Welche Verantwortung tragen ausländische Firmen, die noch in Russland tätig sind? Können sie sich in diesen Kriegszeiten darauf zurückziehen, nur wirtschaftlich tätig zu sein?  Thomas Beschorner, Professor für Wirtschaftsethik und Direktor des Instituts für Wirtschaftsethik der Universität St. Gallen, Guido Palazzo, Professor für Unternehmensethik an der Universität Lausanne, Peter Seele, Professor für Wirtschaftsethik an der Universität in Lugano und Markus Scholz, Professor für Business Ethics & Corporate Governance an der FHWien haben dazu eine klare Haltung. 

Es gibt zurzeit Konzerne, die brechen ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland ab, nehmen russische Produkte aus ihren Sortimenten und schließen Produktionsstätten oder Filialen vor Ort. Dazu zählen, nur beispielhaft: Ikea, Apple, Volkswagen, alle großen Kreditkartenunternehmen, Starbucks oder Coca-Cola. Andere hingegen, der Lebensmittelkonzern Nestlé, die größte ausländische Bank in Russland (Raiffeisen Bank International), Subway oder Metro, setzen ihre Geschäftstätigkeiten in und mit Russland fort. Diese Unternehmen argumentieren nicht mit einem vordergründigen Eigeninteresse, sondern sehen sich nach entsprechenden Verlautbarungen in einer sozialen Verantwortung: für die eigenen Mitarbeitenden in Russland einerseits, für die russische Bevölkerung andererseits. Und es gibt noch eine dritte Gruppe von Unternehmen, nämlich die, die keinen Piep zur Unternehmensverantwortung macht.

Was ist nun richtig? Was wäre von Unternehmen aus ethischer Sicht zu fordern?

Friedman war gestern

Der Ökonom Milton Friedman rief vor gut 50 Jahren aus, es sei die soziale Verantwortung von Unternehmen, ihre Gewinne zu maximieren, von anderem moralischen Gesäusel möge man sich fernhalten. Die Diskussion heute ist viel weiter – sowohl wissenschaftlich als auch in der unternehmerischen Praxis. So hat sich zum einen die Einsicht durchgesetzt, dass es sich bei Unternehmensverantwortung, neudeutsch: Corporate Social Responsibility (CSR), nicht um eine Art Spendenethik handelt, die Friedman vor allem im Sinn hatte, sondern um eine integrative Aufgabe am Kerngeschäft des Unternehmens. Es geht nicht um die Frage, wie Unternehmen ihre Gewinne ausgeben, sondern wie sie ihre Gewinne erwirtschaften. Und: Firmen werden heute auch als politische Akteure gesehen.

Westliche Unternehmen operierten lange Zeit in mehr oder weniger gut funktionierenden demokratischen Kontexten, in denen die Politik moralisch fragwürdiges Verhalten kontrolliert und bestraft. Erst mit der Globalisierung von Wertschöpfung nach dem Fall der Berliner Mauer geriet das Argument der moralisch neutralen Unternehmensentscheidungen in die Schieflage. Plötzlich gerieten Managerinnen und Manager unter den Druck, ihre Entscheidungen vor einer Weltöffentlichkeit begründen zu müssen. Als 1995 das Abacha-Regime in Nigeria den Dichter Ken Saro-Wiwa unter anderem für seine Protestaktionen gegen den Shell-Konzern hinrichten ließ, reagierte Shell auf Hilferufe von Menschenrechtsaktivisten mit einem Schulterzucken und verwies auf seine politische Neutralität.

Seit den Neunzigerjahren hat sich allerdings langsam das Bewusstsein durchgesetzt, dass Unternehmen nicht mehr nur in wohlregulierten demokratischen Kontexten agieren, sondern ihre Geschäfte mitunter auch unter repressiven Regimen machen. Oder sie sind in Ländern präsent, wo politische Verantwortliche zu schwach oder zu unmotiviert sind, geltendes Recht durchzusetzen. Nur noch wenige multinationale Unternehmen wagen es heute, in solchen Situationen wie Shell damals in Nigeria gleichgültig auf die eigene Neutralität zu verweisen. Man mag zwar eine Zeit lang in kaputten Gesellschaften Gewinn machen können, aber moralisch sauber bleibt man dabei kaum. Global vernetzte Unternehmen können sich ihrer gesellschaftspolitischen Verantwortung heute nicht mehr so leicht entziehen. Manchen gelingt das besser, sie untermauern ihre moralische Glaubwürdigkeit in der Praxis. Andere dagegen versuchen sich reinzuwaschen – und kommen gesellschaftlichen Anforderungen rhetorisch, nicht aber praktisch nach.