Gräberfeld für 15 ausländische Opfer des NS-Systems

Im Mai 2021 wurden unter Aufsicht des russischen Konsulates und der Kriegs­gräberfürsorge zwölf sowjetische Zwangsarbeiter und Zwangs­arbei­terinnen, zwei ihrer Kinder und ein Opfer eines Todesmarsches auf ein Gräberfeld des kommunalen Friedhofs in Solingen-Burg umgebettet. Sie waren während des Zweiten Weltkriegs in Burg ums Leben gekommen und zuvor auf dem alten kommunalen Friedhof begraben, der Ende 2024 aufgegeben werden soll. Die feierliche Einweihung des Erinnerungsortes fand am 23. August 2021 im Beisein des Solinger Oberbürgermeisters und russischer Gesandter statt.


Die Umbettung war angeregt worden, da der alte Friedhof eher unbekannt ist. Man hätte dort zwar eine Gedenkfläche mit den Gräbern belassen können, aber am neuen Standort sind die Toten nun in würdigem Rahmen bestattet und ihr Schicksal wird durch den Erinnerungsort mit drei Informationstafeln sichtbarer. Nach dem ersten Kontakt zum Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge wurde das Vorhaben von dort auch gegenüber der Bezirksregierung unterstützt, die schließlich die anfallenden Kosten übernahm. Auch die russische Seite hat die Umbettung unterstützt und begleitet. Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge berichtete am 27. Mai 2021 über die Umbettung: „Dem Vergessen entrissen“

Zwangsarbeit in Solingen und Burg

Zwangsarbeit im „Dritten Reich“ war ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, in dem die Industrie zwar den zahlenmäßig größten, aber eben auch nur einen Teil der Menschen beschäftigte. Jeder, der damals in Solingen irgendeine Dienstleistung anbot oder in Anspruch nahm, war Nutznießer dieser erzwungenen Arbeitsleistung. Während des Zweiten Weltkriegs sind etwa 16.000 zivile ausländische Arbeits­kräfte und Kriegsgefangene nach Solingen verschleppt worden. Sie wurden außer in der Industrie auch bei der Stadt, in Handwerksbetrieben, in der Landwirtschaft und in Privathaushalten eingesetzt. Insgesamt sind über 550 Arbeitgeber bekannt.

Ab März 1942 koordinierte in Deutschland der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz, Fritz Sauckel, die Anwerbung beziehungsweise Verschleppung und den Einsatz der Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen, der nun vor allem in den besetzten Gebieten der Sowjetunion stattfand. Diese sogenannten „Ost-Arbeiter“ und „Ost-Arbeiterinnen“ waren oft einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt, die zu zahlreichen Todesfällen führte. Erst nach und nach wurden ihre Lebensbedingungen verbessert. Die Einsicht hatte sich durchgesetzt, dass hungernde und misshandelte Menschen keine Leistung erbringen konnten. Über die Arbeitszeit der ausländischen Arbeitskräfte kann keine allgemeingültige Aussage getroffen werden, sie lag täglich zwischen 8 und 12 Stunden an 6 Tagen in der Woche.

Arbeiterinnen aus der Sowjetunion mit „Ost“-Aufnähern an der Kleidung bei der Walder Firma Kortenbach & Rauh, Quelle: Stadtarchiv Solingen, RS 15650

Die in Burg bestatteten Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter waren bei der Firma „Kugelfabrik Schulte & Co“ beschäftigt. Das Unternehmen mit Sitz in Wermelskirchen hatte das Zweigwerk unter der Adresse Burgtal 8 im Mai 1938 eröffnet. Bis zu 100 Frauen und Männer aus der Sowjetunion, Polen, Italien, Frankreich, Belgien und Holland arbeiteten in der Produktion von Rollen, die als kriegswichtig eingestuft waren.

