Deleuze meets Prinzessin Mononoke – „Sumpfland“

Vorweg: „Sumpfland“ ist keine kohärent erzählte Story, sondern ein Kniefall vor der Kunst diskontinuierlichen Erzählens: In mehr als zwei Dutzend mintgrün eingefärbten Episoden erzählt Moki die Abenteuer verschiedener Figuren, die allesamt nichts miteinander zu tun haben, außer in derselben Welt mit ähnlichen Problemen konfrontiert zu sein.

Es beginnt mit zwei bärenartigen Wesen, deren Älteres dem Kind beibringt, aus Zweigen Pfeile und Bogen zu fertigen. Sie abenteurern durch den Wald, entzünden ein Lagerfeuer und übersehen in ihrem Müßiggang, dass sie die Umwelt mit ihrem Abfall belasten und Tiere mit ihren Pfeilen verletzen. Die Geschichte um Fantasiefuchs Puffi und den baseball-cap-tragenden Skater Aldi handelt von den Kommunikationsproblemen zweier Partner, die konsequent falsch verstehen, was der andere richtig meint. Als die beiden Zankäpfel schließlich Flocken, die Sumpfland-Variante von Kindern, bekommen, verschärfen sich diese Schwierigkeiten noch, und es hilft auch nicht, dass der in einem Eichelhaus lebende Zen-Bär Mungu Beziehungstipps via Smartphone sendet. Zumindest nicht sofort – sein Rat an Aldi, Flocke für das zu lieben versuchen, was sie ausmache, scheint schließlich doch zu fruchten. Noch zu erwähnen sind die formverändernden Krakenwesen, die einander zunächst fröhlich-unbeschwert zur Systemkonformität erziehen („Wachstum, Wachstum, Wachstum“) und sich erst langsam davon emanzipieren: Kant lesend und Deleuze zitierend bilden sie eine neue Gemeinschaftsform unter neuen Prämissen: „Wollen wir zusammen schrumpfen?“

Moki (Autorin und Zeichnerin): „Sumpfland“.
Reprodukt, Berlin 2019. 164 Seiten. 20 Euro

Die 1982 in Hamburg geborene Moki hat bereits eine längere Comicbiografie vorzuweisen, wenngleich auch keine allzu dichte. Die Künstlerin hat in den nuller Jahren bereits in Anthologien wie „Spring“ oder „Orang“ veröffentlicht, und 2006 wird sie in den Annalen des derzeit kriselnden ICOM-Preises erwähnt: Für ihre Kurzgeschichte „Borderland“, abgedruckt in „Panik Elektro #3: Lovestories“, wurde sie in der Kategorie „Herausragendes Artwork“ bedacht: „Die Jury war sich zuerst nicht einig darin, ob ‚Borderland‘ […] im strengen Sinne ein Comic ist oder nicht. Eine durchgehende Geschichte ist auf den ersten Blick zwar nicht auszumachen, wiederkehrende Figuren, Handlungsablaufe und eine gewisse Dramaturgie dagegen schon.“ Das gilt gleichermaßen für „Sumpfland“. Sie erhielt den Preis vor allem für „die atmosphärische Dichte der Bilder und das faszinierende und geheimnisvolle Wechselspiel zwischen den ‚niedlichen‘ Figuren und ihrer bedrohlich und bedroht wirkenden Umgebung“. Ebenfalls 2006 erhielt sie für „Asleep in a foreign place“ den Comicpreis Sondermann in der Newcomer-Kategorie.

„Wandering Ghost“, 2011 bei Reprodukt erschienen, ist leicht als „Sumpflands“ Vorgänger zu identifizieren: In der 88-seitigen Coming-of-Age-Story handeln ähnlich aussehende Figuren, und die Schwierigkeiten von Veränderung stehen hier im Fokus. So auch in „Sumpfland“, das mit folgenden Zeilen beginnt: „Irgendetwas stimmt nicht. Irgendetwas stimmt nicht mit mir. Etwas wächst in mir. Etwas geht vor sich.“ War „Wandering Ghost“ noch völlig wortlos, verzichtet „Sumpfland“ nur episodenweise auf sprachliche Unterstützung.

In einem Interview nennt Moki als einen ihrer Einflüsse die japanische Bildsprache des Studio Ghibli, vor allem den Anime „Prinzessin Mononoke“ (1997) von Hayao Miyazaki, dessen „Chihiros Reise ins Zauberland“ (2001) hierzulande noch erheblich erfolgreicher war. Die Ähnlichkeiten betreffen die Landschaftsszenen wie auch die fantastischen Wesen, die darum herumspuken.

Insofern alles mit allem zusammenhänge, diese Verbindungen aber nicht sofort sichtbar seien, darin besteht die von Moki als „rhizomatisch“ (Deleuze/Guattari) beschriebene Erzählweise, und tatsächlich erschließen sich manche Szenen erst nach der zweiten Lektüre. Ob es dann aber eine dritte und vierte braucht, um weitere Schichten freizulegen, sei dahingestellt. Die (ökologischen, ökonomischen, sozialen …) Botschaften, die „Sumpfland“ transportieren möchte, liegen offen zutage, und die Naivität der kindlichen Flocken bleibt manches Mal schlicht: „Warum werden die Reichen reicher und die Armen ärmer?“

Ohne Frage, „Sumpfland“ ist auch eine dezidierte Poetologie eingeschrieben: Es möchte keine eskapistische Unterhaltungslektüre sein, keine Ablenkung von gesellschaftlichen Diskussionen, sondern ein Beitrag hierzu. Ob es manchmal auch mit mehr Subtilität nicht mindestens ebenso gut funktioniert hätte, sei dahingestellt. Am eindrucksvollsten gelingt Moki die Illustrierung ihrer Ideen auf einer Doppelseite, auf der sie ein Gespräch zwischen zwei fantastischen Wesen schildert. Beide kommen vollständig mit einer Symbolsprache aus, und die Kommunikation gelingt auch über Sprachbarrieren hinweg. Dass beide auf dem letzten Panel als Bestandteil einer gemeinsamen Sprechblase erscheinen, illustriert mit viel Poesie das Wunder der Kommunikation, indem sie Einheit schafft, ohne Vielfalt zu reduzieren.

Gerrit Lungershausen, geboren 1979 als Gerrit Lembke, hat in Kiel Literatur- und Medienwissenschaften studiert und wurde 2016 promoviert. Er hat Bücher über Walter Moers, Actionkino und den Deutschen Buchpreis herausgegeben. 2014 hat er zusammen mit anderen das e-Journal Closure gegründet und ist bis heute Mitherausgeber. Derzeit lebt er in Mainz und schreibt für Comicgate und die Comixene. An der TU Hamburg-Harburg unterrichtet er Comic-Forschung.

Seite aus „Sumpfland“ (Reprodukt)