Abstimmung im Bundestag: Grünen-Vorstoß für Tempolimit gescheitert

Grüne wollten auf Autobahnen generelles Limit von 130 km/h einführen ++ Umfrage: Mehrheit will Geschwindigkeit drosseln ++ Özdemir: Limit „wird auf Dauer kommen“

Der Vorsitzende des Verkehrsausschusses im Bundestag, Cem Özdemir (Grüne), hatte die Forderung seiner Partei nach einem Tempolimit auf Autobahnen verteidigt

Der Vorsitzende des Verkehrsausschusses im Bundestag, Cem Özdemir (Grüne), hatte die Forderung seiner Partei nach einem Tempolimit auf Autobahnen verteidigt

Foto: picture alliance / Patrick Seege

130-Stundenkilometer-Limit ist vorerst vom Tisch!

Ein Vorstoß der Grünen für ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen ist im Bundestag gescheitert.

In einer namentlichen Abstimmung votierten am Donnerstag 498 Abgeordnete für die Empfehlung des Verkehrsausschusses, den Antrag abzulehnen. Für den Grünen-Antrag positionierten sich 126 Abgeordnete, sieben Parlamentarier enthielten sich.

Abgegeben wurden insgesamt 631 Stimmen, wie Vizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) mitteilte.

„Wer die Autobahnen sicherer und den Verkehr fließender machen will, muss eine Geschwindigkeitsbegrenzung einführen“, sagte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter (49).

Die Bundesregierung sei die letzte Regierung in Europa, die sich logischen Argumenten zum Tempolimit verschließe. „Wir fordern die Koalition auf, ihre ideologische Blockade abzulegen und unserem Antrag zuzustimmen.“

Der Vorsitzende des Verkehrsausschusses im Bundestags, Cem Özdemir (53, ebenfalls von den Grünen), hatte die Forderung seiner Partei nach einem Tempolimit auf Autobahnen verteidigt.

Tempo 130 „bringt Klimaschutz, weniger Unfalltote, weniger schwere Unfälle“, sagte Özdemir im ARD-„Morgenmagazin“. Tempo 130 habe sich „weltweit durchgesetzt“, sagte Özdemir weiter. „Jeder, der schon mal in den Nachbarländern gefahren ist, weiß, wie gut es tut, wenn der Verkehr flüssiger ist“, führte er weiter an.

Die meisten Deutschen seien nicht „diejenigen, die mit der Lichthupe drängeln“ – insofern verstehe er nicht, für wen Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) spreche, wenn er ein Tempolimit ablehne. Der Grünen-Politiker verwies auch darauf, dass nur mit einem Tempolimit das automatisierte Fahren auf der Autobahn möglich sei. „Anders lässt sich das gar nicht machen.“

Das Tempolimit „wird auf Dauer kommen“, zeigte sich Özdemir überzeugt.

Ähnlich äußerte sich auch der Grünen-Bundestagsabgeordnete Christian Kühn. „Wir haben viele namentliche Abstimmungen in den letzten Monaten gehabt zu unterschiedlichsten Themen immer wieder, und wir haben es leider nie geschafft, da eine Mehrheit zu bekommen“, sagte Kühn im SWR2-„Tagesgespräch“.

Von daher glaube er, dass es auch an diesem Tag keine Mehrheit geben werde. Die Bundesregierung hatte einem Tempolimit Anfang des Jahres eine klare Absage erteilt. Das Umweltministerium erklärte damals, dass ein Tempolimit für die Klimabilanz sehr wenig bringe.

»Deutschland ist nicht Nordkorea

Auch SPD-Vize Ralf Stegner (60) hat sich in den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland für eine Höchstgeschwindigkeit auf deutschen Autobahnen ausgesprochen.

„Wenn wir nicht einmal das schaffen, wie sollen wir dann die viel größeren Maßnahmen wie den Klimaschutz hinbekommen? Kein Tempolimit gibt es nur noch in sehr wenigen Ländern. Deutschland ist doch nicht Burundi oder Nordkorea.“

Auch die SPD-Bundestagsabgeordnete Nina Scheer (48) sprach sich für eine allgemeine Geschwindigkeitsobergrenze aus. „Das heute nicht mehrheitsfähige, aber dringend auch zur Rettung von Menschenleben notwendige Tempolimit ist ein weiteres von vielen Beispielen für fehlende Handlungsfähigkeit der großen Koalition“, so Scheer.

Die SPD-Verkehrsexpertin Kirsten Lühmann sagte während der Debatte im Bundestag, ein Tempolimit führe zu weniger Toten, weniger Schwerverletzten und weniger Kohlendioxid (CO2).

