Arbeitsminister Heil unter Druck: Länder und Kommunen empört über Jobcenter-Pläne

Bundesländer und Kommunen laufen Sturm gegen die Pläne von Arbeitsminister Hubertus Heil zur Betreuung junger Arbeitsloser. Es geht um fast eine Milliarde Euro pro Jahr.
Dieser Artikel liegt IPPEN.MEDIA im Zuge einer Kooperation mit dem Bildung.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte ihn Bildung.Table am 26. Juli 2023.
Berlin – Der Ärger ist groß – und er unterzieht Hubertus Heil (SPD) dem wohl ersten richtigen Härtetest in seiner bald sechsjährigen Karriere als Bundesarbeitsminister. Alle 16 Bundesländer hat er gegen sich, dazu den Städtetag, den Landkreistag und den Städte- und Gemeindebund.
Worum geht es? Die Bundesregierung hatte Anfang Juli beschlossen, die Betreuung für junge Menschen unter 25 Jahren, die selbst oder über ihre Eltern Bürgergeld beziehen, nicht mehr von Jobcentern übernehmen zu lassen, sondern die Agenturen für Arbeit damit zu beauftragen. Beginn des Projekts soll 2025 sein. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) geht davon aus, dass bis dahin auch die Kindergrundsicherung eingeführt ist.
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Die Arbeitsagenturen finanzieren sich anders als die steuerfinanzierten Jobcenter über die Beiträge der Arbeitnehmer zur Arbeitslosenversicherung. Dadurch würde der Bundeshaushalt um rund 900 Millionen Euro jährlich entlastet, so der Plan. Zuständigkeitswechsel und Sparoperation in einem – jedenfalls ganz im Sinne des Finanzministers.
Kommunen befürchten Entwertung ihrer Jobcenter
Doch es wäre wohl eine Operation mit Folgen. Länder und Kommunen befürchten nämlich eine massive Entwertung ihrer Jobcenter. Finanzierung, Ausrichtung und Arbeitsweise der 406 bundesweiten Jobcenter stünden „grundsätzlich in Frage“, heißt es in einer aktuellen Stellungnahme der Länder und Kommunalverbände. Nachdem ihnen bereits für 2024 Mittel in Höhe von 500 Millionen Euro gekürzt werden sollen, würden die Handlungsmöglichkeiten der Jobcenter damit ab 2025 „weiter substanziell eingeschränkt“.
Bisher sind die Jobcenter eng an die Kommunen und Landkreise angebunden, etwa auch in der Zusammenarbeit mit den Jugendämtern – und vor allem über die sogenannten Jugendberufsagenturen. Sie bieten neben Berufsberatung und -vermittlung für Unter-25-Jährige Sucht- und Schuldnerberatung oder auch psychosoziale Beratung an, ein im weitesten Sinne umfassendes Hilfsangebot. Diese würden künftig, sollten die Pläne Wirklichkeit werden, schlicht entfallen. Jedenfalls argumentieren die Länder und Kommunen, die Betreuung der Bedürftigen nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II) sei deutlich mehr als eine „reine Berufsberatung“, wie sie die Arbeitsagenturen anböten.
Die Jobcenter mit ihrer hohen Kontaktdichte und dezentralen Struktur seien für diese Form der Beratung besser geeignet als die Agenturen. Sie hätten mit umfassenden Netzwerken, Kooperationen und Beratungsangeboten belastbare Strukturen geschaffen – „nun wird dieser ganzheitliche Ansatz zerschlagen“, heißt es in dem Schreiben.
Können die Arbeitsagenturen mehr als Jobvermittlung?
Schließlich hätten viele Bezieher der SGB-II-Unterstützung einen Migrationshintergrund. Gerade deren Integration bedürfe Zeit, besonderer Intensität und spezifischer sozialer Hilfsangebote. Dies könnten die Arbeitsagenturen in ihrer bisherigen Aufstellung kaum gewährleisten. Zudem liege bisher kein geeinter Entwurf für eine Kindergrundsicherung vor – aber genau die ist in der Argumentation des BMAS eine Voraussetzung für die Umstellung.
