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Deutscher Herbst Linksterrorismus

Mit diesen Tricks verteidigten Schily und Ströbele den RAF-Gründer

Im Oktober 1972 begann der Prozess gegen Horst Mahler, neben Ulrike Meinhof der Hauptinitiator der Rote-Armee-Fraktion. Otto Schily und Hans-Christian Ströbele übernahmen die Verteidigung. Ein Richter erinnert sich.
Leitender Redakteur Geschichte
„Die Anwälte“ – Die Bedeutung der Verteidiger für den RAF-Terror

Der Interviewfilm „Die Anwälte“ bringt nach Jahrzehnten drei Juristen zusammen, die Anfang der 1970er-Jahre politisch weitgehend einig waren. Doch Otto Schily wurde Bundesinnenminister, Hans-Christian Ströbele der Oberlinke der Grünen – und Horst Mahler Neonazi.

Quelle: RealFiction

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Die Sorgen vor dem Verfahren waren groß – das zeigten die Vorsichtsmaßnahmen der West-Berliner Justiz: Der große Schwurgerichtssaal im Kriminalgericht Berlin-Moabit mit der Nummer 700 erhielt kugelsichere Trennwände aus Panzerglas. Damit nicht genug: Auch die Fenster des Saals wurden zum Teil zugemauert. Die Parkplätze im Umfeld des Gerichtsgebäudes an der Turmstraße waren ohnehin gesperrt.

Denn am 9. Oktober 1972 begann vor dem Kammergericht der Prozess gegen Horst Mahler, den Vordenker und Mitbegründer der linksextremen Terrorgruppe Rote-Armee-Fraktion (RAF). Die Anklage legte dem vormaligen Anwalt zur Last, er habe die „Baader-Meinhof-Bande“ als kriminelle Vereinigung gegründet, sei ihr Rädelsführer und an ihrem ersten, gleich dreifachen Bankraub beteiligt gewesen.

1978 - Anarchist Trial In West Germany Two trials are awakening interest in the Federal Republic of Germany at the moment. In Düsseldorf the first trial against a member of the anarchist under ground organisation known as ''Baader Meinhoff Group'' has begun. The group schicked the German public with several acts of force since Andreas Baader was freed by force in May 1970 in Berlin. Almost every day the German press brings new headlines about the group which uses the same tactics as the South American city guerillas. The former journalist Andreas Baader wrote a letter from the underground some days ago which he signed with his own fingerprint. With his letter he announced increased combat action. In Düsseldorf the former member of the group, Karl Heinz Ruhland who was arrested by police on December 20th 1970 on trial. Among whom he says that he took part in many bank robberies of the Baader Meinhoff group. Mahler, who was thought to have taken part in the freeing of Baader, is in a Berlin jail at the moment because he is believed to have taken part in a bank robbery. In jail he wrote some time ago that the ''Baader Meinhoff Group'' is ''necessarily criminal''. The court in Düsseldorf is heavily guarded and Ruhland is hermetically sealed off. He makes his statements behind bullet-proof glass, because retaliation attacks by the anarchists are expected. Ruhland is planned as chief witness of the group. The former solicitor Horst Mahler, who is in jail in Berlin now, is strongly incriminated by the statements of Ruhland. he is said to have taken part in many bank robberies. Our photo shows Horst Mahler when he was acquitted of having freed arrested persons last year. Irene Goergens (left) and Ingrid Schubert (centre), members of the ''Baader-Meinhof-Group'' were convicted for 6 and 4 years resp. because of attempted murder and freezing of prisoners (one man was badly injured by a shot when Baader was freed |
Die RAF-Terroristinnen Irene Goergens (l.) und Ingrid Schubert (M.) mit Horst Mahler bei ihrem Prozess wegen der gewaltsamen Befreiung von Andreas Baader1970
Quelle: picture alliance / ZUMAPRESS.com

Der damals 35-jährige Volljurist und Richter Hansgeorg Bräutigam amtierte im Oktober 1972 als Pressereferent des Justizsenators und leitete damit die Justizpressestelle. Er war also an dem vielleicht spektakulärsten Prozess des Jahres nahe dran. Fast ein halbes Jahrhundert später legt Bräutigam nun seine Erinnerungen an diesen und an zwei weitere spektakuläre Terroristenprozesse in Berlin als Buch vor. Das ist wichtig, weil damit zum ersten Mal ein Justiz-Insider über diese Verfahren berichtet.

Bisher wurden sie nahezu ausschließlich von den Anwälten der damaligen Angeklagten beschrieben, die oft, wenngleich nicht immer insgeheim Helfershelfer der Terroristen waren, von sonstigen Gesinnungsgenossen oder von mal mehr, mal minder seriösen Gerichtsreportern. Die Sichtweise der Justiz hingegen war bisher in der öffentlichen Wahrnehmung unterrepräsentiert – das übrigens auch, weil kaum jemand die oft bis an den Rand der Selbstverleugnung ausgewogenen Urteile liest.