Der Bombenangriff vom 4. November 1944

Acht der Arbeiter und Arbeiterinnen kamen in direkter Folge der Bombardierung Solingens und Wermelskirchens vom 4. November 1944 ums Leben. Ihre Baracken im Burgtal hatten keinen Treffer abbekommen, so dass davon auszugehen ist, dass sich die Betroffenen während des Angriffs am arbeitsfreien Samstagnachmittag im Freien aufhielten. Eine weitere Arbeiterin, Anna Smjalischinska, erlag erst am 26. Januar 1945 ihrer Verwundung in den Remscheider Krankenanstalten.

Der siebenjährige Pawel Ssumorow war vom 3. bis 6. November 1944 in den Remscheider Krankenanstalten in Behandlung gewesen. Er starb kurz darauf am 10. November an einer Lungenentzündung. Der Junge war wohl zusammen mit seiner Mutter Marija nach Deutschland verschleppt worden. Sie kam im April 1945 in Burg ums Leben.


Albert Schulte, der Inhaber der „Kugelfabrik“, hatte sich bei Bürgermeister Georg Lotzges kurz nach dem Bombenangriff nach einer würdigen Bestattung für die Toten erkundigt. Der bekennende Nationalsozialist Lotzges lehnte dies mit dem Hinweis ab, die „Ost-Arbeiter“ würden laut Vorschrift „eingescharrt“, sie bedürften keinerlei weiterer Feierlichkeiten.

Auszüge aus der Korrespondenz hierzu (Stadtarchiv Solingen, B 1546):

Kreisobmann der DAF an NSDAP-Kreisleitung Berg.-Land, Wermelskirchen, Betrifft: Beerdigung der bei dem Terrorangriff am 4. d.M. tot gebliebenen Ostarbeiterinnen der Firma Schulte in Burg, o.D.:
„Der Betriebsführer, Herr Schulte jr., hat die 8 Leichen zur Leichenhalle hingeschafft, hat den Bürgermeister in Burg wegen der Beerdigung und Einsargung derselben in Kenntnis gesetzt und gebeten, ihn zu verständigen, an welchem Tage die Beerdigung stattfinden sollte, damit er eine Abordnung der Ostarbeiter dort hinschicken könnte. Daraufhin hat der Bürgermeister erklärt, daß dieses alles nicht nötig sei (,) es handelte sich um Russen (,) die eingescharrt würden.“

Bürgermeister an SD-Außenstelle Remscheid, Betr.: Bestattung von Ostarbeiterinnen, Ihr Schreiben v. 3.1.45. Burg, 7.1.45:
Er sei überlastet, kenne seit 1939 keinen Urlaub mehr, habe die Angelegenheit als unwesentlich betrachtet, da sie jeder Grundlage entbehre, habe sich mit kriegswichtigen Dingen beschäftigt. Zu Sache:
1. Die Öffentlichkeit habe von Beerdigung keine Notiz genommen.
„Das ganze Mitgefühl und die innigste Teilnahme der gesamten Bevölkerung gehörte aus ganz natürlichen Gründen allein den am 4.11.44 gefallenen deutschen Volksgenossen aus Burg.“
2. Firmeninhaber Albert Schulte habe lediglich angefragt, wo die Ostarbeiterinnen beerdigt werden sollten. Von Gendarmerie-Hauptwachtmeister Amann sei ihm der kommunale Friedhof angewiesen worden. Hiermit sei Tätigkeit der Verwaltung erschöpft gewesen.
„Wie und in welchem Ritus die Ostarbeiterinnen beigesetzt wurden, ist Sache des Arbeitgebers. Im übrigen bin ich ja kein Beerdigungsinstitut.“
3. Die Bevölkerung würde nicht verstehen, wenn sie wüßte, daß er sich wegen dieser Angelegenheit rechtfertigen müßte.
„Als ,alter Nazi‘ und treuer Gefolgsmann meines Führers weiss ich genau (,) was ich zu tun habe und handle danach. Heil Hitler!“

Häufigste Todesursache unter den Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern in Solingen war der Tod bei Fliegerangriffen. Allein bei den beiden großen Angriffen von November 1944, bei denen weite Teile der Innenstadt zerstört wurden, starben neben 1.500 Deutschen mehr als 150 ausländische Arbeiter und Arbeiterinnen. Die Mehrzahl der Toten wurde auf dem Kommunalfriedhof an der Wuppertaler Straße beigesetzt.

