Newsticker
Schlagzeilen, Meldungen und alles Wichtige
Die Nachrichten heute: Newsticker, Schlagzeilen und alles, was heute wichtig ist, im Überblick.
Zum Newsticker
  1. Home
  2. Print
  3. DIE WELT
  4. Kommentar: Abenteuer Thüringen

DIE WELT Kommentar

Abenteuer Thüringen

Thüringen wird zum Labor für Deutschlands politische Zukunft. Die siebte thüringische Landtagswahl seit 1990 wird mehrere Trends bestätigen, die auch bundesweiten Signalcharakter haben.

Erstens: Das Wählerpotenzial der thüringischen CDU ist nahezu halbiert worden, besonders mit Blick auf ihr bestes Ergebnis von 51 Prozent 1999. Falls aus CDU-Sicht kein Wunder geschieht, fällt sie jetzt erstmals unter die 30-Prozent-Marke. Für Annegret Kramp-Karrenbauer und Angela Merkel ist das kein Rückenwind.

Zweitens: Die SPD hat rund zwei Drittel ihrer Wähler verloren, die Hälfte von ihnen in den vergangenen zehn Jahren. Egal ob eine große Koalition seit 2009 unter Christine Lieberknecht (CDU) oder Rot-Rot-Grün seit 2014 unter Bodo Ramelow (Linke) – die SPD verliert. Falls aus SPD-Sicht kein Wunder geschieht, sinkt sie in ihrer historischen Gründungsregion nun unter die Zehn-Prozent-Marke. Für Olaf Scholz und seine Konkurrenten um den Parteivorsitz ist das keine Ermutigung.

Drittens: Die Linke hat ihren prozentualen Wähleranteil seit 1990 verdreifacht. Sie hat am Sonntag nichts zu befürchten – außer dem möglichen Scheitern von Rot-Rot-Grün mit einem in Thüringen populären Regierungschef.

Viertens: Die AfD, die 2014 erstmals antrat, wird ihren Wähleranteil mindestens verdoppeln. Gemessen an den Prozentpunkten rechtsradikaler Gruppen seit 1990, könnte sie das Ergebnis rechts von der CDU sogar versechsfachen. Björn Höcke, der politische Kopf des nahezu rechtsextremen Flügels dieser Partei, könnte das beste Resultat seit der AfD-Gründung einfahren. Das bleibt für die Bildung des neuen AfD-Bundesvorstands nicht ohne Folgen.

Es wird Verweise auf die Landtagswahlen von 1927, 1929 und 1932 geben, als die thüringische NSDAP im Dreisprung von 3,5 auf elf und dann auf 42,5 Prozent kam. Das geschah mit einem anderen Programm und unter ganz anderen Umständen, aber die erste deutsche Landesregierung mit einem NSDAP-Minister 1929 ist auch 90 Jahre später ein Menetekel. Die CDU hält Abstand zur AfD, und sie tut das auch zur Linkspartei. Angela Merkels Satz, die CDU regiere weder mit Rechts- noch mit Linksradikalen, gilt unter Kramp-Karrenbauer unverändert weiter.

Falls also kein Wunder eintritt, das andere Kombinationen möglich machen würde, kommt es womöglich zu einer erstaunlichen Wendung der Dinge. Die inhaltlich gewandelte, aber nie aufgelöste, sondern immer nur umbenannte SED könnte 30 Jahre nach dem Mauersturz als Minderheitskabinett wieder eine Alleinregierung bilden. Das hätte man sich 1989 nicht träumen lassen.

torsten.krauel@welt.de

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant