Das Grannophone – ein Videotelefon mit RasPi für ältere Nutzer

Mit dem Grannophone entsteht ein Videotelefon für ältere oder demente Menschen. Für das Gehäusedesign wird allerdings noch Unterstützung gesucht.

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Von
  • Stefan Baur
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Seit dem Beginn der COVID-19-Pandemie ist der Zugang zu Alters- und Pflegeheimen nur noch eingeschränkt möglich und vom Besuch bei älteren Menschen wird abgeraten, selbst wenn sie nicht im Heim leben. Aber nur weniger als die Hälfte der Generation Ü65 und nur knapp ein Viertel der Generation Ü80 nutzt das Internet. Die Mehrzahl der älteren Leute steht mit moderner Technik auf dem Kriegsfuß oder ist aufgrund von Erkrankungen nicht in der Lage, Geräte wie Smartphones zu bedienen. Das Festnetztelefon ist daher bei einem Lockdown für diese Menschen praktisch die einzige Verbindung "nach draußen".

Ältere Menschen nehmen Smartphones nur zögerlich an.

(Bild: Südwest Presse vom 04.06.2021, "Unbeliebtes Smartphone", via dpa)

Wer seiner alternden Verwandtschaft deswegen mittels Videotelefonie etwas Gutes tun will, sieht sich gleich mehreren Problemen gegenüber: Smartphones/Tablets eignen sich nur für Leute, die keine Technik-Berührungsängste und keine körperlichen oder geistigen Einschränkungen haben. PCs sind leichter fernwartbar, haben aber eine noch höhere Hemmschwelle. Die Nachrüstung eines PCs mit einer Webcam scheiterte zu Beginn der Pandemie schon daran, dass Webcams gar nicht oder nur zu völlig überteuerten Preisen zu haben waren. Laptops mit Webcam braucht man dagegen meist selbst für das Home Office bzw. das Homeschooling.

Alle diese Lösungen setzen außerdem ein Mindestmaß an IT-Grundwissen beim Anwender voraus. Die niedrigschwelligste kommerzielle Lösung scheint Apples Facetime zu sein - aber was, wenn die Zielgruppe selbst damit überfordert ist?

Der naheliegendste Gedanke ist, ein über die klassische Telefonleitung arbeitendes Bildtelefon aus der Mottenkiste zu holen. Nur: Diese Geräte gibt es seit 20 Jahren nicht mehr. Die letzten Bastler in dem Bereich haben vor über 15 Jahren ihre Versuche aufgegeben, die Geräte weiterzubetreiben. Noch dazu schränkt die geringe Bandbreite die Bildgröße und -qualität ein. Die neueren Videotelefone verwenden stattdessen einen Anschluss per Breitband-Internet und VoIP/SIP, sind aber auf den Firmeneinsatz ausgelegt und nicht gerade billig. Außerdem setzen sie meist auch eine Infrastruktur voraus, die im Unterhalt laufende Kosten verursacht, wie zum Beispiel einen Vertrag mit einem SIP-Anbieter oder eine Cloud-Telefonanlage. Nächstes Problem: Egal ob alt oder neu, diese Telefone schrecken mit ihrer Vielzahl an Tasten wieder die unbedarften/älteren Anwender ab.

Meine Idee ist daher, das Konzept "Seniorentelefon" (nur wenige, dafür große Tasten) auf das Videotelefon zu übertragen: Ein Telefonhörer an einem Kasten – aus dem ein Klingelgeräusch ertönt – wird auch bei älteren Leuten dazu führen, dass sie zum Hörer greifen – so meine Theorie. Und die Hemmschwelle, selbst ein Videotelefonat zu beginnen, wird, hoffe ich, geringer sein, wenn es ausreicht, den Hörer abzunehmen (Automatikwahl) oder vielleicht noch eine Taste zu drücken. Wenn die Person noch etwas "fitter" ist, kann man auch mehrere Zielwahltasten vorsehen – entweder auf dem Touchbildschirm oder als Hardwaretasten. Letzteres ist bei der angestrebten Zielgruppe vermutlich sinnvoller, da die Finger älterer Personen nicht mehr so gut von Touch-Sensoren erkannt werden.

Das Grannophone soll älteren Menschen Videotelefonie leichter machen

Eine andere Idee ist, einen Tastenwahlblock oder eine Wählscheibe zu verbauen. Dahinter steckt die Überlegung, dass bei Demenz vielleicht versucht wird, eine Rufnummer zu wählen, die die angerufene Person früher hatte - das Videotelefon fängt diesen Versuch dann ab und "mappt" den Anruf auf die aktuelle Nummer oder verbindet zu einem Familienmitglied, das dann "Fräulein vom Amt" spielt. Da Demenz die Kindheits- und Jugenderinnerungen am längsten unangetastet lässt (Ribotsches Gesetz), besteht eine reelle Chance, dass auch Demenzpatienten sich noch an die Funktion einer Wählscheibe erinnern – sogar noch eher als an die Bedienung des Tastenwahlblocks.

Ich versuche deswegen, ein Videotelefon zu konstruieren, das keine oder nur sehr wenige, dafür bekannte Bedienelemente hat, von der Gegenstelle aus fernbedienbar/fernwartbar ist und nur Komponenten verwendet, die auch während der Pandemie verfügbar, bzw. leicht durch Alternativen ersetzbar sind. So soll die Basisversion am Küchentisch ohne Spezialwerkzeug und ohne Löten gebaut werden können. Optimal wäre es, wenn man das Telefon auch mit Hörgeräten koppeln könnte und es notfalls auch seinen eigenen Uplink via LTE mitbringt.