Bräutigam hat immer zu den meinungsfreudigsten Juristen des Landes gehört – Anfang der 90er-Jahre wurde er mehrfach wegen angeblicher Befangenheit in Prozessen gegen ehemalige SED-Größen abgelöst. Mit eben dieser Meinungsfreude schildert er das Verhalten der beiden Verteidiger von Horst Mahler, des gleichermaßen betont linken wie betont bürgerlichen Otto Schily und des schon damals in Denken wie Auftreten linksradikalen Hans-Christian Ströbele.

Die beiden Anwälte Otto Schily (M) und Hans-Christian Ströbele (r) passieren unkontrolliert am 09.10.1972 die Polizeisperre am Eingang des Gerichts in Berlin. Vor dem 1. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin-Moabit begann an diesem Tag der Prozess gegen den früheren APO-Anwalt Horst Mahler. Mahler wird vorgeworfen, an der Gründung einer kriminellen Vereinigung mitgewirkt zu haben, sowie die Beteiligung an Banküberfällen und unbefugter Waffenbesitz. | Verwendung weltweit
Auch als Verteidiger bleiben Rechtsanwälte "Organe der Rechtspflege": Schily und Ströbele auf dem Weg zum Mahler-Prozess
Quelle: picture-alliance / Chris Hoffman

„Schon die ersten Tage zeigten, dass die Verteidigung mit gezieltem Störfeuer und mit schweren Breitseiten auffuhr, um den Anklagevorwurf zu Fall zu bringen“, schreibt Bräutigam. Und so war es: Die beiden Verteidiger monierten gleich zu Beginn die Anwesenheit zweier Bundesanwälte als Anklagevertreter als angebliche Verletzung des „besonderen politischen und rechtlichen Status West-Berlins“.

Zumindest Schily, im Gegensatz zu Ströbele ein brillanter Jurist, wusste wohl, dass es sich um reine Spiegelfechterei handelte. Denn das Viermächteabkommen über Berlin vom September 1971 hatte geregelt, dass die Bindungen zwischen dem eingemauerten, aber freien Teil der Stadt und der Bundesrepublik Deutschland weiterentwickelt werden durften. Die zur Berliner Dienstelle des Generalbundesanwaltes abgeordneten Vertreter der Bundesanwaltschaft traten im Einklang mit den alliierten Schutzmächten als Anklagevertreter auf.

Es ging auch gar nicht um einen ernst gemeinten Antrag, sondern um Verzögerungstaktik. Das zeigte der nächste Antrag, diesmal nur von Ströbele vertreten (war es Schily einfach zu peinlich?). Der ehemalige Kanzleikollege des Angeklagten monierte allen Ernstes, das Gebot der Öffentlichkeit des Strafprozesses sei verletzt, weil Polizisten drei Zuhörern den Zutritt verweigert hätten.

(L-r) Verteidiger Hans-Christian Ströbele, der Angeklagte Horst Mahler und Verteidiger Otto Schily am 7. Verhandlungstag im Gerichtssaal in Berlin-Moabit am 23.10.1972. Dem Rechtsanwalt Horst Mahler wird vorgeworfen, an der Gründung einer kriminellen Vereinigung mitgewirkt zu haben, sowie die Beteiligung an Banküberfällen und unbefugter Waffenbesitz. Am 23.10. gab es erstmals Fotos vom Prozess. Der Vorsitzende des 1. Strafsenats des Kammergerichts in Berlin-Mobait hatte das strikte Film- und Fotografierverbot aufgehoben. Ein Kamerateam und ein Bildjournalist durften in der Mittagspause Aufnahmen machen. | Verwendung weltweit
Horst Mahler mit Schily und Ströbele am 23. Oktober 1972
Quelle: picture-alliance / dpa

Die Rüge hatte keinen Erfolg, denn es gab 40 Plätze für Pressevertreter und 50 weitere Zuhörerplätze im Saal 700; von mangelnder Öffentlichkeit konnte also wirklich keine Rede sein. Aber Ströbele hatte sein Ziel erreicht: Eine weitere halbe Stunde der Verhandlungszeit war vorbei und der Vorsitzende Richter genervt.

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Der Angeklagte Horst Mahler war am ersten Verfahrenstag in einer blauen Jacke im „Mao-Stil“ erschienen. Er reckte die Faust, lächelte und unterhielt sich durch Zurufe mit seinen im Gerichtssaal sitzenden Gesinnungsgenossen. Das Gericht missachtete er demonstrativ.

Die Anklageschrift wurde verlesen (mit 321 Zeugen und 40 Sachverständigen für einen glasklaren Fall). Mahler antwortete mit einem 45 Minuten langen, leiernd verlesenen Statement.

