Art Ritterschlag gleich. Zudem war Amerika für den 1946 in Nürnberg geborenen Künstler schon als Kind eine Art Sehnsuchtsland, und das prägt an vielen Stellen auch sein Œuvre. Beim Comic-Festival München sind noch bis einschließlich Sonntag ausgesuchte Beispiele daraus in der Alten Kongresshalle zu sehen. Der Anlass: der Peng!-Ehrenpreis für das Lebenswerk, den der 72-Jährige, der nach einem Illustrations-Studium und vielen Jahren in Hamburg in der schleswig-holsteinischen Provinz lebt, am Samstag erhält.

Matthias Schultheiss

Outlaws in Farbe: 1991 erschien "Charles Bukowski. A couple of winos".

(Foto: Matthias Schultheiss/Comic-Festival)

"Trucker", sein erster, 1981 im "Comic-Reader" erschienener Comic, das ist so eine amerikanische Geschichte. Über einen Lastwagenfahrer, den eine unbestimmte Sehnsucht nach Freundschaft und Liebe in Abenteuer treibt, die ihn und seine Familie zerstören. Bald darauf setzte Schultheiss Kurzgeschichten von Charles Bukowski als Comics um und lernte Michel Albin vom französischen Magazin L'Écho des Savanes kennen. Der brachte 1985 den international beachteten Dreiteiler "Le théorème de Bell" heraus. Eine düstere Science-Fiction-Parabel, in der ein Mann nach der Flucht aus dem Gefängnis in ein Parallel-Universum gerät und deren deutsche Übersetzung ("Die Wahrheit über Shelby") Schultheiss 1986 den Max-und-Moritz-Preis als bester deutschsprachiger Comic-Künstler einbrachte.

Mit der modernen Piraten-Serie "Die Haie von Lagos" um den skrupellosen Seemann Patrick Lambert folgt dann der nächste Paukenschlag. Die Drastik, mit der Schultheiss hier von Korruption, Machtgier und Raubbau erzählt, ist Ende der Achtzigerjahre einzigartig in der deutschen Comic-Welt, in der "Werner" oder "Der bewegte Mann" als Erwachsenen-Comics gelten. Die Gewaltdarstellung bringt Schultheiss in Deutschland Kritik ein. In Italien bekommt er 1990 den Comic-Preis Yellow Kid, 1992 beim Festival in Angoulême als erster deutscher Comiczeichner eine Werkschau. Nun werden auch Amerika und Japan auf ihn aufmerksam. Aber: Der "Propellerman" floppt, gilt als zu lyrisch und zu wenig actionlastig für das US-Publikum. Und der Vertrag für "Zentrum des Wahnsinns", ein für den japanischen Markt gedachter 700-Seiten-Manga, wird nach 400 fertigen Seiten gekündigt.

Matthias Schultheiss

Das Cover für "Trucker" gestaltete Matthias Schultheiss 1989 für die Carlsen-Ausgabe.

(Foto: Matthias Schultheiss/Comic-Festival)

Wie weit das Projekt gediehen war, davon bekommt man auf matthias-schultheiss.de unter "Unveröffentlichte Comicbooks" einen Eindruck. Allgemein sei ein Besuch der Website empfohlen, die neben Infos und Gedanken zu den Comics auch Tutorials sowie Auszüge aus einem im Entstehen befindlichen Roman bereithält. Eine Road-Novel, wie sie im Grunde auch der Comic "Reise mit Bill" darstellt, mit dem sich Schultheiss nach einer 15-jährigen Auszeit, in der er als TV-Drehbuch-Autor tätig war, 2010 zurückgemeldet hat. Das Manuskript für die einfühlsam erzählte Vater-Tochter-Geschichte lag 30 Jahre in der Schublade. Ganz anders, das heißt bizarr, provokativ, dann 2011 der Comic "Daddy", in dem Jesus zurück auf die Erde kommt und zum Heroin-Junkie wird.

In den vergangenen Jahren führte Schultheiss mit Band 4 und 5 "Die Haie von Lagos" weiter. Mit einem digitalen Tablet. Vorher arbeitete er meist mit Gouache- oder Temperafarben, die er sehr verschieden einsetzte und seinen Stil immer wieder neu seinen Geschichten anpasste. In der thematisch arrangierten Ausstellung und im zugehörigen Katalog ist das etwa im Kapitel "Atmosphäre" gut zu sehen. Aktuell sitzt Schultheiss am sechsten und angeblich letzten Teil der "Haie", der 2020 erscheinen soll. "Jackpot" soll er heißen. Das passt doch irgendwie zum Peng!-Preis.

Peng!-Preisverleihung, Samstag, 22. Juni, 21 Uhr, Alte Kongresshalle, Theresienhöhe 15. Die Ausstellung ist dort noch am Samstag (10-19 Uhr) und Sonntag (10-18 Uhr) zu sehen

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