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Geschäftsführer des Paritätischen zum Bürgergeld: „Sanktionspolitik der Bundesregierung ist verheerend“

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Joachim Rock ist der neue Lenker beim Paritätischen Gesamtverband. Ihm kommt in der Politik die Verantwortung zu kurz und er kritisiert billige Neid-Debatten beim Bürgergeld.

Berlin – Seit Anfang August ist er der neue Geschäftsführer beim Paritätischen, einem der größten Wohlfahrtsverbände im Land. Joachim Rock sieht die Notlage vieler gemeinnütziger und ehrenamtlicher Träger und kritisiert deshalb die Politik. Besonders soziale Vereine müssen Rock zufolge mehr Wertschätzung erfahren.

Herr Rock, Sie sind seit Kurzem neuer Hauptgeschäftsführer des Paritätischen. Vor welchen Herausforderungen steht der Verband?

Die ganze gemeinnützige Szene in Deutschland leistet wesentliches; in Kitas, Pflegeheimen oder Beratungsstellen, um den sozialen Zusammenhalt zu sichern. Vielen davon steht das Wasser aber bis zum Hals, sie brauchen selbst Unterstützung. Das zu organisieren, da sind wir als Paritätischer gefordert. Außerdem fühlen sich mittlerweile viele Menschen im politischen Raum nicht mehr vertreten. Sie suchen neue Vertrauenspersonen, die ihre Nöte noch wahrnehmen. Genau da spielen unsere Wohlfahrtsverbände eine wichtige Rolle.

Joachim Rock ist seit August 2024 neuer Hauptgeschäftsführer beim Paritätischen Wohlfahrtsverband. Der gebürtige Hesse beklagt fehlende Verantwortung in der Politik, wenn es darum geht, Menschen weiterhin für die Demokratie zu begeistern. Rock kritisiert außerdem die Sanktionspolitik der Ampel-Koalition beim Bürgergeld.
Joachim Rock ist seit August 2024 neuer Hauptgeschäftsführer beim Paritätischen Wohlfahrtsverband. Der gebürtige Hesse beklagt fehlende Verantwortung in der Politik, wenn es darum geht, Menschen weiterhin für die Demokratie zu begeistern. Rock kritisiert außerdem die Sanktionspolitik der Ampel-Koalition beim Bürgergeld. © Studio Monbijou

Etliche dieser gemeinnützigen Betriebe sind elementarer Teil unserer Grundversorgung, stehen finanziell aber unter Druck. Krankenhäuser auf dem Land müssen immer häufiger schließen.

Wir haben da riesigen Handlungsbedarf, das wird im politischen Bereich total unterschätzt. Im Vergleich zu gewerblichen Einrichtungen erbringen gemeinnützige ihre Leistungen preiswert bei gleichzeitig sehr hoher Qualität. Sie dürfen aber nur eingeschränkt Rücklagen bilden, während die Kosten stark steigen und erst deutlich später erstattet werden. Dadurch sind viele soziale Einrichtungen in ihrer Existenz gefährdet.

Ehrenamtliches Engagement in Gefahr

Was heißt das für die Menschen?

Angebote verschwinden in der Fläche und kommen nicht mehr wieder. Gemeinnützige Organisationen werden vor den Menschen vor Ort getragen. Sie leisten, was staatliche und gewinnorientierte Anbieter nicht leisten. Sie ermöglichen und organisieren ehrenamtliches Engagement. Damit wächst die Lebensqualität vor Ort und diese freiwillige und zusätzliche Hilfe ermöglicht es dem Sozialstaat, zu atmen und bei Bedarf zu wachsen. Hilfe bei Flutkatastrophen oder die erste Unterstützung geflüchteter Menschen in Not – darum kümmern sich auch Ehrenamtliche. Das setzt aber voraus, dass es noch Organisationen gibt, die dieses Engagement organisieren.

Sie bringen die schwere Lage der sozialen Vereine mit schwindender Zustimmung für unsere Demokratie in Verbindung.

Ja. Wir sehen, dass die Demokratie inzwischen gefährdet ist. Das hat viel mit sozialpolitischen Zusammenhängen zu tun. Und auch mit der Frage, ob man sich gehört fühlt. Sozialpolitik würde verkürzt dargestellt, wenn wir nur auf Finanztransfers blicken. Es geht um das Zusammenspiel mit den Vereinen vor Ort, sozialen Einrichtungen und Diensten, um all das, worauf wir als Bevölkerung täglich zurückgreifen, was aber zu wenig wertgeschätzt wird.

Wie tragen gemeinnützige Vereine denn zur Demokratie bei?

In den Vereinen wird Demokratie gelebt. Das ist das gemeinsame Aushandeln, vor allem aber auch der Ort, um überhaupt noch miteinander ins Gespräch zu kommen. Im ländlichen Raum gab es dafür früher den Bäcker oder Metzger als soziale Orte. Die fehlen heute oft. Das ist fatal für unsere Demokratie, weil Menschen aus unterschiedlichen Milieus und Weltanschauungen nicht mehr zusammentreffen, sondern sich in ihrer eigenen Blase einigeln. Gesellschaftlich progressive und möglicherweise rechtsextreme Menschen begegnen sich kaum noch. Dabei ist der Austausch das Fundament unseres demokratischen Zusammenhalts.

Auch im Internet verfestigen sich diese Blasen. Junge Menschen wählen zunehmend rechts. Nun stehen Landtagswahlen in AfD-Hochburgen an. Hängt auch das Erstarken der Partei mit der prekären Lage der Gemeinnützigkeit zusammen?

