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"Sanktionen können uns auch selbst schaden"

Mit Blick auf den Kaukasus-Konflikt hat der Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-russischen Beziehungen, Andreas Schockenhoff, für eine harte Haltung der EU gegenüber Moskau plädiert. Man müsse in aller Deutlichkeit klarmachen, dass man Taten sehen wolle und keine diplomatischen Spitzfindigkeiten. Sanktionen gegenüber Russland lehnte Schockenhoff dagegen ab.

Andreas Schockenhoff im Gespräch mit Stefan Heinlein | 25.08.2008
    Stefan Heinlein: Eiszeit mitten im Sommer. Der Krieg im Kaukasus hat die Beziehungen zwischen Russland und seinen westlichen Partnern frostig werden lassen. Die Stimmung scheint auf dem Tiefpunkt. Der Ton aus Washington wird immer schärfer und auch aus Berlin ist die Kritik am Kreml inzwischen mehr als deutlich. Nicht nur der schleppende Rückzug der russischen Truppen, auch der Plan, Pufferzonen auf georgischem Gebiet zu errichten, sorgt für internationale Aufregung. Sollte das russische Parlament heute zusätzlich die Unabhängigkeit der Unruheregion Süd-Ossetien und Abchasien von Georgien anerkennen, dürfte ein offener Konflikt mit dem Westen kaum zu vermeiden sein. Frankreich plant jetzt einen EU-Sondergipfel. Am Telefon ist nun der stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende Andreas Schockenhoff. Er ist gleichzeitig Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-russische Zusammenarbeit. Guten Morgen!

    Andreas Schockenhoff: Guten Morgen, Herr Heinlein.

    Heinlein: Herr Schockenhoff, Anfang September nun also ein EU-Krisengipfel zum Kaukasus. Glauben Sie, dass dies Moskau besonders beeindruckt?

    Schockenhoff: Es geht nicht darum, ob das Moskau beeindruckt. Entscheidend ist, dass die EU eine eindeutige und geschlossene Haltung einnimmt. Das ist eine starke Antwort gegenüber Russland. In der Vergangenheit haben wir zu offen unterschiedliche Haltungen gegenüber Russland gezeigt und wir müssen nun verhindern, dass Moskau die EU spalten kann.

    Heinlein: Wie schwierig wird es denn werden, diese von Ihnen geforderte einheitliche Haltung der EU zum Kaukasus hinzubekommen? Wir haben es in dem Bericht gehört: Polen oder das Baltikum hat ja da eine ganz andere Einstellung als etwa Deutschland oder Frankreich.

    Schockenhoff: Es ist aber innerhalb der NATO gelungen, trotz unterschiedlicher Ausgangspositionen eine sehr geschlossene Antwort zu finden. Und ich bin überzeugt, dass das auch in der EU gelingen kann.

    Heinlein: Was wird es denn geben, Härte oder Diplomatie?

    Schockenhoff: Es wird beides geben. Der Satz, man kann nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, ist richtig. Das heißt, man muss die bestehenden Beziehungen zum Teil aussetzen, einfrieren, aber nicht abbrechen. Das ist auf der einen Seite ein starkes Zeichen, dass man nicht einfach das Verhalten Moskaus akzeptiert. Es ist aber auf der anderen Seite auch das Signal, dass wir an einer Fortsetzung des Dialogs interessiert sind, wenn Moskau dafür die Voraussetzungen erfüllt.

    Heinlein: Also Fortsetzung des Dialoges, Worte und Appelle. Reicht das denn aus, oder müssen jetzt Taten folgen, etwa Sanktionen gegenüber Russland?

    Schockenhoff: Sanktionen können uns auch selbst schaden. Wir müssen Russland deutlich an seine eigenen Interessen erinnern. Wir sind nicht nur ein Energieabnehmer Russlands, sondern auch Russland ist auf den Markt in Europa angewiesen. Russland hat ganz erhebliche Interessen an der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Deswegen können hier gezielte Aussetzungen von Vereinbarungen durchaus Moskau treffen.

    Heinlein: Also Öl und Gas sind uns im Zweifel wichtiger als die Situation in Georgien?

    Schockenhoff: Nein. Öl und Gas sind vor allem für Moskau wichtiger als ein Konflikt, ein dauerhafter Konflikt mit der Europäischen Union, und daran müssen wir Moskau auch sehr deutlich erinnern.

    Heinlein: Wird denn, Herr Schockenhoff, die Kanzlerin auf ihrer heute beginnenden Reise unter anderem ins Baltikum schon einmal versuchen, die Lage zu sondieren, um mit diesen beiden Ländern dann eine einheitliche Haltung in Brüssel hinzubekommen?

    Schockenhoff: Das wird sie mit Sicherheit tun, denn gerade Litauen hat ja lange die Aufnahme von Verhandlungen zum Partnerschafts- und Kooperationsabkommen blockiert. Hier hatten wir innerhalb der Europäischen Union noch keine einheitliche Position oder sehr lange keine einheitliche Position. Ich hoffe, dass das diesmal gelingt.

    Heinlein: Herr Schockenhoff, Russland geht aber offensichtlich ja einen ganz eigenen Weg im Kaukasus. Das russische Parlament will heute, am heutigen Montag, über die Unabhängigkeit von Süd-Ossetien und Abchasien debattieren. Will Moskau den Westen provozieren?

