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PARTEITAG Siegen oder untergehen

Auf dem Bremer Parteitag setzte sich Helmut Kohl gegen seine Widersacher durch, doch die Risse in der CDU wurden größer.
aus DER SPIEGEL 38/1989

Helmut Kohl, soeben mit gut 77 Prozent als CDU-Chef wiedergewählt, thronte allein in der ersten Reihe des Podiums zu Bremen, ein mokantes Lächeln im Gesicht, ein kurzer triumphierender Blick nach rechts unten.

Blaß hockte dort Lothar Späth bei seinen baden-württembergischen Delegierten; dem Möchtegern-Kanzler ohne Mumm und Mannen war gerade - am Montag abend vergangener Woche - inoffiziell seine Abwahl aus dem Parteipräsidium mitgeteilt worden. Ein großer Sieg für Kohl: Nun ist er die CDU.

Alle, die ihn jahrelang, erst heimlich, dann offener zu kritisieren wagten und schließlich gar stürzen wollten, sind nun im Staub. Späth, dem Zauderer, kam zu spät die Einsicht: »Ja, es wäre besser gewesen, wenn ich als Gegenkandidat zum Parteivorsitz angetreten wäre.«

Trotz der Stimmenverluste in Landtags- und Europawahlen, trotz der Zweifel an der politischen Gestaltungskraft Kohls scheute die Partei 14 Monate vor der Bundestagswahl den Sturz ihres Vorsitzenden auf offener Parteitagsbühne. Sie muß nun im Wahlkampf hinter ihm hertrotten - bei gar nicht so schlechten Chancen, aber hohen Risiken.

Der Parteitag markiert das Ende einer Ära. Der entlassene Generalsekretär Heiner Geißler hatte in den zurückliegenden Jahren versucht, in neue Wählerschichten einzudringen und die CDU als reformfreudige Partei bei Jüngeren, bei Frauen und hochqualifizierter Facharbeiterschaft zu empfehlen - mit mäßigem Erfolg.

Mit dem Austausch des bräsigen Kohl gegen einen aufgeschlossenen Späth wollte Geißler seiner »neuen CDU« mehr Glaubwürdigkeit verschaffen. Er scheiterte an Kohls Beharrungsvermögen und dem mangelnden Mut Späths. Die CDU schwenkt nun zurück auf einen gemäßigt konservativen Kurs. Kohl will die zu Geißlers Zeiten in die Enthaltung geflüchteten oder zu den Republikanern abgewanderten einstigen Stammwähler zurückgewinnen. Die Republikaner sollen aus dem Bundestag herausgehalten werden, da sie, als Koalitionspartner - noch - nicht gesellschaftsfähig, im Parlament das bürgerlich-konservative Lager entscheidend schwächen würden.

Kohl gab deshalb die bisher sorgsam gewahrte Position des großen Integrators in der CDU auf und suchte die offene Konfrontation mit dem Geißler-Flügel.

Gelingt ihm die Abwehr der Republikaner, dann wird, davon ist Kohl überzeugt, die bisherige CDU/CSU/FDP-Koalition die Bundestagswahl gewinnen, wenn auch knapp.

Die Kriegskasse der Regierung ist gut gefüllt. CSU-Finanzminister Theo Waigel hat, weniger pingelig als Vorgänger Gerhard Stoltenberg, neue Schulden gemacht. Und sollten die kommenden Tarifverhandlungen den Arbeitnehmern ordentliche Zuwächse bescheren, Kohl wäre es recht: Mehr Lohn und Gehalt bedeuten mehr Steuereinnahmen. Die Bundesbürger dürfen sich auf Wahlgeschenke freuen; die gerade beschlossene Besteuerung der Weihnachtsgratifikationen, ein großes Ärgernis, soll wieder aufgehoben werden.

Im Wahljahr wird zudem die zweite Stufe der Steuerreform fällig. Die Koalition baut auf den Dank der Wähler für spürbare Einkommensverbesserungen.