Es gibt hier keine einfachen Diagnosen. Allerdings wurden jungen Menschen seit den 90er Jahren im neoliberalen Gedankengut nach dem Motto ‚wenn jeder für sich sorgt, ist für alle gesorgt‘ sozialisiert. Und sozialdarwinistische Programme sind in hohem Maße anschlussfähig für Rechtsextremismus.

Besonders die Ampel-Koalition und einige ihrer sozialpolitischen Maßnahmen sind bei diesen Menschen zum Feindbild geworden. Allen voran das Bürgergeld – das nun durch Sanktionen kräftig eingestampft wurde. Was halten Sie davon?

In der jüngsten Debatte ums Bürgergeld werden in billiger und verantwortungsloser Art und Weise Ressentiments gegen Bürgergeldberechtigte erzeugt, die empirisch keinerlei Grundlage haben. Es wird so getan, als seien Arbeitsverweigerer ein relevantes wirtschaftliches Problem, was völlig an der Realität vorbeigeht. Das fördert Spaltung und Neiddebatten und nutzt gleichzeitig rein gar nichts, um die bestehenden Probleme zu bewältigen.

Bürgergeld, Sanktionen durch die Ampel und Kritik aus der CDU

Durch die Neuerungen beim Bürgergeld müssen sich Empfänger öfter beim Jobcenter melden, Strafen sollen schneller kommen. Wieso ist das schlecht?

Sanktionen treffen fast immer die Falschen, nicht den Generalverweigerer, den es in Einzelfällen geben mag, sondern zum Beispiel die gestresste Alleinerziehende. Das Grundproblem der Neuerungen sahen wir auch schon bei Hartz IV: Es wurde zu viel gefordert, aber zu wenig gefördert. Das passt nicht mehr zu den Anforderungen unserer heutigen Arbeitswelt. Wir brauchen keine Arbeiter für einfachste Tätigkeiten, sondern gut qualifizierte. Die Bundesregierung kürzt jetzt an der Förderung solcher Qualifikationen erheblich. Und sie schlägt bei den Sanktionen noch etwas drauf, noch härter als es bei Hartz IV der Fall war.

Was folgt daraus?

Damit bekommt man Menschen nicht in Beschäftigung, sondern nur raus aus der Statistik. Wenn Menschen Unterstützung brauchen, sie aber nicht mehr bekommen und man ihnen stattdessen mit Sanktionen droht, verabschieden sie sich aus dem System. Wir brauchen diese Menschen aber. Als Beschäftigte und Beitragszahler. Die Sanktionspolitik der Bundesregierung ist verheerend. Das Förderversprechen der Bundesregierung wurde im Zuge der Haushaltsverhandlungen kassiert.

Sie sprechen von Teilen der CDU und CSU, die mit dem Bürgergeld unfair ins Gericht gehe.

Es gibt auch dort unterschiedliche Haltungen. Die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA) hat sich sehr differenziert geäußert, von dort kam auch deutliche Kritik an den wirklichkeitsfernen Thesen von Herrn Linnemann. Solche Forderungen sind weit von dem, was ein christliches und christdemokratisches Verständnis von Sozialpolitik früher mal ausmachte, etwa dem Grundsatz der Subsidiarität.

Können Sie der Kritik der zu hohen Sozialausgaben angesichts unserer wirtschaftlichen Schwierigkeiten nichts abgewinnen?

Das große Problem der deutschen Sozialpolitik ist, dass zwar viel verteilt, aber wenig umverteilt wird. Der Anteil der Sozialausgaben, die speziell der Armutsbekämpfung dienen, ist verschwindend gering. Wer sagt, dass er viel Geld bei Sozialleistungen kürzen will, sagt eigentlich, dass er bei der breiten Bevölkerungsmitte kürzen will. Nämlich bei der Krankenversicherung, der Rentenversicherung und Leistungen für Familien.

Das scheint eben diese Mitte so nicht zu sehen. Neiddebatten nehmen zu. Wie können die Vorteile sozialer Politik für die Mittelschicht deutlicher gemacht werden?

Die Politik flüchtet sich da aus der Verantwortung. Sie muss diese Zusammenhänge erklären. Stattdessen kreiert sie etwa beim Bürgergeld eine Bedrohung von angeblicher Arbeitsverweigerung im breiten Stil, um kurzfristig Zustimmung zu mobilisieren. Sie erklärt komplexe Sachverhalte nicht ausreichend, auch weil sie dann selbst stärker in die Verantwortung käme, als wenn man die Menschen selbst für ihre Situation verantwortlich macht. In der deutschen Politik sehen wir etwas, was der deutsche Soziologe Ulrich Beck mal als ‚organisierte Unverantwortlichkeit‘ bezeichnet hat.

Die AfD feiert genau mit dieser unterkomplexen Darstellung Erfolge. Es scheint also zu funktionieren, oder?

Ich bin der festen Überzeugung, dass die Politik ihre Wählerinnen und Wähler unterschätzt und das politische Bewusstsein der Menschen viel größer ist, als man ihnen unterstellt. Man muss es aber ernst nehmen. Der von der Politik selbst initiierte Bürgerrat etwa fordert kostenlose Mittagessen für alle Kinder. Eine Maßnahme, die gut finanzierbar ist und der wohl nahezu 100 Prozent der Menschen zustimmen. Umgesetzt wird sie von der Politik aber nicht. Da sind wir dann wieder beim wegfallenden Glauben an die Politik und den Folgen davon.

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