    Schockenhoff: Entscheidend ist, was die Regierung tut. Das hatte die Duma ja auch schon nach der Unabhängigkeit des Kosovo einmal in Erwägung gezogen und die Regierung hatte damals in Aussicht gestellt, dann zu prüfen, ob das auch umgesetzt wird. Also es könnte durchaus auch ein Signal der Kompromissbereitschaft sein, dass das Parlament eine solche Entscheidung trifft, die Regierung das aber nicht umsetzt. Entscheidend ist, wie sich die Regierung verhält.

    Heinlein: Aber das Parlament gibt ja durchaus die Stimmung in Russland wieder?

    Schockenhoff: Die Stimmung in Russland und jetzt muss die Regierung aber schauen, ob sie eine nach innen gerichtete Propaganda erzeugt, oder ob sie ein verlässlicher Partner der internationalen Gemeinschaft, vor allem der Europäischen Union bleiben will.

    Heinlein: Glauben Sie, dass das Parlament unabhängig von Medwedew und Putin agieren kann?

    Schockenhoff: Das glaube ich nicht. Wenn, dann ist es eine abgestimmte Haltung, die auch ein bestimmtes Signal an den Westen setzen will.

    Heinlein: Welches Signal?

    Schockenhoff: Das Signal, dass man durchaus die Möglichkeit hätte, bestimmte rechtliche Schritte zu gehen, die dann aber vielleicht nicht ausschöpft. Deswegen wird ganz entscheidend sein, wie die Regierung mit einem solchen Parlamentsbeschluss umgeht. Aber dass er in Absprache mit der Regierung erfolgt, davon müssen wir in Russland ausgehen.

    Heinlein: Was geschieht, wenn Sie mit Ihrer Einschätzung daneben liegen und die Regierung einen möglichen Parlamentsbeschluss heute unterstützt?

    Schockenhoff: Dann wird sich Russland international isolieren. Russland wird damit vor allem den selbst immer wieder abgegebenen Beteuerungen, die Integrität Georgiens zu achten, verstoßen. Damit hat Russland auch gegen Beschlüsse des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, die es selbst mit getroffen hat, verstoßen. Ich glaube, das wäre eine neue Qualität auch der Selbstisolierung Russlands.

    Heinlein: Halten Sie es für möglich, dass Moskau versucht, auf lange Sicht Abchasien und Süd-Ossetien sich einzuverleiben?

    Schockenhoff: Das glaube ich nicht, aber was Russland jetzt tut mit den Kontrollposten und den Pufferzonen, den Schwarzmeerhafen Poti zu kontrollieren, die wichtige Zugangsstraße nach Tiflis zu kontrollieren, das zielt eigentlich auf das Wirtschaftsleben in Georgien und das darf auf Dauer nicht sein, dass ein prosperierendes, sich modernisierendes Georgien vom Wohlwollen Moskaus abhängig ist. Deswegen ist es vor allem auch wichtig, dass die EU darauf dringt, diese Kontrollposten und Sicherheitspufferzonen möglichst rasch zu räumen.

    Heinlein: Widerspricht also dieser Pufferzonenplan klar und deutlich dem Sechs-Punkte-Plan, den auch Moskau eben unterzeichnet hat?

    Schockenhoff: Er widerspricht diesem Sechs-Punkte-Plan. Er widerspricht vor allem auch unserem Interesse, Georgien möglichst schnell aufzubauen, eine wirtschaftliche Prosperität zu ermöglichen, Landflucht zu verhindern, die Energieversorgung in den Bergdörfern, die Lebensbedingungen zu verbessern, damit Georgien im Kaukasus ein Modell der Entwicklung werden kann, das langfristig auch auf Süd-Ossetien, auf Abchasien und auf andere Nachbarregionen ausstrahlt.

    Heinlein: Kann man vor diesem Hintergrund, Herr Schockenhoff, Moskau überhaupt noch trauen? Ein Vertrag, ein Sechs-Punkte-Plan wird unterzeichnet, aber die Tinte ist kaum trocken und schon gibt es andere Pläne.

    Schockenhoff: Die Frage ist nicht, ob man Worten vertraut, sondern die Frage ist ...

    Heinlein: Verträgen vertraut!

    Schockenhoff: Ja. Die Frage ist, ob diesen Verträgen Taten folgen. Das liegt nun wirklich an Russland, dieses Vertrauen herzustellen. Deswegen müssen wir in aller Deutlichkeit klar machen, dass wir Taten sehen wollen und dass wir jetzt nicht diplomatische Spitzfindigkeiten oder immer wieder den Versuch, eben nur Teile umzusetzen, akzeptieren werden.

    Heinlein: Wie kann denn eine Lösung im Kaukasus mit Moskau gemeinsam aussehen? Russland - das hat es ja klar und deutlich erklärt - will nur russische Friedenssoldaten dort stationieren und keine internationalen Blauhelme.

    Schockenhoff: Im Moment stellt sich die Frage einer Friedenstruppe nicht und wenn, dann muss sie nicht nur im Einvernehmen mit Moskau, sondern auch im Einvernehmen mit Georgien beantwortet werden. Im Dezember stellt sich beim NATO-Gipfel erneut die Frage nach dem Membership Action Plan. Ich glaube, dass die innere Stabilität Georgiens heute nicht gegeben ist, um den Membership Action Plan zu erteilen. Dann wäre aber eine Friedenstruppe ein starkes Signal, dass die internationale Gemeinschaft Georgien nicht im Stich lässt. Aber Voraussetzung ist, dass es eben mit beiden Konfliktparteien besprochen werden muss. Dafür sehe ich heute keinen Ansatz.

    Heinlein: Heute Morgen im Deutschlandfunk CDU-Fraktionsvize Andreas Schockenhoff. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.