FAQ Wie gefährlich sind die Target2-Salden für Deutschland?

Stand: 21.09.2020 13:14 Uhr

1.056 Milliarden Euro. So hoch war der Target2-Saldo der Bundesbank im August. Damit lagen die Forderungen der Bundesbank gegenüber der EZB zum zweiten Mal über der Eine-Billion-Marke. Doch was sagt diese Zahl tatsächlich aus? Und wie gefährlich sind die Target-2 Salden für Deutschland?

Von Julia Wacket, boerse.ARD.de

Die Forderungen der Deutschen Bundesbank gegenüber der Europäischen Zentralbank (EZB) im Rahmen des Zahlungsverkehrsystems Target2 sind im August erneut um rund 37 Milliarden Euro gestiegen. Nach Mitteilung der Bundesbank betrugen sie 1.056 Milliarden Euro - und lagen damit um 17,6 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats. Es lässt sich erkennen, dass die Target2-Salden der Bundesbank seit Corona wieder deutlich steigen, also wieder vermehrt Zentralbankgeld über Target2 von Süden nach Norden fließt. Aber warum?

Die wichtigsten Fragen im Überblick:

Was ist Target 2 überhaupt?

Warum steigen die Target-Forderungen der Bundesbank so stark?

Wie gefährlich sind die Target-Salden für Deutschland?

Lassen sich die Target-Salden wieder eindämmen?

Was ist Target 2 überhaupt?

Die Abkürzung Target steht für Trans-European Automated Real-Time Gross Settlement Express Transfer System. Es handelt sich um ein Zahlungssystem des Eurosystems, also der nationalen Notenbanken des Euroraums und der EZB, mit dem diese Geldüberweisungen abwickeln. Banken können via Target nationale sowie grenzüberschreitende Überweisungen im Auftrag ihrer Kunden über die nationalen Zentralbanken sekundenschnell abwickeln und verrechnen. Alle Überweisungen im Target-System werden mit Zentralbankgeld abgewickelt.

Target2 ist also ein System, das Geld von einer Bank zu einer anderen bewegt. Zentral- und Geschäftsbanken nutzen es, um Zahlungen in Euro abzuwickeln. Der Netto-Geldfluss zwischen zwei Ländern wird im Saldo der nationalen Notenbank verzeichnet. Um zu vermeiden, dass nun jede einzelne Notenbank des Eurosystems mit jeder anderen einen eigenen Saldo aufbaut, werden alle bilateralen Salden am Ende eines Tages zu einem einzigen gegenüber der EZB zusammengefasst. Wenn Banken in einem Land mehr Geld gesendet als empfangen haben, hat die nationale Zentralbank einen negativen Saldo: also eine Verbindlichkeit gegenüber der EZB. Hat sie mehr Geld empfangen als gesendet, hat sie einen positiven Saldo, also eine Forderung gegenüber der EZB.

Für solche grenzüberschreitenden Geldbewegungen gibt es laut EZB drei Gründe: um für Waren, Dienstleistungen oder Finanzanlagen aus anderen Ländern zu bezahlen; wenn Banken sich gegenseitig Geld leihen um sich kurzfristig mit Liquidität zu versorgen; oder auch die Geldpolitik, wenn Banken von den Notenbanken Kredite gegen Sicherheiten bekommen.

Wir wollen den ersten Grund als Beispiel nehmen. Ein italienisches Unternehmen kauft eine Maschine in Deutschland. Nach Lieferung beauftragt das Unternehmen seine italienische Hausbank, das Geld an den deutschen Exporteur zu überweisen. Dabei wird das Konto der italienischen Geschäftsbank bei der Banca d’Italia belastet, und das Geld dem Konto der deutschen Geschäftsbank bei der Deutschen Bundesbank gutgeschrieben - und über die EZB verrechnet. Die deutsche Geschäftsbank schreibt dann den Betrag dem Konto des deutschen Exporteurs gut. In Sachen Target2-Saldo entsteht also eine Verbindlichkeit der Banca d’Italia und eine Forderung der Deutschen Bundesbank.

