Berlin. Das Sozialgericht (SG) in Berlin will Prostituierten aus anderen EU-Staaten den Ausstieg erleichtern. Das Gericht hat in einem am Dienstag, 19. Juli 2022, verkündeten Urteil (Az.: S 134 AS 8396/20) entschieden, dass das Aufenthaltsrecht dann nicht verlorengeht sowie ein Anspruch auf Hartz-IV-Leistungen besteht. Die Beendigung der Prostitution könne nicht als freiwillige Aufgabe der Arbeit angesehen werden.

Für eine Arbeitssuche dürfen sich EU-Bürger bis zu drei Monate in jedem anderen EU-Land aufhalten. Dabei ist in Deutschland der Anspruch auf Hartz-IV-Leistung als Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen. Wenn eine längere Tätigkeit unverschuldet zu Ende geht, besteht aber weiterhin ein Aufenthaltsrecht und EU-Ausländer haben dann auch Anspruch auf Hartz IV-Leistungen.

Die nun 32-jährige Klägerin aus Bulgarien kam 2014 nach Berlin. Sie arbeitete auf dem Straßenstrich und war steuerlich als selbstständige Prostituierte gemeldet. Diese Tätigkeit gab sie im Juli 2019 auf, da sie diese Arbeit auf dem Straßenstrich als nicht mehr zumutbar empfinde und sie auch mit ihrem zweiten Kind schwanger sei.

Sie bekam gut ein Jahr Hartz-IV-Leistungen. Weitere Zahlungen wurden vom Jobcenter abgelehnt. Die bisherige Tätigkeit habe sie freiwillig beendet. Sie sei nun vom Leistungsbezug ausgeschlossen, da sie sich in Deutschland nur noch zur Arbeitssuche aufhalte.

Die Bulgarin hatte ihre Tätigkeit unfreiwillig beendet.

Das Sozialgericht stellte nun klar, dass das mit der Freiwilligkeit bei der Prostitution so eine Sache sei. Diese Art von Tätigkeit habe die Bulgarin unfreiwillig beendet. Es könne „objektiv keinem Menschen zugemutet werden, sich unter den von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung geschilderten Bedingungen des Berliner Straßenstrichs zu prostituieren“.

Ganz generell sei aber auch unabhängig von diesen „die willentliche Beendigung der Prostitution keine freiwillige Aufgabe der Erwerbstätigkeit“.

Die Berliner Richter erläuterten, dass sexuelle Dienstleistungen in besonderer Weise die Intimsphäre und die Menschenwürde der betroffenen Person berühren würden. Prostitution sei angesichts der staatlichen Pflicht zum Schutz der Menschenwürde nicht zumutbar. Daher könne von Arbeitslosen nicht verlangt werden, diese Tätigkeit fortzusetzen, um ihre Hilfebedürftigkeit zu verringern.

Die Umstände zur Aufgabe der Tätigkeit hatte die Bulgarin nicht zu vertreten.

Wenn ein Unionsbürger seine Tätigkeit in der Prostitution beende, weil diese als unzumutbar empfunden werde, dann beruhe diese Aufgabe auf der Unzumutbarkeit der Prostitution an sich und somit auf Umständen, die er nicht zu vertreten habe, führte das Sozialgericht Berlin weiter aus

Dass die Bulgarin hier die Tätigkeit zuvor ausgeübt hat, lasse sich dem nicht entgegenhalten. Eine objektiv unzumutbare Arbeit, die der Staat niemandem zumuten kann, werde nicht dadurch zumutbar, weil sie von der Person zuvor zeitweise ertragen worden ist.

Da die Bulgarin ihre Tätigkeit als Prostituierte demnach nicht „freiwillig“ aufgegeben habe, bleibe ihr Aufenthaltsrecht bestehen. Das SG Berlin entschied mit Urteil vom 15.06.2022, dass sie und ihre Kinder daher auch nicht von Hartz-IV-Leistungen ausgeschlossen seien.