Als Plattform dient mir ein Raspberry Pi – unter anderem wegen seiner großen Verbreitung, wegen der lötfrei zugänglichen GPIOs, der Bluetooth-Unterstützung, der leichten Erweiterbarkeit per USB, sowie bereits vorhandener persönlicher Erfahrung mit dem Pi in anderen Projekten.

Im Herzen das Grannophones sitzt ein Raspberry Pi

Ein weiteres Argument ist die gute Verfügbarkeit der Komponenten - sowohl der Pi selbst, als auch die Pi-Kameras hatten in der ganzen Pandemie nie Lieferschwierigkeiten. Bei letzteren liegt dies vermutlich daran, dass sie kein eingebautes Mikrofon und keinen USB-Anschluss haben und daher nicht so einfach für Videokonferenzen nutzbar waren.

Hinweis: Zur Nutzung der Kombination Raspberry Pi Zero + Raspberry Pi Kamera als USB-Webcam an einem normalen PC gibt es mittlerweile Tutorials, genauso für den Betrieb dieser Kombination als IP-Webcam. Für Smartphones gibt es auch entsprechende Apps, um sie am PC als Webcam einzuklinken und insgesamt scheint sich die Marktsituation nun doch wieder so weit stabilisiert zu haben, dass man nicht mehr in die Trickkiste greifen braucht, wenn man eine Webcam für Jitsi, BigBlueButton oder ähnliche Videokonferenzsoftware benötigt.

Das Gehäuse soll aus Sperrholz-, MDF- oder PETG-Platten bestehen – notfalls auch der Hörer. Dadurch soll der Nachbau auch ungeübten Bastlern möglich sein. Sperrholzplatten im Format DIN A5 mit 4mm Schichtdicke sind ein gut erhältliches Standardformat; MDF- oder PETG-Platten muss man sich auf dieses Maß zuschneiden (lassen). Aber alle diese Materialien lassen sich per Säge und auch in gängigen Lasercuttern weiterbearbeiten. Beim Einsatz einer Laubsäge ist Sperrholz allerdings eindeutig zu bevorzugen.

Mein Referenzgehäuse soll der kleinste gemeinsame Nenner sein, den möglichst viele nachbauen können. Ausgefallener geht mit entsprechender Löt-/Bastel-Erfahrung und Ausrüstung immer. Natürlich lässt sich auch ein kommerzielles Raspberry-Pi-Display-Gehäuse um 3D-gedruckte Komponenten wie Hörergabel und Kamerahalterung ergänzen, um daraus mit weniger Handarbeit, aber dafür mit mehr Planungsaufwand ein Grannophone-Gehäuse zu basteln.

Auch der Anschluss an den Fernseher und/oder der Betrieb mit einer abgesetzten Kamera (reguläre USB-Webcam, IP-Cam oder Raspberry Pi Zero mit PiCam) ist als Option denkbar, ebenso wie das seitliche Andocken eines "Besetztlampenfeldes" mit Kurzwahltasten.

Ein alter Pappkarton, zwei Schraubzwingen und ein Küchenbrettchen machen den Küchentisch zur Laubsäge-Werkbank

Für meine ersten Prototypen habe ich Wellpappe verwendet – deren Dicke ist mit der von Sperrholzplatten vergleichbar und sie lässt sich mit einem Teppichmesser zuschneiden und mit ein paar Papierstreifen plus Sprühkleber oder mit Selbstklebeetiketten verkleben. Statt Schrauben habe ich zur provisorischen Befestigung der Gehäuseschichten und Platinen auf abgebrochene Zahnstocher zurückgegriffen.

Ein Prototyp des Grannophones ...

... bei dem sich die Ausrichtung als nicht optimal erwiesen hat

Beim ersten Prototyp habe ich bemerkt, dass das Hochformat-Bild für das Grannophone ungünstig ist. Erstens liefert die Raspi-Kamera ihr Bild im Querformat, zweitens benötigt die Rotation des Bildes um 90 Grad zusätzliche Rechenleistung, drittens möchte ich den Weg für ein "Wohnzimmer-TV-Grannophone" offen halten - und der Wohnzimmer-Fernseher zeigt sein Bild nunmal auch im Querformat. Die alten BTX-Telefone wie das Multitel 12 der Bundespost, dienten mir dabei als Inspiration für das Gehäuse des zweiten Prototyps mit Querformat-Bildschirm.

Ich hoffe, dass ich in Kürze das erste Gehäuse aus Sperrholz fertig haben werde. Die erste (unvollständige) Version der Pläne steht schon auf GitHub. Allerdings ist die Entwicklung des Grannophones im Alleingang sehr zeitfressend – deswegen würde ich mich über Helfer freuen. Sowohl bezüglich des Gehäuses als auch bezüglich der Software gibt es noch offene Baustellen, die sich gut parallelisieren lassen würden, wenn es nur genügend Mitstreiter gäbe.

Den aktuellen Entwicklungsstand dokumentiere ich im Wiki der LUG Ulm. Interessierte können gerne dort vorbeischauen, sich einlesen, und sich über die angegebene Kontaktadresse melden, wenn sie eine Teilaufgabe übernehmen möchten. Außerdem gab es einen Vortrag zum Grannophone im Wissenshub auf der Maker Faire – Digital Edition 2021.

Übrigens: Wer das Glück hat, für eine Zielgruppe zu konstruieren, die mit einem Sprachassistent zurechtkommt, findet vielleicht auch im c't-Artikel "Amazons Alexa für Senioren einrichten" noch weiterführende Anregungen und Empfehlungen. (rehu)