Große Dinge werfen große Schatten, sogar auf dem Wasser, wo es so viel Licht und Freiheit gibt. Die Ducks sind mit einem Boot vor Entenhausen unterwegs, als ein gewaltiger Schatten über sie kommt. Es ist das Kreuzfahrtschiff „Kolossal“ von Klaas Klever, Konkurrenz-Phantastilliardär von Onkel Dagobert.
Das Enten-Boot schaukelt durch Wellen, die Ducks werden nass. Wer mag, kann also gleich im ersten Bild erkennen, dass es hier nicht bloß um eitel Freude geht, sondern auch um Schattenseiten. Im kolossalen Schatten des Schiffes färbt sich das Wasser obendrein tiefschwarz, es wird doch kein Schweröl aus der „Kolossal“ auslaufen? Direkt düster.
„Die Ducks auf Kreuzfahrt“ ist der Titel des aktuellen „Lustigen Taschenbuchs“ (Nr. 535), in mehreren Geschichten geht es um Passagierschiffe und Kreuzfahrt-Modalitäten. Die Enten aus Entenhausen gehen seit je dorthin, wo die Leser gern sind oder wären, seien es die lieblichen Vororte am Stadtrand mit Villa und Garten oder ferne Länder, in denen Schätze und Abenteuer locken.
Dagobert Duck lässt ein Kreuzfahrtschiff bauen
Der Kreuzfahrt-Boom schwappt also nicht zufällig ins „Lustige Taschenbuch“, das Publikum sitzt längst auf den Decks. Zudem versucht die Reihe den Anschluss an den Zeitgeist; nicht immer ganz mühelos und unangestrengt. Deshalb trägt Dagobert weiter Zylinder und Gamaschen, er sagt aber auch ganz selbstverständlich: „Wozu hat man allzeit ein Handy zur Hand?“
Damit telefoniert der erzkapitalistischste Erpel der Welt mit seiner Werft und lässt die „MS Duck“ bauen, um Klaas Klever zu einem Wettstreit um die beste Kreuzfahrttour herauszufordern. Bald liegen in Hamburg zwei Kreuzfahrtdampfer bereit zur Ausfahrt, von dort geht es Richtung Norden.
Beide Schiffe haben nur drei Decks, sind also wesentlich kleiner als die heutigen Kreuzfahrtriesen, auf denen 6000 und mehr Menschen Platz finden. Die „MS Duck“ erinnert nicht von ungefähr an die unvergessene „MS Deutschland“, auf der von 1999 bis 2015 das „Traumschiff“ gedreht wurde. Eine inzwischen ferne Ära.
Die „Lustigen Taschenbücher“ sind zwar eine deutsche Idee, großenteils werden die Geschichten aber in Italien geschrieben, gezeichnet und für die Buchserie übernommen. Ebenfalls in Europa, nämlich im niedersächsischen Papenburg, werden zudem gerade zwei neue Disney-Kreuzfahrtschiffe gebaut.
Der Konzern, zu dem auch die Ducks gehören, besitzt mit der Disney Cruise Line eine ansehnliche Kreuzfahrt-Flotte, von der „Disney Dream“ über die „Disney Fantasy“ bis zur „Disney Magic“. Die Schiffe kreuzen meist in der Karibik und steuern unter anderem eine unternehmenseigene Insel an, was schon ein bisschen nach Dagobert Duck klingt. Die Panzerknacker haben dort keinen Zutritt.
Im Hamburger Hafen führt Reeder Dagobert seinen Neffen Donald sowie Tick, Trick und Track stolz über die „MS Duck“. Es gibt Pools, einen Hundesalon und einen 9-Loch-Golfplatz samt Driving Range, was bei der Logistik eines eher kleinen Schiffes bescheidene Fragen aufwirft, aber egal.
Der Hundesalon ist allerdings eine bezaubernde Gemeinheit. Denn im anthropomorphen Kosmos Entenhausen gibt es natürlich keine echten Menschen. Die Passagiere und die Angestellten sind entweder Enten oder Hunde. Kapitän Vito Bürger und Chefstewardess Beate tragen Hundenasen im Gesicht.
Die Schurken im Spiel sind sowieso fiese Köter; als Dockarbeiter getarnt wollen sie die Fahrt der „MS Duck“ sabotieren. Das ist nicht so weit hergeholt: Die „Disney Fantasy“ wurde 2011 beschädigt, nachdem Unbekannte, angeblich Arbeiter, die Feuerlöschanlagen und Abwasserhähne geöffnet hatten.
In den klassischen Donald-Geschichten des legendären Autors und Zeichners Carl Barks waren unsympathische Figuren oft nicht Hunde, sondern Schweine, feiste, selbstgefällige Eber und Sauen, die hochmütig und standesbewusst mit Geld protzten – echter Schweinekapitalismus.
Auf Kreuzfahrt fehlen jetzt die Schweine, allerdings sind etliche Hunde massiv in die Breite gegangen, auch fette Gänse sind zu sehen. Und da Tiere an Bord erlaubt sind, gibt es jede Menge echte Hunde, die Gassi geführt werden.
