„Wie soll man denn ohne Humor eine Steuererklärung machen?“

Kann man über das Scheitern der Kommunikation sprechen? Schreiben? Zeichnen? Die gefeierte Mainzer Illustratorin Julia Bernhard wagt sich in ihrem Graphic-Novel-Debüt „Wie gut, dass wir darüber geredet haben“ an diese paradoxe Aufgabe. Als Illustratorin ist Bernhard schon seit Jahren erfolgreich, vor allem auf sozialen Plattformen wie Instagram. Im Presse-Interview, das wir mit freundlicher Genehmigung des Avant-Verlags präsentieren, spricht sie über soziale Medien und andere Kommunikationskiller, über Zimmerpflanzen, Pastelfarben und die schlimmsten Omasprüche.

Liebe Julia, du hast an der Hochschule Mainz Illustration und Grafikdesign studiert und arbeitest inzwischen als freie Illustratorin für verschiedene deutsche und internationale Verlage und Medien, darunter auch das weltweit bekannte Magazin The New Yorker. Nun erscheint mit „Wie gut, dass wir darüber geredet haben“ dein Debütbuch als Comickünstlerin. War Comic schon immer Teil deiner Ausbildung und künstlerischen Ausrichtung? Wie kommt man von der klassischen Illustration zum sequentiellen Erzählen?
Comiczeichnen war nie ein aktiver Teil meines Studiums. Ich habe Kommunikationsdesign mit Schwerpunkt Editorial- und Buchillustration studiert und selbst kaum Comics gelesen. Das hat sich schlagartig geändert, als ich kurz vor meiner Bachelorarbeit über „Maus“ von Art Spiegelman gestolpert bin. Da wurde mir plötzlich bewusst, welche unglaublichen Möglichkeiten des Geschichtenerzählens sich aus der Kombination von Wort und Bild ergeben können. Danach habe ich von heute auf morgen angefangen, obsessiv Comics zu zeichnen. Mein erstes Projekt war gleich eine Graphic Novel von 120 Seiten im Rahmen meiner Bachelorarbeit. In den Jahren darauf habe ich kontinuierlich neben meinen Aufträgen und dem Studium die kleinen One-Panel-Gags gezeichnet, die auf Instagram zu sehen sind, und arbeite mich jetzt langsam wieder zu immer längeren Erzählformen vor.

Schaut man sich dein Portfolio an, entdeckt man vor allem kurze, knackige Comic-Miniaturen. Ein-Panel-Comicgeschichten oder kleine Sachcomics mit vier Panels für das US-Magazin The Nib. Liegt dir diese Verdichtung, in einem oder einigen wenigen Comicbildern etwas zu erzählen? Welche Vorteile und welche Herausforderungen bringt diese Art der Narration für dich?
Ich mag den Druck und die Herausforderung, mich kurzzufassen und Dinge auf den Punkt zu bringen. In meiner Erfahrung führen formelle Beschränkungen (wie in diesem Fall eine begrenzte Zahl an Panels) dazu, dass man kreativere Lösungsansätze findet, weil man nicht alles so umsetzen kann, wie man es aus dem ersten Impuls heraus gerne tun möchte. Ich mag gerne feste Parameter, in deren Rahmen ich mich austoben kann. Dazusitzen und darüber nachzudenken, wie man eine Unterhaltung so weit herunterbrechen kann, dass sie in maximal zwei Sätze und ein Bild passt, macht mir unglaublichen Spaß. Der Vorteil ist, dass es schnell geht. Der Nachteil ist, dass ich eigentlich nie so viel schreiben kann, wie ich gerne möchte. Für The Nib habe ich mal mein Exposé von einer halben Din A4-Seite Text auf vier Panels à drei Sätzen eingedampft. Das war ganz großes Tennis.

Julia Bernhard (Autorin und Zeichnerin): „Wie gut, dass wir darüber geredet haben“.
Avant-Verlag, Berlin 2019. 96 Seiten. 20 Euro

„Wie gut, dass wir darüber geredet haben“ ist eine Sammlung von verschiedenen Situationen und Beobachtungen in Comicform. Hattest du einen roten Faden für das Buch, als du mit der Arbeit an den Storys begonnen hast? Oder hat sich das organisch entwickelt?
Ich wusste von Anfang an, dass ich eine Sammlung aus unangenehmen Unterhaltungen zusammenstellen wollte. Die Geschichten selbst haben sich aber relativ spontan eine nach der anderen auseinander entwickelt. Mir war dabei nur wichtig, möglichst viele verschiedene Arten zwischenmenschlicher Beziehungen abzudecken, um zu zeigen, dass Kommunikation auf jeder Ebene problembeladen ist.

Was ist für dich das Oberthema, das die einzelnen Geschichten verbindet?
Das alltägliche Scheitern zwischenmenschlicher Kommunikation. Und im Fall der Protagonistin, die Unfähigkeit, zu verbalisieren, was sie wirklich denkt oder fühlt. Ich habe oft den Eindruck, dass diese Art von passiver Duldungsstarre vielen Frauen noch immer anerzogen wird. In Situationen, in denen sie wütend sind oder für ihre eigenen Bedürfnisse einstehen wollen, wird ihnen stattdessen beigebracht, die Klappe zu halten, um nicht bei ihrem sozialen Umfeld anzuecken. Das finde ich höchst problematisch. So wie Männern vermittelt wird, dass sie keine Schwäche zeigen dürfen, bringt man Frauen bei, immer abwartend und gefällig zu sein. Die Protagonistin ist ein Stück weit das symptomatische Abbild dieser Art von Erziehung. In letzter Konsequenz löst sie sich am Ende meiner Geschichte sogar lieber auf, als sich einer Konfrontation zu stellen.

