Kassel (jur). Ein netter Service oder auch freundlich sein kann mit einem freiwilligen Trinkgeld belohnt werden. Erhalten Hartz-IV-Aufstocker für ihre Arbeit als Servicekraft Trinkgelder, darf das Jobcenter aber nicht sofort die Hand aufhalten und das Geld als Einkommen mindernd auf das Arbeitslosengeld II anrechnen, urteilte am Mittwoch, 13. Juli 2022, das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel (Az.: B 7/14 AS 75/20 R). Nur wenn die monatlichen Trinkgelder mehr als zehn Prozent des Regelbedarfs ausmachen, sind sie ab diesem Wert einkommensmindernd zu berücksichtigen, so die Kasseler Richter.

Derzeit liegt der Hartz-IV-Regelsatz für einen alleinstehenden Arbeitslosengeld-II-Bezieher bei monatlich 449 Euro, so dass Hartz-IV-Aufstockern regelmäßig 44,90 Euro an Trinkgeldern verbleiben darf.

Im Streitfall hatte eine Hartz-IV-Aufstockerin aus dem bayerischen Landkreis Deggendorf geklagt. Sie erhielt von Dezember 2014 bis einschließlich April 2015 neben geringem Arbeitslosengeld I auch Hartz-IV-Leistungen. Um ihre finanzielle Situation etwas zu verbessern, arbeitete sie ab und zu noch in einem Wirtshaus als Servicekraft. Hierfür erhielt sie zunächst 50 Euro und zuletzt 144,50 Euro monatlich. Dem Jobcenter hatte sie diese Einkünfte auch mitgeteilt sowie geschätzte 25 Euro pro Monat an Trinkgeldern.

Die Behörde wertete nach Berücksichtigung von Freibeträgen das Trinkgeld als Einkommen und minderte das Arbeitslosengeld II. Das Trinkgeld stehe im engen Zusammenhang mit der Erwerbstätigkeit und werde regelmäßig gezahlt, so die Behörde. Es werde gezahlt, um das Grundgehalt aufzubessern. Einnahmen in Geld seien nach dem Gesetz als Einkommen zu berücksichtigen

Die Hartz-IV-Aufstockerin zog vor Gericht. Gewähre das Jobcenter wegen des Trinkgeldes weniger Arbeitslosengeld II, seien Gäste nicht mehr bereit, dieses zu zahlen. Außerdem handele es sich hier nicht um ein reguläres Erwerbseinkommen. Es gebe keine „sittliche und rechtliche Verpflichtung“ zur Trinkgeldzahlung. Das Gesetz sehe auch vor, dass „Zuwendungen“ dritter Personen nicht als Einkommen zu berücksichtigen sind, wenn dies „grob unbillig“ wäre oder trotz des erhaltenen Geldes der Anspruch auf Arbeitslosengeld II immer noch gerechtfertigt wäre.

Im aktuellen Fall gab das BSG der Hartz-IV-Aufstockerin dem Grunde nach recht. Bei den Trinkgeldern handele es sich nicht um reguläres Erwerbseinkommen. Denn diese würden freiwillig und ohne sittliche oder rechtliche Verpflichtung gezahlt. Damit seien sie „Zuwendungen“ von dritten Personen. Nach dem Gesetz dürfen diese nicht als Einkommen berücksichtigt werden, wenn sie so gering sind, dass Arbeitslosengeld-II-Leistungen dennoch gerechtfertigt wären. Dies sei bei den im Streit stehenden Trinkgeldern der Fall.

Erstmals legte das BSG auch eine Grenze fest, bis zu welcher Höhe Zuwendungen nicht berücksichtigt werden müssen. Dies sei regelmäßig bei zehn Prozent des Regelbedarfs der Fall, derzeit 44,90 Euro. Alles darüber wirke sich mindernd auf das Arbeitslosengeld II aus. Da das Trinkgeld der Klägerin geringer war, durfte das Jobcenter die Trinkgelder nicht auf das Arbeitslosengeld II anrechnen.

Trinkgelder über dieser Grenze seien aber voll anzurechnen. Denn die gesetzlichen Freibeträge für Nebeneinkünfte würden nur für Erwerbseinkünfte gelten, hier also die Lohnzahlungen des Arbeitgebers, so das BSG.

Mittlerweile ist die Klägerin nicht mehr auf Arbeitslosengeld II angewiesen. Sie arbeitet nun für eine Caritas-Einrichtung in einem Essenbringdienst.

Inwieweit auch Einkünfte aus Pfandflaschensammeln, Betteln oder erhaltene Essensspenden von den Tafeln unter der Zehn-Prozent-Grenze fallen, hatte das BSG nicht zu entscheiden.

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