Politik

Globale Strategien Ein Felsblock zur Rettung der Welt

Der Sommer 2022 zählt nach vorläufigen Berechnungen des Deutschen Wetterdienstes zu den vier wärmsten und den sechs trockensten seit Beginn der Aufzeichnungen.

Der Sommer 2022 zählt nach vorläufigen Berechnungen des Deutschen Wetterdienstes zu den vier wärmsten und den sechs trockensten seit Beginn der Aufzeichnungen.

(Foto: picture alliance / Panama Pictures)

Vor 50 Jahren legte der Club of Rome seine epochale Studie über "Die Grenzen des Wachstums" vor. Sie bildete den Beginn ökologischen Denkens in globalen Zusammenhängen und weit in die Zukunft hinein. Ihr Nachfolger setzt auf Forderungen, die als Utopien erscheinen.

Beim Gebrauch von Superlativen ist Vorsicht geboten. Der erste, 1972 vorgelegte Bericht des Club of Rome, ein Zusammenschluss von Fachleuten unterschiedlicher Gebiete aus mehr als 30 Staaten, "zur Lage der Menschheit" kann allerdings ohne Wenn und Aber als epochal bezeichnet werden. Diese Beschreibung des Zustands der Welt gilt als Ursprungsdokument ökologischen Denkens in globalen Zusammenhängen. Die Experten entwickelten damals unter Hinzunahme von Daten und Analyseinstrumenten die These, wonach jedes individuelle und regionale Handeln Einfluss auf die ökologische und sozialökonomische Beschaffenheit der Erde und Folgen weit in die Zukunft hat.

Die daraus resultierenden zwölf verschiedenen Entwicklungsszenarien veröffentlichte der Club of Rome als Buch unter dem Titel "Die Grenzen des Wachstums". Unter diesem Namen ging die Studie in die Geschichte ein. Die deutsche Ausgabe zeigte auf dem Cover einen Globus, der von einem schwarzen Schuh zertrampelt wird. Das passte zu der düsteren Vorhersage: Der Report machte als ein Fazit eine ernsthafte Gefahr aus, dass zwischen den Jahren 2000 und 2100 das Wirtschafts- und das Ökosystem kollabieren könnte, falls die Weltbevölkerung weiterhin rasant wächst und nicht erneuerbare Ressourcen mit anhaltender Rasanz ausgebeutet werden.

Und dann kam das Ozonloch

Was heute zum Allgemeinwissen zählt, war damals ein revolutionärer Ansatz, da Wirtschaftswachstum in jener Zeit in der westlichen Welt als alternativloses Heiligtum betrachtet wurde. Geblieben ist die Erkenntnis, "wir haben nur diesen einen Planeten", die sich die Öko-Bewegung später auf die Fahnen schrieb. Das Buch - es wurde in 30 Sprachen übersetzt und mehr als 30 Millionen Mal verkauft - löste eine Debatte aus, die ähnlich scharf geführt wurde wie die heutige über den Klimaschutz. Eine Woche nach der Veröffentlichung nannte der deutsch-amerikanische Ökonom Henry Wallich den Inhalt "ein Stück unverantwortlichen Unsinn".

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Zwei Jahre später wurde das Ozonloch entdeckt. Trotzdem dauerte es noch lange, bis sich die Welt ab Anfang der 1990er-Jahre auf ein Nachhaltigkeitsprogramm und Maßnahmen gegen die Erderwärmung einigte. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen, wie nah die düsteren Prognosen von 1972 an der Realität lagen. Geändert hat sich dennoch wenig - auch der Streit ist geblieben. Denn die Katastrophe ist bisher nicht eingetreten. Es wurden in den vergangenen 50 Jahren zahlreiche Rohstoffvorkommen etwa an Öl und Erdgas entdeckt, die der Annahme eines baldigen Endes nicht erneuerbarer Ressourcen widersprachen. Die Welt steht nicht am Abgrund - aber niemand wird behaupten, sie sei kerngesund.

Eine Erde für alle

Vor wenigen Tagen stellte der Club of Rome seinen neusten Bericht vor - 50 Jahre nach "Die Grenzen des Wachstums". Das Buch zu der neuen Studie heißt "Earth for All - Ein Survival Guide für unseren Planeten". Schon der Titel zeugt also gleichermaßen von Sorge vor der Katastrophe und der Zuversicht, die "Erde für alle" davor zu bewahren. Die Verantwortlichen der Schrift sprechen von einem "Scheideweg", da die Menschheit gerade die Saat für den Zusammenbruch ganzer Weltregionen lege. Für die Wende sei es aber nicht zu spät.