Der RAF-Rechtsanwalt Horst Mahler um 1970 in Berlin. Mahler war wegen Beteiligung an Banküberfällen und der Befreiung des RAF-Mitbegründers Andreas Baader 1974 zu 14 Jahren Haft verurteilt worden. Heute ist Mahler Mitglied der rechtsextremen NPD. | Verwendung weltweit
Horst Mahler Ende 1969 / Anfang 1970 vor seinem Abtauchen
Quelle: picture-alliance / dpa

Dann schlug wieder die Stunde der Anwälte und ihrer durchsichtigen Verzögerungstaktik: Sie verlangten die Aussetzung des Verfahrens, weil sie nicht vollständige Akteneinsicht bekommen hätten. Der Vorsitzende Richter war der Intelligenz und Rücksichtslosigkeit Schilys nicht gewachsen.

Denn an der zumindest weitgehenden Schuld Mahlers im Sinne der Anklage konnte kein Zweifel bestehen: Er hatte nachweislich die gewaltsame Befreiung von Andreas Baader am 14. Mai 1970 ermöglicht. Er war danach abgetaucht und zu einer Terrorausbildung nach Jordanien geflogen. Schließlich hatte die Polizei aufgrund eines Tipps Mahler am 8. Oktober 1970 in Charlottenburg festnehmen können – er hatte falsche Papiere und eine entsicherte Pistole bei sich.

Den Beamten hatte Mahler bei seiner Festnahme sehr gefasst gratuliert: „Kompliment, meine Herren!“ Mit ihm aufgegriffen wurden vier Gesinnungsgenossinnen, von denen zwei nachweislich direkt an der gewaltsamen Befreiung Baaders beteiligt gewesen waren.

ARCHIV - Hans-Christian Ströbele (l), Bundestagsabgeordneter der Partei Bündnis 90/Die Grünen, und der frühere Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) kommen am 30.10.2009 in Berlin zur Premiere des Films "Die Anwälte - Eine deutsche Geschichte". Der Film zeigt auch die Entfremdung der drei Männer, jede Biografie für sich ist ein dickes Buch wert. Während sich Mahler von ganz links nach ganz rechts bewegte und wegen Volksverhetzung und anderer Taten heute eine 12-jährige Haftstrafe absitzt, ist Ströbele das linke Gewissen der Grünen. Foto: Jens Kalaene dpa (zu dpa Korr: "Ströbele, Schily, Mahler: Ein deutscher Weg" vom 12.11.2009) +++(c) dpa - Bildfunk+++ | Verwendung weltweit
Hans-Christian Ströbele und Otto Schily 2009 bei der Premiere des Films "Die Anwälte - Eine deutsche Geschichte"
Quelle: picture-alliance/ dpa

Treffend beschreibt Bräutigam, wie mies die Verteidigung ablief: „Schily trug mit kalter, schneidender und manchmal mit ironischer Schärfe ein buntes Gemisch von begründeten und unbegründeten Anträgen vor, wobei er ständig zu den Journalisten und Zuschauern blickte, wie um von der Öffentlichkeit Beifall zu erheischen.“

Im Gegensatz zu einem verbreiteten Irrtum ist ein Verteidiger nicht berechtigt, im Sinne seines Mandanten zu jedem Mittel zu greifen. Auch im Strafprozess bleibt ein Anwalt ein Organ der Rechtspflege, also dem Rechtsstaat verpflichtet. Schily und Ströbele hätten ihren Mandaten daher bremsen müssen, als er zum Beispiel am 14. Verhandlungstag im Saal 700 zu gezielten „Aktionen“ gegen die vier Beisitzenden Richter aufrief.

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Am 21. Tag hatten die beiden Verteidiger den Vorsitzenden Richter so mürbe gemacht, dass ihm ein Flüchtigkeitsfehler unterlief und er abgelöst werden musste. Sofort beantragten die beiden „Linksanwälte“ die Aufhebung des Haftbefehls für den Terrorchef Mahler – natürlich und richtigerweise ohne Erfolg.

DEUTSCHLAND, BERLIN, 01.05.2001, Horst MAHLER (NPD), bei Rede auf NPD - Demo in Berlin. | Keine Weitergabe an Wiederverkäufer.
Seit Ende der 1990er-Jahre ist der Antisemit Mahler offen als Neonazi aktiv
Quelle: picture alliance / Ulrich Baumga

Am 44. Verhandlungstag hatte der Angeklagte das letzte Wort vor der Urteilsverkündung; er äußerte sich eindeutig: „Mit Richtern redet man nicht, auf Richter schießt man!“ Trotzdem fiel das Urteil ziemlich milde aus: Horst Mahler erhielt nur zwölf Jahre Haft. 1980 wurde er auf Bewährung entlassen, zwei weitere Jahre Freiheitsentzug erließ ihm die Justiz. Seit Ende der 1990er-Jahre ist Horst Mahler bekennender Neonazi und sitzt nach zahlreichen Verurteilungen wieder in Haft.

Hansgeorg Bräutigam: „Terroristen vor dem Kammergericht. Drei Berliner Strafprozesse nach 1968“. (BerlinStory Verlag, 142 S., 16,95 Euro)

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