D

ie AfD wurde einst „Professorenpartei“ genannt. Liberale Ökonomen prägten damals ihr Gesicht. Das ist Geschichte. Lange vorbei ist die wirtschaftsliberale und durchaus an individueller Freiheit orientierte Orientierung der Urpartei.

Heute haben wir es mit einer AfD zu tun, die auf dem Marsch in einen nationalen Sozialismus ist, die das Soziale als Wahlköder entdeckt hat und in Vorstellungen von Sozialpolitik schwelgt, die aus der Linken stammen könnten – zusammengerührt mit völkischen Ideen. Das spiegelt sich in den Wahlprogrammen der AfD für Brandenburg, Sachsen und Thüringen in diesem Jahr sowie in der parteiinternen Diskussion über die Renten-, Sozial-, Steuer-, und Arbeitsmarktpolitik.

In Sachsen taufte die Partei ihren Forderungskatalog optimistisch „Regierungsprogramm“ und spickte ihn mit Punkten, die so auch Teile linker Programmatik sein könnten und sind – etwa die Abschaffung des Hartz-IV-Systems, den Mindestlohn sowie massive Restriktionen für Zeit- und Leiharbeit. Rentenpolitisch versprach die AfD geringere Beiträge, einen Aufschlag für „kleine Renten“, Angleichung von Ost- und Westrenten sowie „Berücksichtigung von Erziehungs- und Pflegezeiten“. Ganz auf der Linie von Forderungen aus der Linken bewegt sich auch die AfD in Brandenburg, wenn sie in ihrem Wahlprogramm forderte, den Mindestlohn zu erhöhen. Das tut die Linkspartei auch.

Der Thüringer Landesverband, geführt von Björn Höcke, wird am deutlichsten. Im Programm für die Landtagswahl am Sonntag geizt die Partei nicht mit Wohltaten. Zunächst fordert die Partei „Familiengeld“. Das solle ermöglichen, dass „eine Familie mit kleinen Kindern von einem Gehalt leben kann“.

Damit nicht genug. Die Höcke-Partei möchte ein aus DDR-Zeiten vertrautes familienpolitisches Instrument wiederbeleben: den Familienkredit. Die Rückzahlung soll sich nach AfD-Vorstellung dann mit jedem Kind verringern. Den „Kredit abkindern“ nannte Volkes Stimme das in der DDR. Tiefe Eingriffe in die Wirtschaft sind der AfD zudem nicht fremd. Zwar sind die Löhne in der Bundesrepublik Sache der Tarifparteien, doch die Thüringen-AfD fordert unbekümmert Eingriffe des Staates in diesen Prozess des Aushandelns, die über Mindestlöhne hinausgehen: „Der Freistaat soll seinen Beitrag leisten, um eine Lohnentwicklung, entsprechend dem verteilungsneutralen Spielraum zu ermöglichen“, heißt es. Das alles resultiert aus einer Grundhaltung, die sich in der AfD-Selbstbeschreibung „patriotische Wirtschaftspolitik“ nennt.

Dass ausgerechnet die Thüringer AfD so massiv die soziale Karte spielt, ist kein Zufall. Die Landtagsfraktion um Höcke ist das Zentrum des radikalen „Flügels“, und der „Flügel“ bemüht sich seit längerer Zeit, das Soziale als AfD-Thema zu besetzen und Programm- sowie Theoriebildung voranzutreiben.

Besonders bemerkenswert ist das Rentenkonzept der Erfurter Landtagsfraktion. Wieder spiegelt dieses Papier Vorstellungen, wie sie auf der Linken ventiliert werden. Da sind zunächst Klassiker wie die Forderung, auch Selbstständige und Beamte zu Zwangsmitgliedern der gesetzlichen Rentenversicherung zu machen sowie eine so genannte „Staatsbürgerrente“, die Konzepten entspricht, wie sie etwa als „Lebensleistungsrente“ oder „Grundrente“ bekannt geworden sind – allerdings mit einem entscheidenden Unterschied. Solche Zuschläge will die Höcke-AfD nur deutschen Staatsbürgern zubilligen. Was die Finanzierung angeht, setzt die AfD auf höhere Löhne, die sie durch massive staatliche Eingriffe erzwingen will.