Die Experten beschränken sich in ihrer - übrigens gut lesbaren - Ausarbeitung auf zwei Szenarien, die beide 1980 beginnen und 2100 enden. Die eine heißt "Too Little Too Late" (zu wenig, zu spät), die andere "Giant Leap" (Riesensprung). Zwar werden die Alarmglocken geläutet. Generell ist aber ein Bemühen erkennbar, Zuversicht zu verbreiten. Der Club of Rome traut der Weltgemeinschaft zu, die globale Erwärmung doch noch unterhalb der Zwei-Grad-Marke zu stabilisieren und bis 2050 mit der Armutsbekämpfung entschieden vorangekommen zu sein. Die "systemische Transformation" sei "in Jahrzehnten und nicht erst in Jahrhunderten" zu schaffen, wenn die Menschheit jetzt handele.

"Die Hebel sind da"

Auch der Report des Jahres 2022 ist eine wissenschaftlich fundierte Beschreibung des traurigen Zustands der Welt, dem "fünf außerordentliche Kehrtwenden für globale Gerechtigkeit auf einem gesunden Planeten" gegenübergestellt werden. Sie beziehen sich auf die Themen Armut, Ungleichheit, Ernährung, Energie und Ermächtigung ("Geschlechtergerechtigkeit herstellen") und beruhen auf Ideen, die größtenteils schon weltweit gefordert oder diskutiert werden. Das Buch enthält allerdings viele Forderungen, die mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und die innenpolitischen Schlammschlachten in den USA als - aus heutiger Sicht - nicht umsetzbare Utopien erscheinen.

Verbunden werden die Vorschläge mit massiver Kritik am momentanen Kapitalismus. Dem Club of Rome schwebt eine Abkehr "vom Winner-takes-all-Kapitalismus zu Earth4All-Ökonomien" vor. "Die Hebel sind da, vor unseren Augen, sie warten nur darauf, betätigt zu werden." Genannt werden zum Beispiel "Einrichtung von Bürgerfonds, um den Reichtum der globalen Gemeingüter" an alle Bürgerinnen und Bürger gerecht zu verteilen, "Umgestaltung des internationalen Finanzsystems zur Erleichterung der raschen Armutsbekämpfung in vielen Teilen der Welt" und "Minderung von Investitionsrisiken in einkommensschwachen Ländern und Schuldenerlass".

Wäre es doch nur so einfach

Die Autoren der neuen Studie ahnen - sicherlich zurecht -, dass die Ideen auf Widerspruch stoßen werden. Einige der "traditionellen Ökonomen" würden zweifellos befürchten, "dass diese Veränderungen zu einem abrupten Ende des Wirtschaftswachstums und schließlich zum ökonomischen Zusammenbruch führen". Doch damit lägen sie falsch. Die Umsetzung des Konzepts werde "nicht die Welt kosten", sondern sei "eine Investition in unsere Zukunft".

Die Wissenschaftler räumen mit Blick auf all ihre Vorschläge allerdings auch ein: "Wenn Sie eine Transformation dieses Ausmaßes beängstigend finden, sind Sie nicht allein. Vielleicht kommt es Ihnen so vor, als müssten Sie einen Felsblock einen Berg hinaufwälzen", schreiben die Autoren mit Blick auf ihre Leserinnen und Leser. Allerdings halten sie auch eine Art Selbstläufer für möglich. Man könne ja einmal darüber nachdenken, was passiere, "wenn wir das verdammte Ding nur in Bewegung setzen müssen und den Rest die Schwerkraft erledigt"? Vier Kräfte - soziale Bewegungen, eine neue ökonomische Logik, technologische Entwicklung und politisches Handeln - stünden bereit, um die Gesellschaften "so über den Kipppunkt zu bringen, dass sich selbst verstärkende positive Kreisläufe entstehen". Am Ende dieses Prozesses stehe "eine Erde für alle". Wäre es doch nur so einfach.

(Dieser Artikel wurde am Sonntag, 04. September 2022 erstmals veröffentlicht.)

Quelle: ntv.de

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