Seit dem Jahr 2015 steigen die Forderungen der Bundesbank wieder stärker, während etwa die Verbindlichkeiten anderer großer Euro-Länder wie Italien ebenfalls steigen.

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Warum steigen die Target-Forderungen der Bundesbank so stark?

Eine eindeutige Erklärung gibt es nicht, da die Entwicklung der Target2-Salden mehrere Gründe haben kann – und sowohl Geldpolitik und das Marktumfeld die Höhe der Salden beeinflussen kann. Daher haben Ökonomen zur Bedeutung und möglichen Folgen der Target2-Salden unterschiedliche Meinungen. Grob gesagt, gibt es aber zwei Lager: Die einen erklären den Anstieg der Target2-Salden mit den Anleihekäufen der EZB, also mit geldpolitischen Maßnahmen, die anderen sehen darin erste Zeichen einer Kapitalflucht, also von finanziellem Stress.

EZB-Anleihekäufe ein Grund

Nach Aussagen von EZB und Bundesbank beruht der Anstieg der Target-Forderungen auf den krisenbedingt hohen Wertpapierkäufen des Eurosystems. Eine Kapitalflucht könne nicht festgestellt werden. Die EZB ist derzeit gleich mit zwei Anleihekaufprogrammen im Markt: Neben dem im Jahre 2015 in Kraft gesetzten Programm, kauft sie seit dem Frühjahr auch im Rahmen eines im Zusammenhang mit der Corona-Krise aufgelegten Programms Anleihen - dem Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP). Und tatsächlich geht der Anstieg der positiven Target-Salden in Deutschland, Finnland, Luxemburg und den Niederlanden vergleichsweise eng mit einem Anwachsen des EZB-Anleiheportfolios einher (siehe Grafik). Der Anstieg der Bundesbank-Salden erklärt sich dann damit, dass die Verkäufer von Staatsanleihen nicht immer in dem Land, das die Anleihen begeben hat, sitzen, sondern an den internationalen Finanzplätzen, also etwa in Frankfurt. 80 Prozent aller Käufe der EZB-Anleihekäufe werden mit nicht inländischen Partnern getätigt, und sogar 50 Prozent außerhalb des Euroraums - hauptsächlich von Großbritannien, so der Ökonom Frederik Ducrozet des Schweizer Vermögensverwalters Pictet. Ein Beispiel: Da italienische Staatsanleihen im Rahmen der EZB-Programme von der Banca d’Italia gekauft werden, viele von außerhalb der Eurozone stammende Verkäufer - insbesondere angelsächsische Banken - aber traditionell Konten bei Banken in Frankfurt unterhalten, entsteht bei einem Kauf einer italienischen Staatsanleihe durch die Banca d’Italia erst Zentralbankgeld in Rom. Dieses wird anschließend über Target an die Deutsche Bundesbank überwiesen. Bei der Bundesbank entsteht eine Forderung, bei der Banca d’Italia eine Verbindlichkeit gegenüber dem Eurosystem.

Kritiker sehen Kapitalflucht als Grund

Ökonomen wie der ehemalige Ifo-Chef Hans-Werner-Sinn und der VWL-Professor der Universität Osnabrück Frank Westermann meinen hingegen, dass die hohen Target2-Salden die anhaltende Kapitalflucht der internationalen Anleger in sichere Häfen widerspiegeln. Investoren würden sich in der Corona-Krise von riskanten Wertpapieren in Südeuropa trennen und lieber sichere Wertpapiere oder Bankguthaben in Deutschland erwerben. Daher verkaufen sie ihre Anleihen an Geschäftsbanken in Italien oder Spanien. Die Banken verkaufen sie dann weiter an ihre nationale Zentralbank oder reichen sie bei dieser als Sicherheiten für Geldleihgeschäfte bei der EZB ein. Die Investoren kaufen dann mit dem Geld deutsche Staatsanleihen, Aktien oder Immobilien oder sie lassen es als Einlage bei der Bank stehen. Der deutsche Saldo steigt, die südeuropäischen Salden werden negativ.

