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Achtsamkeit Drei Methoden, Körper und Geist zu entspannen

Achtsamkeit
Der Lotussitz erlaubt Geübten eine längere Zeit andauernde meditative Versenkung - ohne dass sie dabei die Wirbelsäule belasten
© Getty Images/Hero Images
Wer es schafft, den Körper zu beruhigen, kann auch psychische Beanspruchungen besser bewältigen. Dabei helfen zum Teil jahrtausendealte Verfahren – aber ebenso neuere Methoden, deren Wirksamkeit wissenschaftlich belegt ist

Inhaltsverzeichnis

Gut gewappnet gegen Stress sind all jene Menschen, die sich regelmäßig körperlich entspannen, gedanklich abschalten können und vor allem achtsam ihre eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen vermögen. Und all diese Fähigkeiten, darin sind sich Stressforscher einig, lassen sich systematisch einüben und intensivieren.

Denn so wie Körper und Geist auf Belastungen reagieren, indem sich etwa der Herzschlag beschleunigt oder negative Gefühle aufkommen, so zeigen beide auch Reaktionen, wenn der Organismus Entspannung erfährt:

Der Blutdruck sinkt – und positive Gedanken stellen sich ein. Daher sollte Entspannung ebenso zu unserem Alltag gehören wie Anspannung. Vielen hilft dabei, passiv zu sein, sich etwa durch Massagen beruhigen zu lassen. Doch wenn die Belastung überhandnimmt, genügen solche einfachen Mittel zur Entspannung nicht mehr. Dann gilt es, die Ruhe aktiv zu suchen, zu üben und zu intensivieren, geradeso wie wenn man einen Muskel durch Kraftübungen stärkt. Dafür gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Verfahren.

Doch nicht alle sind wissenschaftlich untersucht, nicht jede Variante einer bestimmten Technik ist so wirksam wie eine andere. In den Richtlinien der gesetzlichen Krankenversicherungen werden drei Formen von Übungen aufgeführt, die nachweislich entspannend wirken und deshalb von den Kassen auch bezahlt werden:

• Progressive Muskelrelaxation,
Autogenes Training,
• Meditation.

Wer diese Übungen regelmäßig trainiert, vermag selbst in schwierigen Situationen des Alltags gezielt Erregung zu vermindern oder kann vermeiden, dass sich Stress nicht mehr abschütteln lässt.

I. PROGRESSIVE MUSKELRELAXATION

„Es gibt vermutlich kein allgemeineres Heilmittel als Ruhe“, schrieb der US-Physiologe Edmund Jacobson, der 1929 erstmals seine Methode der willentlichen Muskelentspannung publizierte. Dabei werden nacheinander bestimmte Muskelgruppen angespannt, jeweils für ein bis zwei Minuten. Danach versucht man, die gerade angespannte Muskelgruppe für drei bis vier Minuten maximal zu lockern.

So werden schrittweise alle Partien des Körpers angespannt und entspannt, von den Gliedmaßen über den Rumpf bis zum Kopf. Heute werden zumeist vereinfachte Varianten von Jacobsons Programm gelehrt. Doch auch ihr Ziel ist es, immer genauer wahrnehmen zu können, in welchem Grad der Anspannung sich einzelne Muskeln befinden.

Ob die Muskelrelaxation tatsächlich – wie Jacobson annahm – die Aktivität des zentralen Nervensystems beeinflusst, konnten Forscher bislang noch nicht belegen. Doch zeigen Studien: Wer aktive Muskelentspannung trainiert, steigert langfristig sein Wohlbefinden, ist weniger schmerzempfindlich und reagiert in belastenden Situationen gelassener.

II. AUTOGENES TRAINING

In den 1920er Jahren beobachtete der deutsche Psychiater Johannes Heinrich Schultz, dass Menschen sich ohne äußeres Zutun selber (autogen) in eine Art Trance versetzen können – in einen Zustand, in dem sie tiefe Ruhe erleben, Wärme in den Gliedmaßen spüren und sich anschließend erfrischt fühlen. Daraufhin entwickelte er Übungen, mit denen jeder gezielt etwa seine Herzfrequenz beeinflussen, seinen Atem regulieren und ein Gefühl von Wärme hervorrufen können soll.

Das Schema ist immer gleich: Der Übende wiederholt im Geist Sätze, die sich auf eine beruhigende Empfindung beziehen, etwa „Der rechte Arm ist schwer“ oder „Das Herz schlägt ruhig“.
Fast jeder kann erlernen, derartige körperliche Veränderungen auch tatsächlich hervorzurufen. Bereits nach einigen Wochen regelmäßigen Trainings erzeugen die Selbstsuggestionen bei den meisten den erwünschten Effekt: Ruhe, Wärme, Entspannung treten ein. Auch in belastenden Situationen können Erfahrene oft leichter wieder ruhig werden – und somit souverän
agieren.

III. MEDITATION

In nahezu allen Religionen gibt es Techniken, die helfen sollen, Selbsterkenntnis zu gewinnen, das Bewusstsein zu erweitern und höhere Welten zu erkunden, mithin „Erleuchtung“ zu finden. Entspannung gilt bei diesen meditativen Verfahren als Voraussetzung. Deshalb haben sich manche der Methoden, losgelöst von der spirituellen Bedeutung, auch für die
Stressbewältigung bewährt.

