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Energie-Gipfel Wirtschaftsstalinisten vs. Ökobolschewisten

Schon vor Beginn des Energiegipfels wird von Politik und Industrie mit harten Bandagen gekämpft. Denn bei der Frage, woher Strom, Wärme und Kraftstoffe der Zukunft kommen, geht es auch um Macht - und viel Geld.

Pünktlich vor dem Energiegipfel am Dienstag hat Umweltminister Sigmar Gabriel eine ganz neue Klasse von Managern in Deutschland ausgemacht: die "Wirtschaftsstalinisten". Dafür erntete der Sozialdemokrat prompt das Prädikat "Ökobolschewist". Der Ton zwischen Wirtschaft und Regierung ist also mehr als gereizt und das zeigt, dass es um viel geht. Um viel Energie, viel Geld und viel Macht.

Stahllobby drohte mit Auswanderung

Ein Nationales Energiekonzept soll noch dieses Jahr für die Zeit bis 2020 festlegen, woher Strom, Wärme und Kraftstoffe in Deutschland kommen sollen, damit auch die ehrgeizigen deutschen Klimaziele eingehalten werden. Für den Verteilkampf werden die ganz harten Bandagen herausgeholt. Industrievertreter erklärten in den vergangenen Tagen die wichtigsten Ziele der Regierung schon einmal pauschal für utopisch. Die Wirtschaftsvereinigung Stahl drohte sogar mit Auswanderung der gesamten Branche.

Auch aus den Papieren zum Gipfel wird deutlich, dass ein Konsens über die großen Linien weit entfernt ist. Was aus den Vorberatungen nach außen drang, läuft eher darauf hinaus, dass jeder seine bekannten Positionen noch einmal bekräftigt hat. Im Kern der Debatte stand zuletzt ein zwei Jahre altes Ziel der Bundesregierung. Die "Energieproduktivität" soll bis 2020 im Vergleich zu 1990 verdoppelt werden. 2020 soll also mit einer Einheit Energie doppelt so viel produziert werden wie 30 Jahre zuvor. Demnach müssten in den nächsten Jahren rund 17 Prozent des gesamten deutschen Energieverbrauchs eingespart werden.

Energieeffizienz soll steigen

Jährlich soll die Energieeffizienz um drei Prozent steigen - weit mehr als in den vergangenen Jahren, als die Rate bei nur noch 0,9 Prozent lag. Das geht gar nicht, sagen nun unisono Wirtschaftsvertreter, angefangen von BASF-Chef Jürgen Hambrecht über BDI-Präsident Jürgen Thumann bis zum Stahlmanager Dieter Ameling. Das geht sehr wohl, und wir haben auch schon einen "Aktionsplan Energieeffizienz", heißt es hingegen im Umweltministerium. Vor allem im Mittelstand könne noch viel Energie gespart werden, beim Heizen, beim Autofahren und bei Kühlschrank und Computer im privaten Haushalt. Wird das Drei-Prozent-Ziel erreicht, könnten im Jahr 2020 50 Milliarden Euro Energiekosten in Deutschland wegfallen, kumuliert seien es 300 Milliarden, sagt Umweltminister Gabriel. Dass es zu schaffen ist, steht für ihn außer Frage.

Davon hängt viel ab. Nur wenn massiv Energie gespart wird, können auch die deutschen Klimaziele eingehalten werden. Der Bundestag hat das Ziel ausgegeben, bis 2020 den deutschen Ausstoß von Klimagasen um 40 Prozent unter den Wert von 1990 zu bringen. In einer vom Kanzleramt angeforderten Studie wird vorgerechnet, dass dies machbar ist. Unabdingbare Voraussetzung ist aber das Drei-Prozent-Ziel bei der Effizienz. Werden nur zwei Prozent erreicht, läge die CO2-Minderung bei nur noch 30 statt 40 Prozent.

Energieversorger wollen Atomausstieg kippen

An dem Punkt kommt der Streit über die Atomkraft ins Spiel, den Industrie und Energieversorger auch bei den ersten beiden Energiegipfeln immer wieder aufbrachten. Die Industrie argumentiert wie folgt: Statt milliardenschwere Investitionen in sparsamere Maschinen und Prozesse zu erzwingen, möge man doch bitte die deutschen Atomkraftwerke länger laufen lassen. Die produzieren billig Strom und kein Kohlendioxid. Fertig. Die Energieversorger haben den Traum sowieso nie aufgegeben, den im Jahr 2000 unterschriebenen Atomkonsens zu kippen.

Abgesehen davon, dass es für den Ausstieg aus dem Ausstieg derzeit keine Parlamentsmehrheit gibt, laufen dagegen auch die neuen Spieler auf dem Strommarkt Sturm, nämlich die Ökostromproduzenten. Selbstbewusst verkündete der Bundesverband Windenergie jetzt, mit Windrädern könnte bis 2020 ein Viertel des deutschen Stroms produziert werden. Das ist die Größenordnung, die die Atomkraft derzeit hat. Dazu kommen noch Biomasse, Wasserkraft, Solarenergie. Rund 40 Prozent des deutschen Strommarkts wollen die Neuen nach internen Analysen bis 2020 erobern.

40 Prozent Ökostrom?

Verbunden damit wären Milliardeninvestitionen und eine Verdoppelung der Arbeitsplätze der Branche auf 500.000, locken die Ökostromer. Dafür stellen sie aber Bedingungen. Eine heißt, die Atomkraftwerke müssen vom Netz, denn der Ökostrom brauche Platz in den Leitungen. Und auch Platz auf dem Markt, kann man getrost hinzufügen. Wenn aus abgeschriebenen Atomkraftwerken Billigstrom in den Markt rauscht, bestehe weder ein Anreiz zum Sparen noch zum Umbau hin zu einem umweltverträglicheren Energiemarkt, wird argumentiert. Den Verbrauchern könnte es mit Blick auf höheren Erzeugungskosten des klimafreundlichen Stroms bange werden - wenn, ja wenn die Strompreise nicht ohnehin eigenen Regeln folgen würden. So steigen zum 1. Juli die Tarife, obwohl weder Brennstoffe, noch CO2-Rechte, noch die Netzentgelte, noch die Stromsteuer teurer geworden sind.

Verena Schmitt-Roschmann/AP AP

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