Ein idyllischer, amerikanischer Vorort Anfang der achtziger Jahre. Wie viele Kinder spielen Will und seine Freunde das Fantasy-Rollenspiel „Dungeons & Dragons“, bei dem sie Teil einer interaktiven Fantasy-Geschichte sind. Aus diesem Spiel wird schnell furchteinflößender Ernst, als Will auf einmal wie vom Erdboden verschwindet. Immer mehr Dinge deuten darauf hin, dass nicht etwa ein weltliches Verbrechen, sondern eine bösartige Macht aus einer anderen Welt dafür verantwortlich ist.

So beginnt „Stranger Things“, die wohl wichtigste und beliebteste Serie im Köcher des immer populäreren Streaming-Dienstes „Netflix“. Der charmante Mix aus Mystery, Horror und Retro-Familienunterhaltung in der Tradition von „E.T.“ oder den „Goonies“ konnte schnell eine gewaltige Fangemeinde um sich versammeln und verfügt über einen beachtlichen Merchandising-Nachhall, für eine so junge Produktion ohne klassisches Hollywood-Budget.

Dank des nerdigen Themenkomplexes war es nur eine Frage der Zeit, bis „Stranger Things“ seinen Fans auch in Comic-Form nostalgische Gruselschauer über den Rücken jagen sollte. Statt günstig-solide Künstler nun einfach die vorliegende TV-Serie in Comicpanels transkribieren zu lassen und so schnelles Lizenz-Geld zu generieren, ging man aber erfreulicher Weise einen Schritt weiter. Während die erste Staffel der Serie fast ausschließlich aus Sicht seiner Freunde erzählt wurde, verfolgen Comic-Leser das selbe Geschehen nun aus Sicht von Will, der sich in einer bizarren Spiegelwelt, der „anderen Seite“ befindet.

Das sorgt dafür, dass sich besonders Fans der Serie auf ein besonderes Lese-Vergnügen, auf eine neue Perspektive der lieb gewonnenen Geschichte freuen dürfen. Autorin Jody Houser durfte sich bereits mit „Star Wars: Rogue One“ an der Comic-Umsetzung einer publikumswirksamen Lizenz beweisen. Auch bei „Stranger Things“ zeigt sie einen begeisterten, gar liebevollen Umgang mit dem Basismaterial und seinen Figuren, der mit der Thematik nicht vertrauten Lesern aber tatsächlich etwas oberflächlich und fad vorkommen könnte.

Mit seinen routiniert Grusel-affinen Zeichnungen liefert Italiener Martino einen soliden Job, verschwindet aber beinahe völlig im Schlagschatten der talentierten Koloristin Lauren Affe. Von dieser stimmungsvollen, organisch texturierten Pracht können sich viele teure Mainstream-Präsentationen gern eine große Scheibe abschneiden.

Ein pfiffig-unterhaltsamer Lizenzband, der ganz offensichtlich von Fans für Fans geschaffen wurde.


Leseprobe


STRANGER THINGS (Bd.1): Die andere Seite, Autor: Jody Houser, Künstler: Stefano Martino, 116 Seiten, Softcover, 15,00 Euro, Erschienen bei PANINI