Erdbebenregion in Japan :
Kein Wasser, kein Strom, keine Straßenverbindung

Von Tim Kanning, Tokio
Lesezeit: 3 Min.
Nach dem Beben: Kalte Temperaturen sorgen auf der Noto-Halbinsel in Zentral­japan für neue Gefahren.
In der Erdbebenregion in Japan leben noch immer Tausende Menschen unter schwersten Bedingungen. Die Regierung will sie in Sicherheit bringen – doch viele sträuben sich.

Setsuko Mukai ist erleichtert. Zum ersten Mal seit mehr als zwei Wochen kann sie den Wasserhahn in ihrer Küche aufdrehen, und es kommt wieder Wasser aus der Leitung – frisch und klar, als wäre nichts gewesen. Die ältere Dame lebt in einem bergigen Teil der japanischen Stadt Suzu. Das schwere Erdbeben am Neujahrstag hat die Wasserleitungen in dem Ort zerstört. „Gestern konnte ich zum ersten Mal wieder baden“, sagt Mukai dem Fernsehsender NHK und lächelt. Doch vielen Freunden von ihr in anderen Teilen der Stadt geht es noch nicht so. Sie hat sie in ihr Haus eingeladen, damit auch sie endlich wieder baden und ihre Wäsche waschen können: „Wir sollten uns gegenseitig helfen, so gut es geht.“

Auch drei Wochen nach dem schweren Erdbeben, dem nach jetzigem Stand 230 Menschen zum Opfer fielen, sind auf der Noto-Halbinsel in Zentral­japan Tausende Menschen ohne Wasser und Strom. Das Beben mit einer Stärke von 7,6 und die vielen Nachbeben haben viele Leitungen zerrissen, Rohre bersten lassen und Pumpen in den Wasserwerken zerstört. Vor einer ­Woche waren nach offiziellen Angaben noch 55.000 Haushalte in der Region Ishikawa von der Wasserversorgung abgeschnitten. 8300 Haushalte waren weiter ohne Strom. 2500 Menschen in 22 Orten waren wegen zerstörter Straßen noch von der Außenwelt abgeschnitten.

Manche Menschen waschen sich in einem Bach

In diesen isolierten Dörfern leben die Menschen unter schwersten Bedingungen, wie die Association for Aid and Relief Japan berichtet. Vor wenigen Tagen hätten die Helfer erstmals Hilfsgüter in die Bergregion Machino nahe der Stadt Wajima bringen können: vorgekochten Reis, Fertignudeln, Trinkwasser in Flaschen, Toilettenartikel, mobile Öfen. Einige Bewohner des Orts, deren Häuser komplett zerstört wurden, schliefen nun in der zentralen Notfall-Sammelstelle. Andere lebten in ihren Autos. Da die Wasserversorgung noch nicht wiederhergestellt sei und die Wasservorräte zur Neige gingen, wüschen die Menschen sich, ihre Kleidung und ihr Geschirr in einem Bach. Die winterlichen Temperaturen ­machen das Leben unter diesen Umständen nicht nur beschwerlich, sondern auch gefährlich. Viele seien erkältet und brauchten Medikamente.

Die Behörden und Versorgungsunternehmen versuchen die Situation zu verbessern. Allein an der Wiederherstellung der Stromversorgung arbeiten 1000 Männer und Frauen. Telefongesellschaften ver­suchen in einem gemeinsamen Kraftakt, die gut 200 zerstörten Sendemasten wieder aufzubauen. Doch weite Teile der Halbinsel Noto sind bergig und schon deshalb nicht leicht zu erreichen. Viele Straßen sind verschüttet oder abgerutscht. Schneefall und eisige Temperaturen erschweren die Arbeiten. Der Wiederaufbau der Wasserversorgung dürfte noch Monate dauern. Zudem ist die Erdbebengefahr nicht gebannt, fast täglich gibt es Nachbeben.

Viele wollen sich nicht evakuieren lassen

Immer dringlicher appellieren die Behörden daher an die Bewohner, die Region vorübergehend zu verlassen. Das gilt auch für die gut 17.000 Menschen, die seit dem Beben in Notunterkünften wie Turnhallen und Schulgebäuden leben. In vielen dieser Einrichtungen grassieren Corona und Durchfallerkrankungen.

Doch trotz widriger Umstände wollen die meisten Bewohner in ihrer Heimat bleiben. 30.000 Schlafplätze in Hotels und Gaststätten haben die Behörden organisiert, vor allem in der etwa 100 Kilometer entfernten größeren Stadt Kanazawa. Dorthin dürften die Evakuierten kostenlos umziehen. Doch nur 1700 Männer und Frauen haben diese „zweite Evakuierung“ bislang mitgemacht.

Die Menschen in den Orten auf der Halbinsel seien eng miteinander verbunden, sie hülfen sich seit jeher in allen Lebens­lagen, sagte Takashi Kawabata, der die Notunterkunft in einer Turnhalle in Suzu leitet, der Zeitung „Asahi Shimbun“. Das mache es ihnen schwer, sich für den Umzug nach Kanazawa zu entscheiden. „Wenn sie jetzt den Bezirk verlassen, könnten sie sich nicht mehr gegenseitig helfen“, sagte Kawabata. Vor allem die Alten hätten Angst, ihr gewohntes Umfeld zu verlassen. Und die Jungen wollten die Alten nicht zurücklassen. ­Kawabata ist in Sorge, dass die Stadt noch einmal getroffen werden könnte: „Ich würde am liebsten alle in Sicherheit bringen, solange wir es noch können.“