Und weiter: Man habe den Koalitionspartner Union aber leider nicht davon überzeugen können. Daher werde der Großteil ihrer Fraktion gegen den Vorstoß der Grünen stimmen. „Aber nicht aus inhaltlichen Gründen, sondern allein aus Vertragstreue zu dieser Koalition.“

Tempolimits auf deutschen Autobahnen - infografik

»Deutschland sollte dem europäischen Weg folgen

Der Grünen-Vorstoß zielte darauf, auf den Autobahnen ein generelles Limit von 130 Kilometern pro Stunde einzuführen – zum 1. Januar 2020. Eine solche „Sicherheitsgeschwindigkeit“ sei überfällig, argumentierte Hofreiter.

Dies vermeide viele Unfälle und erhöhe deutlich die Kapazität der Autobahnen. Darüber hinaus schone es den Geldbeutel der Autofahrer und senke Verkehrslärm und den Klimagas-Ausstoß.

Die Grünen hatten zu dem Antrag eine namentliche Abstimmung beantragt.

Angesichts des Grünen-Vorstoßes hat sich der oberste Verbraucherschützer für eine solche Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen ausgesprochen. Viele europäische Nachbarn hätten sich im Sinne von Verkehrssicherheit und Klimaschutz für ein Tempolimit entschieden, sagte der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands, Klaus Müller, dem „Handelsblatt“.

„Deshalb kann ich nicht verstehen, dass Deutschland hier gegen den Strom schwimmt.“ Ein Tempolimit ergebe Sinn, „Deutschland sollte dem europäischen Weg folgen“, sagte der ehemalige Grünen-Politiker Müller.

► Verkehrsminister Andreas Scheuer (45, CSU) lehnt ein Tempolimit kategorisch ab. Umweltministerin Svenja Schulze (51, SPD) hatte sich offen dafür gezeigt. Ein SPD-Parteitag hatte sich 2007 für ein Tempolimit von 130 ausgesprochen.

Prinzipiell ist es unüblich, dass Anträge der Opposition von der Koalition unterstützt werden.

„Mit dem mutigen Beschluss zur Einführung eines generellen Tempolimits könnte der Bundestag ein Zeichen setzen und eine konkrete, kostenneutrale und sofort wirksame Maßnahme zur CO2-Einsparung im Straßenverkehr beschließen, so das Verbändebündnis „Tempolimit jetzt!“.

Und weiter: „An der Entscheidung für oder gegen ein Tempolimit lässt sich die Glaubwürdigkeit jedes einzelnen Abgeordneten für oder gegen den Klimaschutz ablesen“, so das Bündnis.

► Auf dem Großteil der deutschen Autobahnen gilt nach wie vor freie Fahrt.

► Komplett ohne Limits sind 70 Prozent der Fahrbahnkilometer, Baustellen nicht mitgezählt.

► Bei weiteren sechs Prozent zeigen elektronische Schilder bei entspannter Lage keine Beschränkungen an.

► Dauerhaft oder zeitweise geltende Beschränkungen mit Blechschildern gibt es auf 20,8 Prozent des Netzes, wie aktuelle Daten der Bundesanstalt für Straßenwesen für 2015 zeigen – am häufigsten sind Tempo 120 (7,8 Prozent) und Tempo 100 (5,6 Prozent). Unabhängig von beschilderten Abschnitten gilt auf Autobahnen seit mehr als 40 Jahren eine empfohlene „Richtgeschwindigkeit“ von 130.

Tempolimits in Europa – Karte EU

Das denken die Deutschen über ein Limit

► Mehr als die Hälfte der Bevölkerung (56,5 Prozent) spricht sich für ein allgemeines Tempolimit aus. Lediglich 16,8 Prozent lehnen eine Maximalgeschwindigkeit auf deutschen Autobahnen generell ab.

Das ergab eine aktuelle repräsentative Umfrage im Auftrag von mobile.de.

► Für jeden dritten Befragten (31,8 Prozent) sind 130 km/h die bevorzugte Obergrenze.

► Circa jeder zehnte Befragte sieht die allgemeine Höchstgeschwindigkeit bei 140 km/h (12,8 Prozent), 150 km/h (10,2 Prozent) oder 160 km/h (9,2 Prozent).

► Immerhin 14,7 Prozent wünschen sich ein Tempolimit bei maximal 120 km/h oder sogar weniger.

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Drei Viertel wollen sich sicher fühlen

77,6 Prozent der Befürworter gaben an, sich bei ihrer Meinung unter anderem vom Aspekt der gefühlten Sicherheit beeinflussen zu lassen.

► Mehr als jeder zweite Befürworter (53,3 Prozent) bezieht außerdem das Thema Umweltfreundlichkeit in die Entscheidungsfindung mit ein.

Nur 39 Prozent glauben aber an einen positiven Effekt eines Tempolimits auf die Umwelt.

► 19,8 Prozent sehen keinerlei positive Auswirkungen durch die Einführung einer Höchstgeschwindigkeit.

► Die Gegner des Tempolimits hingegen fürchten um ihre persönliche Freiheit – 46,4 Prozent ließen sich hier von dieser Meinung beeinflussen.

► Dennoch: 75,4 Prozent der Befragten sehen positive Effekte in der Einführung einer Geschwindigkeitsbegrenzung.

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