„Bogen überspannt“: Sozialgerichtspräsident geht hart mit Bürgergeld ins Gericht
In der Debatte um Sozialausgaben geht es auch immer wieder um das Bürgergeld. Der scheidende Präsident des Bundessozialgerichts, Rainer Schlegel, kritisiert den Hartz-IV-Nachfolger scharf.
Berlin – In Deutschland flammt angesichts der schwächelnden Wirtschaft wieder eine Debatte um die Sozialausgaben der Regierung hoch – angefacht von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), der ein Sozialmoratorium wegen hoher Rüstungsaufgaben fordert. Der scheidende Präsident des Bundessozialgerichts, Rainer Schlegel, stellt zudem die Frage, ob es realistisch sei, dass der Sozialstaat immer weiter ausgebaut werden könne – „oder ob wir eine Phase vor uns haben, bei der man sich die Frage stellt, was man wirklich braucht und worauf man verzichten könnte“, sagte Schlegel im Interview mit dem Tagesspiegel.
Debatte um Sozialstaat und Sozialausgaben kocht hoch
Finanzminister Lindner sorgte vor kurzem für Aufruhr, indem er ein mehrjähriges Moratorium bei Sozialausgaben und Subventionen anregte, um mehr Geld in die Verteidigung investieren zu können. „Das Wichtigste ist, dass nicht immer neue Subventionen, neue Sozialausgaben, neue Standards dazukommen“, sagte der FDP-Chef in der ZDF-Sendung „Maybrit Illner“. Gelänge es, einmal drei Jahre mit dem auszukommen, „was wir haben“, wäre das ein großer Schritt.

Kritik an seinem Vorschlag kam etwa von dem SPD-Sozialpolitiker Martin Rosemann. „Es verbreitet unnötig Ängste und Besorgnisse, bei den Menschen, die auf den Sozialstaat angewiesen sind“, sagte der sozialpolitische Sprecher der SPD-Fraktion auf WDR 5. „Ich hätte gern ein dreijähriges Moratorium für unausgegorene Vorschläge.“ Rosemann schlug stattdessen zusätzliche Beiträge von jenen vor, „die besonders viel Einkommen und insbesondere besonders viel Vermögen haben“.
Bürgergeld: „Das muss man jemandem, der jeden Tag zur Arbeit geht, erst einmal erklären“
Doch Kritiker bemängeln, dass die Sozialausgaben dem deutschen Staat bald über den Kopf wachsen – als Negativbeispiele dienen die Rentenzuschüsse und die Bürgergeld-Erhöhung zu Jahresbeginn. Auch der scheidende Präsident des Bundessozialgerichts, Rainer Schlegel, äußert sich in der Sozialstaats-Debatte – und spart dabei nicht an Kritik. Er knöpft sich dabei nicht nur die Rente mit 63 vor, sondern auch die Kindergrundsicherung und das Bürgergeld.
Schlegel zufolge seien die Regelungen beim Hartz-IV-Nachfolger zu großzügig, etwa bei den Freibeträgen für Vermögen. „In diesem Fall wurde wahrscheinlich der Bogen überspannt. Eine vierköpfige Familie darf langfristig eine Eigentumswohnung mit 130 Quadratmetern behalten, im ersten Jahr 85.000 Euro Erspartes. Jeder Erwachsene, der erwerbsfähig ist, darf ein Auto vor der Tür stehen haben“, zählte er im Tagesspiegel auf. „Das muss man jemandem, der jeden Tag zur Arbeit geht und kaum über die Runden kommt, erst einmal erklären.“
Kein Regelsatz für „Totalverweigerer“: „Das ist für mich nicht schlüssig“
Auch dass Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) bald „Totalverweigerern“ für zwei Monate den Regelsatz streichen will, kritisiert Schlegel. Ihm ist das zu wenig: „Alles andere wird weiter übernommen, also vor allem die Kosten der Unterkunft und auch Mehrbedarfe. Da frage ich mich: warum? Das ist für mich nicht schlüssig.“
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Die allermeisten Menschen, die Grundsicherung beziehen, würden das System aber nicht missbrauchen, stellt Schlegel weiter klar. „Sie sind ohne Arbeit und haben vielfältige Probleme. Ob sie alle im Bürgergeld-System richtig aufgehoben sind, ist eine andere Frage“, sagte er der Zeitung. Es sei gerechtfertigt, dass der Staat diesen Menschen helfe, „aber immer unter der Voraussetzung, dass sie sich nicht selbst helfen können – nicht, dass sie sich nicht selbst helfen wollen. Das ist der kategorische Unterschied, den manche nicht wahrhaben wollen.“
Mit Material der dpa