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FOCUS Magazin | Nr. 4 (2013)
REPORTEngländer quälten KZ-Opfer mit Folterwerkzeug der Gestapo
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Der englische Arzt J. H. Jordan hat ein schreckliches Detail womöglich absichtlich in den Dossiers vermerkt, um die Nachwelt zu informieren: Der jüdische KZ-Überlebende Habermann wurde mit Folterwerkzeugen wie Daumen- und Schienbeinschrauben gequält, die sich der britische Geheimdienst aus dem Gestapo-Gefängnis Neuengamme bei Hamburg beschafft hatte.

Robert Graf Buttlar-Brandenfels, 27, der zwei Jahre Nazi-Haft überstanden hatte, musste bei den Engländern erneut leiden. Als angeblicher Ostspion verhaftet, stellten ihn die Folterer tagelang in eiskaltes Wasser. Alle Zehen seines rechten Fusses mussten amputiert werden. Fortan kroch der adlige Häftling auf Knien zu seinen Verhören. Aus Verzweiflung entschied er sich für eine in Bad Nenndorf gängige Selbstmordmethode: Er verschluckte einen Löffel, wurde jedoch gerettet.



In den Akten finden sich Hinweise darauf, dass Zellenwärter Scheinhinrichtungen organisierten. Die kriminellen Schließer konnten offenbar ihren Sadismus ausleben, ohne Bestrafungen befürchten zu müssen. So geschah es in der Silvesternacht 1946: Sturztrunken von Bier und Whiskey, stürmten die Schläger in mehrere Zellen und traten die Häftlinge gnadenlos zusammen. Eine Behandlung von offenen Wunden und Knochenbrüchen wurde ihnen verweigert, entzündete Zahnstummel bereiteten den Menschen Höllenqualen.

Verantwortlich dafür war der Leiter des Verhörzentrums Bad Nenndorf, Oberst Robin Stephens. Der Herr spielte gern den Edelmann: Stets ein Monokel im rechten Auge, sprach der damalige Mitvierziger voller Abscheu über „minderwertige deutsche Kreaturen“. Der Jurist hatte zuvor als Kommandant der Peshawar-Division unter der indischen Zivilbevölkerung Angst und Schrecken verbreitet.


Nicht ganz zu seinem aristokratischen Benehmen passte Stephens Vorliebe für einen einseitigen Boxkampf. Zeugen aus Bad Nenndorf berichteten, dass der Oberst entkräftete Häftlinge mit Kinnhaken bewusstlos geschlagen habe.

Gnade konnte offenbar niemand erwarten. Wenn Häftlinge zum Lagerarzt John Stuart Smith kamen und klagten, sie stünden kurz vor dem Verhungern, antwortete der Mediziner eiskalt: „Sie verhungern? Richtig, es sieht ganz so aus!“

Ein paar Todgeweihte ließ Oberst Stephens in die Militärlazarette Rotenburg bei Bremen und Eselheide bei Paderborn karren. Unter ihnen war auch der abgemagerte Gerhard Menzel.

Der deutsche Arzt Wolfgang Günther schrieb in einem Vermerk, die kranken Häftlinge seien wie Müll vor dem Hospital abgekippt worden.

Der damals erst 22-jährige Walter Bergmann, knapp 40 Kilo leicht, fiel gleich in Ohnmacht. Der aufopferungsvolle Arzt Günther spendete seinem Patienten sogar das eigene Blut – auch dies konnte Bergmann nicht mehr retten.

Im Zimmer nebenan rang Franz Österreicher, 38, mit dem Hungertod. Seit Tagen raste sein Puls, er starb letztlich an einer Bauchfellentzündung.

Häftling Franz Nornack, 26, spuckte gerade Blut, als Major James Morgan-Jones, Kommandant eines Internierungslagers in Fallingbostel, über die Krankenstation ging und die elendigen Gestalten sah. In einer Geheimakte ist die Reaktion des früheren Frontoffiziers Morgan-Jones vermerkt: „Es war einer der schrecklichsten Anblicke meines Lebens.“

In Bad Nenndorf bekommt nun auch die Zivilbevölkerung das harte Regiment der Briten zu spüren. Eines Abends klopft ein Gefängnisausbrecher an der Tür der Familie Steinmeier im Erlengrund, nur 500 Meter von dem Lagerzaun entfernt. Der Mann bittet um Zivilkleidung.

Das Schicksal des Flüchtlings ist unbekannt. Familienvater Steinmeier, ein Bergmann, wird am Tag danach von der Militärpolizei wegen Fluchthilfe verhaftet und zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Er kehrt todkrank zurück, stirbt bald.

Oberst Robin Stephens und sein Stellvertreter Richard Langham müssen sich im März 1948 in einem Geheimprozess für die in Bad Nenndorf begangenen Grausamkeiten verantworten. Beide Offiziere werden freigesprochen. Lagerarzt John Stuart Smith, der für hungernde Häftlinge nur zynische Sprüche übrig hatte, wird aus der Armee entlassen.

Menzel will jetzt 100 Jahre alt werden. Er sagt: „Ich habe all die Halunken überlebt. Das ist doch auch ein Triumph!“

In den Akten des britischen Geheimdienstes geht der alte Mann nun auf Spurensuche. Er fordert Schadensersatz von London. „Premierminister David Cameron wird mich verstehen“, sagt Menzel, „er ist doch ein Ehrenmann, oder?“
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