Parallelen zu Kreuzfahrten mit der Disney-Flotte
Stationen der Wettfahrt sind Kopenhagen, Göteborg, Oslo, Reykjavík; eine Hundedame vom europäischen Städtebund notiert die Finessen des Bordprogramms und die Zufriedenheit der Kunden. Aber überall geht etwas schief, mal entkommen alle Hunde – die echten an der Leine –, mal fehlt es an Cocktailkirschen, mal schäumt der Pool vor lauter Flüssigseife.
Stets retten Tick, Trick und Track die Situation, indem sie die Lust und den Spieltrieb des Publikums entfachen. Die Passagiere rennen entzückt umher und rufen „Endlich kriegt man hier mal was geboten!“ und „So gut habe ich mich seit Jahren nicht mehr amüsiert.“
Bei Klaas Klever klappt alles, prompt mäkeln die Leute über Ereignislosigkeit. Unerfüllte Leere und spießige Unzufriedenheit an Bord: Die Tiere auf der Nordsee haben durchaus menschliche Sorgen. Es ist ein bisschen, als hätten sie David Foster Wallace’ tolle Anti-Kreuzfahrt-Reportage „Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich“ gelesen, aber die Quintessenz vergessen.
An Bord eines Enten-Kreuzfahrtschiffes scheint vor allem gepflegte Langweile zu herrschen. Die infantile Action macht aus Touristen glückliche Kinder, die aus Schaum eine Tschuk-Tschuk-Bahn formen und happy Blubberlutsch trinken. Das kommt so gut an, dass am Ende keiner mehr die angelaufenen Städte ansehen will.
Interessante Parallele: Die Disney-Flotte wirbt für ihre Schiffe mit „Unterhaltung pur“, „kribbeligen Attraktionen“ und dem „unverkennbaren Reiz des Ozeans“, in dieser Reihenfolge. Man muss dafür allerdings aushalten, dass einem eine überdimensionierte Micky Maus beim Essen auf die Schulter klopft oder, schlimmer noch, Goofy.
Micky Maus geht in der Geschichte „Ein Fall auf hoher See“ zusammen mit Minnie an Bord der „MS Luxuria“ mit mehr als 3000 Passagieren. Sie sind in einer (!) Kabine mit nur einem (!!) Bett untergebracht, das lässt Schlüsse zu, die früher undenkbar waren.
Bevor der Leser aber in Geschlechterdingen ins Grübeln kommt, beginnt an Bord ein Kriminalfall. Bestsellerautor Ben Florett hat ein Romanmanuskript verloren. Die Mäuse machen sich auf die Suche. Sie sind bei ihren Streifzügen über die Decks erkennbar die Jüngsten, man flaniert dort und speist in großer Manier zwischen Säulen.
Mit Diversität ist es nicht weit her. Auf der „Luxuria“ sind alte und mittelalte weiße Hunde unter sich. Dass Minnie und Micky schwarze Körper und Häupter haben, tut nichts zur Sache. Im „Lustigen Taschenbuch“ weht der Lufthauch des gesellschaftlichen Fortschritts, aber nicht zu sehr.
Einmal wird den gestressten Passagieren ein „Schnellkurs in Powerentspannung“ angeboten. Bestimmt gibt es für Enten auf Wunsch auch vegane Menüs, Gustav Gans bekommt jedenfalls Sauerampfersaft kredenzt. Einmal verlassen Donald und Dagobert den Tisch mit dicken Bäuchen, zurück bleiben Fischgräten und etwas, das verdächtig nach Schweinsknochen aussieht. Was für ein Enten-Frevel.
In der letzten Geschichte, „Hexe an Bord“, will die Reederei Nieshnarchos den Luxuskreuzer „Seefee“, der vor Neapel liegt, an Onkel Dagobert verkaufen. An Bord wird mit der Hexe Gundel Gaukeley gerungen, am Ende übernimmt Dagobert das Schiff.
Aus dem Schornstein der „Seefee“ steigt dunkler Rauch auf, es ist dasselbe Schwarz, das uns schon im allerersten Bild begegnet. Und das ist bemerkenswert, denn erneut wird hier, wenn auch nur indirekt, auf die Gefahren für die Umwelt durch Kreuzfahrtschiffe angespielt – Tourismuskritik am Puls der Zeit.
Dazu passt, dass Onkel Dagobert auf dem Bild stolz am Bug steht und sagt: „Als Erstes werde ich den Preis für die Kreuzfahrten kräftig erhöhen!“ Davon kann er dann die CO2-Abgabe bezahlen, die sicher demnächst fällig wird.
„Die Ducks auf Kreuzfahrt“ ist für 6,50 Euro erhältlich. Die Comic-Sammlung ist Teil der alle vier Wochen erscheinenden Serie „Lustiges Taschenbuch“.
Dieser Text ist aus der WELT AM SONNTAG. Wir liefern sie Ihnen gerne regelmäßig nach Hause.