Westermann sieht den Anstieg der Refinanzierungskredite der Notenbanken in Europa als Beleg für die Kapitalflucht. Refinanzierungskredite sind Kredite, die das Eurosystem über die einzelnen Notenbanken in ihren Ländern gegen Sicherheiten vergibt. Dass die EZB ihre Anforderungen für Sicherheiten nochmal gesenkt hat, verstärkt nach Ansicht von Kritikern wie Westermann nochmal den Effekt der “lukrativen Kapitalflucht”. Die EZB akzeptiere Wertpapiere, die am Markt nur schwer verkäuflich wären. Das Geld aus den Refinanzierungsgeschäften könnte dann wieder in „sichere“ Wertpapiere aus Deutschland investiert werden: für Westermann ist das ein Beleg für Kapitalflucht.

Target2-Salden steigen seit 2015 an

Endgültig zu sagen, ob es die Refinanzierungskredite oder die Anleihekäufe sind, die die Target-Salden treiben, ist sehr schwer. Es ist sicherlich auch Definitionssache, Kapitalflucht allein mit dem Anstieg der Refinanzierungskredite zu begründen. Andere sehen darin lediglich eine Portfolio-Umschichtung.Aber wohl kein Zufall ist, dass die Salden seit rund fünf Jahren mit der jeweiligen Ausrichtung der Geldpolitik wieder stark zunehmen. Und tatsächlich steigen eben nicht nur die Target2-Salden der Bundesbank, auch die italienischen Verbindlichkeiten schwellen seit 2015 konstant an, im Juni erreichten sie den vorläufigen Höchststand mit 537 Mrd. Euro, haben sich aber im August auf rund 523 Mrd. Euro stabilisiert. Das Ankaufprogramm PEPP der EZB, das im März ins Leben gerufen wurde um die Corona-Krise zu bewältigen, könnte also tatsächlich von in- wie ausländischen Anlegern genutzt werden, um südeuropäische Anleihen zu verkaufen und das Geld anschließend auf Konten in Deutschland, in den Niederlanden und in Luxemburg statt in Italien oder Spanien zu halten.

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Wie gefährlich sind die Target-Salden für Deutschland?

Inwiefern diese Salden eine Gefahr darstellen ist unter Ökonomen ebenfalls umstritten. Die einen argumentieren, bei den Target-Salden handele es sich um reine Verechnungsposten, um die sich “niemand scheren müsse”, so der Ökonom Frederik Ducrozet. „Es gebe wichtigere Dinge, um die man sich Sorgen machen müsste“. Zu diesem Lager gehört auch Martin Hellwig, ehemaliger Direktor des Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn. Er sieht in den Target-Salden lediglich „Gegenbuchungen im Rahmen des Zahlungsverkehrs“. Hellwig argumentiert, die Bundesbank sei eine Art Filiale der EZB, die geldpolitische Operationen im Rahmen des Eurosystems wahrnimmt. Sie erhöhen oder verringern sich sobald Zahlungen von Deutschland in andere Euroländer fließen oder eben umgekehrt. Da die Durchführung der Geldpolitik und des Zahlungsverkehrs gemeinsame Aufgabe des Eurosystems ist und Banken und Kunden eben diese Rechenposten brauchen, um grenzüberschreitende Zahlungen im Euroraum sicherzustellen, erscheint diese Erklärung durchaus legitim.

Keine Gefahr so lange kein Land austritt

Solange die Währungsunion besteht, würden diese Target-Salden laut Ducrozet und Hellwig auch keine Probleme bereiten. Mit einem Risiko wären Target2-Salden der Bundesbank nur dann verbunden, wenn ein Land mit negativem Saldo – zum Beispiel Italien - die Eurozone verlässt. In diesem sehr hypothetischen Fall, bestünde die Forderung der EZB gegenüber der betreffenden Zentralbank Banca d’Italia fort und die anderen Notenbanken müssten anteilig für den verbleibenden Verlust einstehen. Denn Gewinne und Verluste werden jährlich im Rahmen der Bilanz des Eurosystems zusammengefasst und anschließend auf die einzelnen Notenbanken entsprechend deren Anteil am Eigenkapital der EZB verteilt. Auf die Bundesbank entfallen rund 26 Prozent der Gewinne, beziehungsweise Verluste, des Eurosystems. Das heißt für diesen Anteil müssten die deutschen Steuerzahler dann haften. Wie hoch die deutschen Target2-Forderungen der Bundesbank dann gegenüber der EZB wären: ob 1 Billion Euro oder 1 Euro, wäre dabei jedoch unerheblich.