Das Kriegsende in Burg

Vier weitere sowjetische Bürgerinnen und Bürger, darunter die achtjährige Marija Kopitko, starben während der Befreiung Burgs am 15. April 1945. Die nachträglich dokumentierten Berichte geben als Todesursache „gefallen durch Granaten“ an. Ob sie Opfer des Beschusses durch US-Truppen wurden oder im Zuge deutscher Rückzugsgefechte starben, ist nicht zu klären. Die beiden italienischen Zwangsarbeiter Raffaele Santanstasio und Aurerlio Solideri, die ebenfalls in diesen Tagen ums Leben kamen, wurden später in ihre Heimat überführt.

Mit der Sprengung von zwei Brücken über den Eschbach und die Wupper durch deutsche Truppen wurde in den letzten Kriegs­tagen versucht, den Einmarsch der Alliierten zu verhindern oder zu verzögern. Mehrere Häuser, darunter das Zweigwerk von Schulte, wurden dabei schwer beschädigt.

Skizze der Gräber der vier sowjetischen Opfer und zweier Italiener, die am 15.4.1945 in Burg ums Leben kamen. Quelle: DE ITS 5.3.5 6.64/101104722, Arolsen Archives

Der Todesmarsch aus dem KZ-Außenlager Düsseldorf

Anfang März 1945 erreichte eine Kolonne von ursprünglich 1 000 KZ-Häftlingen Burg an der Wupper. Die völlig entkräfteten Männer waren zu Fuß aus einem Nebenlager in Düsseldorf in Richtung des Konzentrationslagers Buchenwald bei Weimar getrieben worden. Einer der Häftlinge, der hier zusammenbrach, wurde vermutlich erschossen und am Straßenrand verscharrt. Es soll dort angeblich nach dem Krieg ein Holzkreuz mit dem Namen mit dem Namen des Holländers Gerth Sahm an den Toten erinnert haben, bevor er 1949 auf den Friedhof umgebettet wurde. Seine Identität konnte nie abschließend geklärt werden.


Auf dem Gräberfeld des kommunalen Friedhofs in Burg sind bestattet:

Lageplan des Gräberfelds

Hinweis: die Links führen zu den jeweiligen Urkunden aus den Sterberegistern von Burg an der Wupper (Stadtarchiv Solingen), bzw. aus den Sterberegistern von Remscheid (Arolsen Archives). Die teilweise abweichende Schreibweise der Namen wurde vom russischen Konsulat autorisiert.

Die Gestaltung der Infostelen wurde in Kooperation zwischen dem Max-Leven-Zentrum Solingen/Stadtarchiv, dem Solinger Appell, dem Lokalhistoriker Jürgen Weise und den Technischen Betrieben Solingen entwickelt. Die Tafeln wurden von der Firma Ätztechnik Herbert Caspers GmbH & Co. KG hergestellt und die Rahmen von der Jugendhilfe-Werkstatt Solingen e.V. Foto: Daniela Tobias

Einweihung des Gräberfelds am 23. August 2021 in Anwesenheit von Oberbürgermeister Tim Kurzbach, Iuliia Safronova vom russischen Generalkonsulat Bonn und Wolfgang Held vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Die Gräber wurden von einem russisch-orthodoxen Geistlichen geweiht. Fotos: Daniela Tobias

Quellen:
– Armin Schulte, „Es war so schwierig, damals zu leben.“ Ausländische Zivilarbeiter und Kriegsgefangene in Solingen 1939-1945, Solingen 2001
– Peter Henkel, „Die Düsseldorfer KZ-Außenlager: Einsatz von KZ-Häftlingen in Düsseldorf zwischen 1942 und 1945.“ Kleine Schriftenreihe der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf, Bd. 6, Düsseldorf 2016
– Stadtarchiv Solingen: „Solinger Chroniken 1945–1949“, Solingen 1995

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