Der Städtetag argumentiert außerdem, die Betreuung, Integration und Hinführung der Unter-25-Jährigen auf den Arbeitsmarkt sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, „die statt den Steuerzahlern nun als versicherungsfremde Leistung den Beitragspflichtigen auferlegt werden soll“.
Das Arbeitsministerium wiederum will, so scheint es, den Konflikt nicht weiter befeuern. Gegenüber Table.Media stellt das BMAS das Ziel in den Vordergrund, jungen Menschen die Leistungen der aktiven Arbeitsförderung „einheitlich und aus einer Hand anzubieten“. Absicht sei, „Leistungen besser aufeinander abzustimmen“. Durch die Neuordnung fielen „sich bisher teilweise überlagernde Zuständigkeiten von Jobcentern und Agenturen für Arbeit weg“. Die Jobcenter könnten sich damit künftig besser „auf die Betreuung, Beratung und Vermittlung von Menschen ab 25 Jahren konzentrieren“.
Das BMAS räumt ein, dass der Übergang in den bestehenden Strukturen bei Jobcentern, Agenturen, Kommunen und Trägern „mit Veränderungen verbunden sein wird“. Und doch setzen die Ministeriumsstrategen, so scheint es, auf Deeskalation. So heißt es auf Anfrage: „Ein abgestimmtes Leistungsangebot der Akteure sowie kurze Wege für die jungen Menschen sind Vorteile, die unbedingt erhalten und ausgebaut werden sollten.“ Ziel sei, „die Zusammenarbeit am Übergang Schule und Beruf noch enger zu verzahnen und dabei die aufgebauten Strukturen und vorhandene Netzwerke zu nutzen“.
Die Stimmung zwischen Bund und Ländern ist umfassend vergiftet
Und doch ist die Stimmung zwischen dem BMAS und den Ländern erst einmal vergiftet. Einerseits beklagen die kommunalen Spitzenverbände, dass die Bundesregierung bisher keine interne Diskussion zu ihrem Vorhaben angestoßen habe. Dies sei „in keiner Weise nachvollziehbar“. Eine BMAS-Aufforderung an die Länder, eine Koordinierung zu noch offenen Fragen einzuleiten, konterte das Brandenburger Wirtschaftsministerium andererseits mit dem spitzen Hinweis, „dass auf der Grundlage der derzeitig in keiner Weise konkretisierten Umsetzungsplanung ein Fragenkatalog der Länder nicht zielführend sei“. Im Klartext: Gesprächsangebot abgelehnt. Und weiter heißt es: „Aus fachlicher Sicht wird nachdrücklich und einheitlich darum gebeten, von den Plänen Abstand zu nehmen.“
Die Interessenkongruenz von Arbeitsminister Hubertus Heil und Finanzminister Christian Lindner mag überraschen. Ganz neu ist sie nicht. Heil unterstützt Lindner nach Kräften auch bei dessen Plänen, zur langfristigen Sicherung der Altersrente einen aktienbasierten Kapitalstock anzulegen. Gespeist werden soll er – trotz vielfältiger Sparzwänge – erst einmal aus dem Bundeshaushalt. Heil ließ sich auch nicht von der Skepsis der Gewerkschaften beeindrucken, deren Vorstandsmitglied Anja Piel Lindner (und damit auch Heil) bei Bekanntwerden der ersten Überlegungen Anfang des Jahres noch „realitätsferne Schwarzmalerei“ attestiert hatte. Mittlerweile sind die Überlegungen zu Kapitalstock und Aktienrente in beiden Häusern weit vorangekommen.
Ungeachtet der breiten Kritik drückt die Bundesregierung bei ihrer Operation aufs Tempo. Bereits im August soll das Kabinett das „Haushaltsfinanzierungsgesetz“ verabschieden, mit dem der Wechsel hin zu den Arbeitsagenturen grundsätzlich eingeleitet wird. Ein Fachgesetz für die Details ist im Kabinett für Ende des Jahres vorgesehen, gleichzeitig soll auch der Bundestag seine Beratungen aufnehmen. In Kraft treten soll das Gesetz Anfang 2025. (Von Horand Knaup)