Generell kann man sagen, dass die Wirtschaftssysteme der Eurozone so eng miteinander verbunden sind, dass bei einem Ausscheiden eines Landes aus dem Euroraum für Deutschland ganz selbstverständlich hohe Kosten unvermeidlich wären. Außerdem sind die Target-Salden bei weitem nicht die einzigen Risiken, sagen Ökonomen. Durch die hohen Leistungsbilanzüberschüsse und Exportorientierung Deutschlands, baue Deutschland generell ein hohes Auslandsvermögen auf und macht sich abhängig von anderen Ländern, dies passiert also nicht allein durch Target2.

Kritiker sehen Salden als Überziehungskredite

Die andere Seite der Ökonomen sieht die Target-2-Salden kritischer, nämlich als einen „eingebauten Risikotransfer“ innerhalb der Eurozone. Hans Werner Sinn, der ehemalige Chef des Münchner Ifo-Instituts und der wohl bekannteste Kritiker der Target-Salden, spricht von einem „öffentlichen Überziehungskredit“, den die Bundesbank anderen Länder des Euroraums via Target gewährt. Dieser ermögliche es den Unternehmen und Bürgern dort, „einen Nettozustrom von Waren, Dienstleistungen und Vermögenswerten aus Deutschland zu bezahlen“. Das Target-System im Zusammenspiel mit den nationalen Zentralbanken biete den Krisenländern die Möglichkeit, eigenständig Geld zu schöpfen, das dann von den Bürgern und Unternehmen dieser Länder benutzt wird, um Güter und Vermögenstitel in anderen Euroländern zu erwerben. Ähnlich sieht es der VWL-Professor Frank Westermann. Seiner Ansicht nach spiegeln die Target-Verbindlichkeiten "den Anteil des gedruckten Geldes wieder, mit dem im Ausland Vermögenstitel wie Aktien, Staatsanleihen oder Immobilien gekauft wurden sowie um Kredite zurück zu zahlen. Im Gegenzug wurden Sicherheiten hinterlegt, auf die die Bundesbank keinen direkten Zugriff hat." Die beiden Ökonomen meinen, dass die expansive Geldpolitik der EZB  den Südländern Kapitalflucht und kreditfinanzierte Importfinanzierung ermöglicht. Dadurch verringere sie den Reformdruck für diese Länder. Statt ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und das für Importe benötigte Geld durch Exporte zu verdienen, würden sich die Südländer das Geld über ihre nationalen Notenbanken drucken. Je länger die Kapitalflucht anhalte und je höher die Target-Forderungen der Bundesbank würden, desto erpressbarer werde Deutschland aufgrund der Gefahr eines potentiellen Euro-Austritt Italiens oder Spaniens und der damit verbundenen Kosten für Deutschland, so die Kritiker.

Debatte spiegelt Meinung zum freien Kapitalverkehr in der EU wider

Im Kern geht es bei der Diskussion um die Bedeutung der Target2 Salden also um die Interpretation des Charakters des Eurosystems – und um die Frage, ob dieses jemals auseinanderbricht. Und implizit auch um die Freiheit des Kapital- und Warenverkehrs in der EU. Während viele Ökonomen die Target-Salden lediglich als Reflex technischer Buchungsvorgänge eines auf ewig angelegten Zentralbanksystems interpretieren, betonen die Kritiker, dass sich hinter den akkumulierten Salden im Falle eines Auseinanderbrechens der Eurozone milliardenschwere Belastungen für die Steuerzahler, insbesondere in Deutschland verbergen würden. Ähnlich sehe es aus, wenn etwa Italien aus der Eurozone austreten würde. In diesem Fall könnten die Target-Verbindlichkeiten zu einem Faustpfand des austretenden Landes werden. Der frühere EZB-Chef Mario Draghi hat im Jahr 2018 bereits klargestellt: „Sollte ein Land das Eurosystem verlassen, müssten die Forderungen oder Verbindlichkeiten seiner nationalen Zentralbank gegenüber der EZB in Gänze beglichen werden.“ Das ist aber aktuell eine sehr hypothetische Überlegung, da laut Meinung der meisten Ökonomen bei einem Euro-Austritt auf alle Länder hohe Kosten zukommen würden.

