Politik

Wirtschaftlich und militärisch EU strebt mehr Unabhängigkeit an

Die Chefs und Chefinnen der EU-Staaten treffen sich in Slowenien. Heute soll es auch um die Beitrittsperspektiven der Westbalkan-Staaten gehen.

Die Chefs und Chefinnen der EU-Staaten treffen sich in Slowenien. Heute soll es auch um die Beitrittsperspektiven der Westbalkan-Staaten gehen.

(Foto: AP)

Als Lehre aus der Corona-Krise und den außenpolitischen Alleingängen der USA will die Europäische Union weniger abhängig von anderen Weltregionen werden. Erste Beratungen von Kanzlerin Merkel und den anderen Staats- und Regierungschefs münden in einer klaren Ansage.

Die EU will in Reaktion auf die Corona-Krise und die jüngsten Alleingänge der USA ihre wirtschaftlichen und militärischen Abhängigkeiten verringern. Um international effektiver und durchsetzungsfähiger zu werden, müsse die Europäische Union ihre Fähigkeit zu eigenständigem Handeln stärken, sagte EU-Ratspräsident Charles Michel in der Nacht nach Beratungen der Staats- und Regierungschefs in Slowenien. Dies gelte für die Eigenständigkeit als Wirtschaftsmacht, aber auch bei Fragen der Sicherheit und Verteidigung.

"Wir werden Abhängigkeiten verringern und resilient in Bereichen wie Energie, digitale Sicherheit, Cybersicherheit, Halbleiter, Industriepolitik und Handel werden", erklärte Michel. Schon beim nächsten offiziellen EU-Gipfel in zwei Wochen soll weiter über das Thema diskutiert werden. Konkret könnte die EU beispielsweise versuchen, ihre Abhängigkeiten bei der Produktion von Arzneimitteln und der Speicherung umfangreicher Datensätze deutlich zu verringern. Zugleich machte Michel deutlich, dass sich die EU nicht abschotten wolle und dass sich die Bemühungen nicht gegen die USA oder andere Partner richteten. "Die EU ist weltoffen und lehnt Protektionismus ab", sagte er. Man sei entschlossen, mit den Verbündeten und gleichgesinnten Partnern zusammenzuarbeiten, insbesondere mit den USA und innerhalb der Nato.

Mit dem Verteidigungsbündnis wolle man mit Blick auf den Nato-Gipfel im Juni 2022 an einer neuen politischen Erklärung arbeiten. Die Allianz sei Eckpfeiler der europäischen Sicherheit, so Michel. Der französische Präsident Emmanuel Macron hatte bereits zum Auftakt der Beratungen gesagt, man müsse bei Fragen der Technologie, der Industrie, der Wirtschaft, der Finanzen und auch des Militärs die Grundlage für ein stärkeres Europa schaffen. Die EU müsse ihren Teil der Verantwortung tragen, ihre Partner selbst wählen und zugleich eng mit bisherigen Alliierten zusammenarbeiten.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat Vorbehalte gegen den Aufbau einer eigenen rein europäischen Verteidigungsgemeinschaft geäußert. Er glaube nicht an Anstrengungen, irgendetwas außerhalb des Rahmens der Nato aufzubauen, "mit der Nato in Konkurrenz zu treten oder ein Duplikat der Nato" zu schaffen, sagte Stoltenberg am Dienstag (Ortszeit) in Washington. "Ich verstehe, dass Frankreich enttäuscht ist", sagte Stoltenberg im Bezug auf den geplatzten U-Boot-Deal Frankreichs mit Australien. Die Nato bleibe aber das "Fundament der europäischen Sicherheit und ebenso der Sicherheit Nordamerikas". Die Verteidigung Europas reiche zudem über seine eigenen Grenzen hinaus, fügte er hinzu. Stoltenberg verwies auf die Türkei, Norwegen, Island, die USA, Kanada und Großbritannien. Jeder Versuch, die "transatlantische Verbindung durch die Schaffung neuer Strukturen zu schwächen" werde nicht nur die Nato schwächen, sondern auch "Europa spalten".

Zweifel an Verlässlichkeit der USA

Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte sich zunächst nicht öffentlich zu den Beratungen. In der EU hatte es zuletzt Entsetzen darüber gegeben, dass die USA in den vergangenen Monaten hinter dem Rücken der EU mit Großbritannien und Australien einen Sicherheitspakt für den Indopazifik ausgehandelt hatten. Insbesondere die Regierung in Paris ist außer sich, weil aufgrund des Aukus genannten Pakts ein 56 Milliarden Euro schwerer U-Boot-Vertrag Australiens mit Frankreich geplatzt ist.

Zudem wird Washington mit Blick auf den Abzug aus Afghanistan mangelnde Rücksicht auf Interessen der EU-Partner vorgeworfen. Hinzu kommt eine teils große Skepsis gegenüber dem konfrontativen Kurs der USA gegen China und den Versuchen, die EU ins Boot zu holen.

Das Treffen der europäischen Staats- und Regierungschefs wurde in Slowenien abgehalten, weil das Land derzeit die rotierende EU-Ratspräsidentschaft innehat. Heute beginnt am selben Tagungsort der Westbalkan-Gipfel. Auf dem Gipfel werden die EU-Beitrittsperspektiven von Albanien, Nordmazedonien, Serbien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro und dem Kosovo ein Thema sein.

Quelle: ntv.de, ino/dpa

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