Was fasziniert dich an zwischenmenschlicher Kommunikation bzw. ihrem Scheitern? Warum ist der Akt des Miteinandersprechens erzählenswert?
Mich fasziniert, dass das Konzept von Kommunikation unglaublich simpel und gleichzeitig extrem störanfällig ist. Streng genommen wird lediglich eine Nachricht vom Sender zum Empfänger übermittelt. Weil aber Wahrnehmung subjektiv ist und es keine allgemeingültige Wahrheit gibt, kommt beim Empfänger oft etwas vollkommen anderes an, als der Absender beabsichtigt hat. Jeder Mensch hat seine ganz eigene, sozialisationsbedingte Art, eine Aussage zu interpretieren. Was da alles schiefgehen kann. Ist doch herrlich! Menschen haben schon seit Jahrtausenden Übung darin, miteinander zu kommunizieren, aber funktionieren will es trotz allem nicht so richtig. Das bietet unerschöpfliches Potenzial für Geschichten.

Seite aus „Wie gut, dass wir darüber geredet haben“ (Avant-Verlag)

Du hast aktuell über 90.000 Abonnent*innen bei Instagram. Wie wichtig sind soziale Medien für dich als Künstlerin und Freiberuflerin? Und wie schätzt du – wenn wir schon beim Thema Kommunikation sind – den Einfluss und den Effekt der sozialen Medien auf die zwischenmenschlichen Beziehungen ein?
Instagram ist für mich enorm wichtig. Darüber haben sich für mich solche wunderbaren Möglichkeiten ergeben, wie für den New Yorker und The Nib zu arbeiten. Noch dazu ist mit den Jahren auf meinem Account eine wirklich tolle Gemeinschaft entstanden. Ich bin jedes Mal unglaublich glücklich darüber, wenn Leute mir schreiben, dass sie sich in meinen Comics wiedererkennen. Ohne Instagram gäbe es diesen direkten Austausch für mich nicht.

Man darf nur nicht vergessen, dass der Erfolg, den man auf Instagram hat, einen nicht als Person definiert. Sich darauf etwas einzubilden, finde ich bedenklich. Insgesamt stehe ich den neuen Medien also eher ambivalent gegenüber. Die Gefahr, sich selbst einen Echoraum zu generieren, der einem eine Realität suggeriert, die nicht mehr deckungsgleich mit der Mehrheitsbevölkerung ist, ist relativ hoch. Da sollte man regelmäßige Realitätsabgleiche durchführen. Auch wenn‘s weh tut.

Sind deine Geschichten komplett fiktional oder sind das Situationen und Gespräche, die du selbst erlebt hast? Welche Art von Situationen inspirieren dich dazu, zum Stift zu greifen und sie auf Papier zu bringen?
Die Geschichten sind eine Mischung aus Fiktion, Unterhaltungen, die ich oder Freunde von mir geführt haben und mitgehörten Gesprächfsfetzen. Keine davon hat tatsächlich 1:1 in dieser Form stattgefunden und keine der Personen, Tiere oder Zimmerpflanzen existieren so in der Realität. Immer wenn ich im Alltag absurde Unterhaltungen mitbekomme, schreibe ich mit. Die Geschichten sind sozusagen ein Best-of meiner Aufzeichnung aus den letzten Jahren. Am meisten faszinieren mich Unterhaltungen, in denen offensichtlich ist, dass mindestens eine Partei nicht das sagt, was sie wirklich denkt.

Seite aus „Wie gut, dass wir darüber geredet haben“ (Avant-Verlag)

Alle Geschichten in „Wie gut, dass wir darüber geredet haben“ haben auch einen sehr unterkühlten, beobachtenden Humor gemein. Wie wichtig ist Humor, um den Alltag zu meistern?
Alltag ist ohne Humor nicht zu bewältigen. Wie soll man denn ohne Humor eine Steuererklärung machen? Das Leben ist so absurd, dass es grob fahrlässig wäre, ihm nicht mit Humor zu begegnen.

Deine Bildsprache ist sehr clean und aufgeräumt, sie lässt die Dramen, die sich um die Protagonistin abspielen, wie stumm gestellt erscheinen. Hattest du schon vor Beginn des Projekts die grafische Ausarbeitung im Kopf oder hat sie sich erst während der Arbeit ergeben?
Mein Stil war eigentlich schon immer klar und aufgeräumt. Dafür lasse ich es inhaltlich gerne messy werden. Die Diskrepanz zwischen Text und Bild, die sich dabei ergibt, finde ich interessant. Was allerdings neu ist, sind die Pastellfarben. Die habe ich ganz bewusst für den Comic gewählt. Es geht ja ganz viel darum, Haltung zu bewahren, während man eigentlich mit spitzen Gegenständen um sich werfen möchte, dazu erzeugen diese zarten Farben einen schönen Kontrast.

Und zum Schluss noch drei Quickies: Der schlimmste Small Talk, den du jemals hattest?
Einmal jährlich bei der Frauenärztin. Das ist nicht schön.

Der schlimmste Oma-Spruch?
„Frauen mit deiner Größe sollten keine hohen Schuhe tragen.“

Die beste Art, Schluss zu machen?
Mit einem Flashmob in der Fußgängerzone.

Seite aus „Wie gut, dass wir darüber geredet haben“ (Avant-Verlag)