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Lassen sich die Target-Salden wieder eindämmen?

Ja. Denn die Möglichkeiten, Zentralbankgeld innerhalb der Eurozone zu verschieben, hängen von der vorhandenen Menge an Zentralbankgeld ab. Das Lager rund um die EZB argumentiert, sobald die Anleihekäufe der EZB zurückgefahren werden, sinken auch die Target-Salden wieder. Für das Argument spricht, dass die Target2-Salden auch zwischen 2013 und 2015 sanken und erst mit dem erneuten Anleihekaufprogramm 2015 und insbesondere seit dem Start des PEPP-Programms wieder steigen. So sieht es auch die Bundesbank, die schreibt: „Wenn die Zentralbankliquidität insgesamt zurückgeführt wird und sich die Geschäftsbanken wieder verstärkt Liquidität über den privaten Interbankenmarkt zur Verfügung stellen, sollten auch die Target2-Salden wieder sinken.” Das heißt, wenn die Geldpolitik sich wieder normalisiert und die europäischen Banken ihr grenzüberschreitendes Geschäft wieder ausweiten, werden sich die Target2-Salden zurückbilden.

Wirtschaftspolitik muss sich ändern

Aber die Geldpolitik ist nicht der einzige Akteur. Andere Ökonomen, wie Hans-Werner Sinn, meinen, die Länder in Südeuropa müssen eine Wirtschaftspolitik betreiben, die das Geld nicht aus dem Land treibt, sondern Gelder aus dem Norden anzieht. Dafür müssten sie aber produktiver und wettbewerbsfähiger werden. Italien zum Beispiel hat immer noch mit die höchsten Lohnstückkosten in der Eurozone. Sie sind auch dafür, dass die EZB den Reformdruck auf die Südländer erhöht, indem sie die Anleihekäufe zurückfährt und die Anforderungen an Sicherheiten bei Geldleihgeschäften verschärft. Beides bremse das Wachstum der Zentralbankgeldmenge und entzöge der Kapitalflucht die finanzielle Basis.

Stärkung von Kapitalmarktunion könnte helfen

Zusammenfassend kann man sagen: die Target2-Debatte ist komplex und vieles ist Auslegungssache. Eine einfache Antwort „Target2-Salden sind gefährlich/nicht gefährlich, gut/schlecht“ gibt es leider nicht. Die Targetsalden sind aber in keinem Land intensiver und kontroverser diskutiert worden als in Deutschland. Generell lässt sich an der Debatte also auch ein wenig ablesen, inwiefern man der Krisenpolitik der EZB zustimmt oder nicht. Sicher ist aber. Um die Target-2-Salden einzudämmen und auch die gemeinsame Geldpolitik besser zu nutzen, müssen die strukturellen Unterschiede zwischen den Euro-Ländern durch produktive Investitionen nach der Corona-Krise angegangen werden. Und wenn die EZB-Politik durch eine Weiterentwicklung der Währungsunion - wie etwa eine Kapitalmarktunion oder Fiskalunion - ergänzt würde, dürften die Ungleichgewichte in der Eurozone ebenfalls sinken und die EZB könnte ihre expansive Geldpolitik schneller zurückfahren. Bei der Kapitalmarktunion zum Beispiel sind die rechtlichen und politischen Hürden geringer als bei der Fiskalunion. Eine gemeinsame Kapitalmarktunion würde zudem den Zugang zu privatem Kapital statt Zenralbankliquidität erleichtern. Statt sich auf die Differenzen bei den Target2-Salden zu fokussieren, sollten sich die Ökonomen also lieber auf die Weiterentwicklung der Kapitalmarktunion konzentrieren.

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