Das Rentenkonzept Höckes findet sich auch in einem AfD-Strategiepapier aus Niedersachsen wieder, das offenkundig sozialpolitische Vorstellungen des „Flügels“ bündelt. Die „Denkschrift“ mit dem Titel „Mit Sozialpatriotismus zur Sozialstaatsreform“ stammt von dem Landtagsabgeordneten Stephan Bothe und bedient Träume linkester Sozialpolitik. Bothe gibt das Ziel aus, die AfD müsse „die maßgebliche freiheitlich-soziale Kraft in diesem Land werden“.

Dazu setzt er unter anderem auf Enteignungsfantasien, wie sie die Linkspartei kaum schärfer formulieren könnte. Deren „Reichensteuer“ heißt bei ihm „Deutschlandabgabe“. Große Vermögen sind für ihn Folge von „Enteignung“. Bothe leugnet individuellen wirtschaftlichen Erfolg und ersetzt diesen Gedanken durch kollektivistische Ideologie, die dem Marxismus oder dumpfen Ideen einer „Volksgemeinschaft“ entsprungen ist: „Eine solidarische Deutschlandabgabe (…) ist deshalb eine Rückgabe von Geld. Geld, das die Gesellschaft in Deutschland als Ganzes gemeinsam erarbeitet hat.“

Die Individuen will er durch massive Anhebung von Abgaben in ein Zwangssystem pferchen, und dabei eben nicht nur „Reiche“ schröpfen. Bothe spricht von einem „jährlichen Rentensolidaritätsbeitrag von einem Prozent“ – auf alle Sparvermögen. Mit diesem Programm wäre problemlos eine Querfront Linkspartei – AfD denkbar.

Im theoretischen Vorfeld des AfD-„Flügels“ wird einer solchen Sozial-Strategie stark das Wort geredet. Im der Zeitschrift „Sezession“, herausgegeben von der Denkfabrik der Neuen Rechten in Schnellroda, zu der Höcke engste Kontakte pflegt, ist da im Juni zu lesen, die AfD müsse eine „Partei des kleinen Mannes“ sein. Sie müsse sich auf einen „solidarisch-patriotischen Sozialstaat“ besinnen. Die AfD solle sich zwischen dem „prekär beschäftigten Facharbeiter“ und dem „Akteur der marktradikalen Hayek-Gesellschaft“ entscheiden. Es gehe darum, Mehrheiten unter den „kleinen Leuten“ zu organisieren. Der Autor beschwört eine „übergeordnete Gemeinschaft“ und hält die „offene Marktgesellschaft“ für die Quelle aller Unsicherheit.

Doch noch ist der nationale AfD-Sozialismus nicht unumschränkt herrschende Partei-Ideologie. Eigentlich sollte im September ein Parteitag über die soziale Programmatik entscheiden. Der wurde ins kommende Jahr verschoben, denn noch immer gibt es Widerstand gegen den sozialen Linksdrall, nicht zuletzt von Parteichef Jörg Meuthen. Streit war vor den Wahlen im Osten unerwünscht – schließlich sind es vor allem die ostdeutschen Landesverbände, die mit einem modernen sozialistischen Nationalismus kokettieren. Nach deren jüngsten Erfolgen ist es aber wahrscheinlich, dass sich die Partei zu einer national-sozialistischen Partei entwickelt.

Dann entscheidet sich der AfD-Wähler für den Nanny-Sozialstaat, wirtschaftliche Unfreiheit und steuerliche Enteignungsfischzüge, wie sie die Linke schon seit Jahrzehnten propagiert. Das allerdings ginge einher mit unappetitlichen Ideen, die nur schwer den Bezug zum nationalsozialistischen Traum von der „Volksgemeinschaft“ verbergen können. Mit Freiheit für den Einzelnen hat das alles nichts zu tun.