Von den Krankenkassen anerkannt werden das indische Hatha-Yoga und die chinesischen Praktiken Tai-Chi und Qigong. Diese drei Techniken verknüpfen geistige Versenkung mit Bewegung, mal langsam, mal schnell, mal dynamisch, mal konzentriert. Studien zeigen: Die Verfahren können dazu beizutragen, Stressreaktionen langfristig zu mildern und den
Körper in eine gesunde Balance von An- und Entspannung zu versetzen.

Fünf Regeln für ideale Entspannung

1. Zur Ruhe kommen

Es ist wichtig, den Körper in stressigen Phasen regelmäßig zu beruhigen. Massagen, Musik oder Akupunktur können dabei ebenso helfen wie Entspannungstechniken.

2. Die Muskeln lockern

Mithilfe spezieller Übungen lässt sich der Muskeltonus kontrollieren und Anspannung gezielt lösen.

3. Selbstsuggestion üben

Nahezu jeder kann lernen, durch Autogenes Training Empfindungen von Ruhe und Wärme zu erzeugen, die Stress entgegenwirken.

4. Energien fließen lassen

Meditation in Verbindung mit gezielten Bewegungen, etwa beim Hatha-Yoga, Tai-Chi oder Qigong, vermag Körper und Geist wieder in Einklang zu bringen.

5. Im Hier und Jetzt sein

Wer seine Gedanken aufmerksam beobachtet und Emotionen nachspürt, erlangt Kontrolle über sein Fühlen und Denken und kann Belastungen besser standhalten.

All diese Methoden helfen dabei, ein Gefühl der Kontrolle zu erleben. Sie erzeugen ein Bewusstsein dafür, dass man alltäglichen Belastungen und Beschwerden nicht hilflos ausgeliefert
ist. Denn es gilt, sensibler als in der üblichen Wahrnehmung den eigenen Körper zu empfinden, Gedanken zu beobachten, Gefühle zu erspüren. Und zugleich darauf zu achten, in welchem Wechselspiel die Umwelt und das Innere zusammenhängen. Sodass wir nicht allein ein vages Unwohlsein empfinden, sondern klarer erkennen können, was genau Schmerz oder Übelkeit auslöst, was Gereiztheit oder Müdigkeit.

Der Begriff der Achtsamkeit

Erst in den vergangenen Jahrzehnten hat sich für diese Fähigkeit ein Begriff etabliert: Achtsamkeit. Sie ist gewissermaßen eine natürliche Arznei des Menschen, um Stress zu vermeiden oder zu lindern. Denn sie hilft dabei, schon frühe Anzeichen einer Belastung zu erkennen und nicht achtlos zu übergehen.

Wissenschaftler untersuchen deshalb intensiv, wie sich Achtsamkeit gezielt und langfristig stärken lässt. Als wirksam hat sich vor allem eine Methode erwiesen, die der US-Wissenschaftler Jon Kabat-Zinn entwickelt hat: die Mindfulness-Based Stress Reduction (achtsamkeitsbasierte Stressreduktion). In den USA wird dieses standardisierte Verfahren in Hunderten Kliniken und Gesundheitszentren unterrichtet, auch in Deutschland wird es vielfach angeboten.

Teilnehmer lernen in mehrwöchigen Kursen Elemente traditioneller Meditationstechniken, beispielsweise ihren Atem bewusst wahrzunehmen, ihre Gedanken mit Gleichmut zu beobachten oder aufmerksam einem Aroma nachzuspüren. Religiöse Bezüge werden ausdrücklich vermieden. Im Mittelpunkt steht, aktiv die Achtsamkeit zu üben, die Entspannung
zu vertiefen. Auf diese Weise, so haben Studien erwiesen, lässt sich unmittelbar unsere Widerstandskraft gegen übermäßigen Stress stärken.

Durch Achtsamkeit wird Angst gedämpft

Hirnforscher haben herausgefunden: Mit regelmäßigen Meditationsübungen lässt sich langfristig die Aktivität in den Partien des Denkorgans verändern, die Emotionen und körperliche Empfindungen regulieren. Auch stärken Meditierende den Thalamus, jenes Hirnareal, in dem Sinneseindrücke gebündelt werden und so Aufmerksamkeit fokussiert wird.

Mehr noch: Sie dämpfen ihre neuronale Quelle der Angst, die Amygdala. Diese Region ist immer dann besonders aktiv, wenn wir Stress empfinden und angespannt sind. Achtsamkeits- und Entspannungsübungen führen nachweislich dazu, stressbedingte körperliche Beschwerden zu lindern, etwa Kopfschmerzen, Schlafprobleme, Herzstolpern oder Durchblutungsstörungen.

Wer regelmäßig trainiert, kann auch in schwierigen Situationen des Alltags gezielt Erregung vermindern – und damit vermeiden, dass sich überhaupt erst langfristiger (und damit besonders schädlicher) Stress entwickelt.

WEITERE INFORMATIONEN:

mbsr-verband.de: Website eines Zusammenschlusses zertifizierter Achtsamkeitslehrer auf der sich Kurse in der Nähe sowie weiterführende
Literatur finden lassen.


Ulrich Ott: »Meditation für Skeptiker« (O. W. Barth): erklärt die Wirkung von Meditation aus neurowissenschaftlicher Sicht.

GEO WISSEN GESUNDHEIT Nr. 4 - Was die Seele stark macht

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