Ein Ende des Wirtschaftsbooms ist nicht in Sicht. Selbst wenn, was unwahrscheinlich ist, die Auftragsflut bei der Industrie plötzlich stoppen sollte, die Hochkonjunktur hielte 1990 an. Auch von einer Aufwertung der starken Mark ist schon die Rede. Das schmeichelt dem Selbstwertgefühl der Deutschen und bekommt ihrer Reiselust.

Da fällt es leicht, nach altem Ritual die Ängste der Wähler vor Roten und Grünen zu schüren: die könnten nicht mit dem Geld umgehen, die verdürben mit einem Tempolimit den freien Bürgern den Spaß am Auto, die gefährdeten die Sicherheit des Westens durch Abbau der Bundeswehr, kurz: ein Unglück für das deutsche Vaterland seien sie.

Kohl will, was angesichts der Zerrissenheit der SPD nicht allzuschwer sein dürfte, den Wählern einreden, die Opposition sei nicht reif für die Regierungsübernahme. Ihr fehle ein klares Programm. Sie wisse nicht einmal, wen sie zum Kanzlerkandidaten machen solle.

Auch in der Außenpolitik sieht Kohl sich auf der Gewinnerseite.

Machen Glasnost und Perestroika im Osten Fortschritte, muß sich endlich auch die DDR bewegen - der Sieg der Freiheit soll auch den Bonner Kanzler zum Vater haben. Die Sozialdemokraten können dann als die ewig Gestrigen vorgeführt werden, die noch vom Sozialismus träumen, während die Sowjets die soziale Marktwirtschaft eines Ludwig Erhard kopieren.

Wenn Gorbatschow aber scheitert und in Moskau die Reaktionäre die Macht übernehmen, kann auch das, glaubt Kohl, den Konservativen nicht schaden. In kleinen Unionszirkeln ist auch dieser Fall vorbedacht worden: Die Gorbatschow-Nachfolger würden wahrscheinlich nach klassischem Muster versuchen, von Schwierigkeiten im Innern durch Konflikte jenseits der Grenzen abzulenken. Panzer in Richtung Polen und Ungarn, eine neue Berlin-Krise - die rote Gefahr, das so schmerzlich von der Union vermißte alte Feindbild, wäre wieder da. »Wir kämen«, so ein Bonner CDU-Staatssekretär, »1990 ran an die absolute Mehrheit.«

Presse-Minister Hans Klein orakelte optimistisch, die Kohl-Koalition werde noch für acht bis zwölf Jahre regieren. Denn wer die nächste Wahl gewinne, werde wegen der Aufbruchstimmung in Europa die Hebel der Macht für lange Zeiten in Händen halten.

In Bremen beschwor Kohl eine Zukunft voller »dramatischer Veränderungen«, die Rede war von »mutigen Entscheidungen« angesichts der »Herausforderungen« der neunziger Jahre: Europa, Einheit aller Deutschen, Bewahrung der Schöpfung, die Familie im Mittelpunkt einer solidarischen und mitmenschlichen Gesellschaft.

Trotz dieser anspruchsvollen Stichworte weisen die Signale des Bremer Parteitags in eine andere Richtung. Die Union geht mit ihrem Rechtsschwenk hohe Risiken ein. Wenn die CDU die Themen der Republikaner aufnimmt, wächst die Gefahr, daß die Rechtsradikalen noch interessanter werden.

Als der Jäger aus der Pfalz am Ende des Parteitags von seinem Hochsitz in der Bremer Stadthalle auf die Strecke der drei Tage herabsah, es hätte ihn schaudern können beim Gedanken an die Zukunft. Erlegt war fast alles in der CDU, was ein wenig Farbe im Gefieder und das triste Schwarz der Kohl-Partei aufgehellt hatte.

Die 780 Delegierten haben Kohl bei den Wahlen zu Präsidium und Vorstand zwar von lästigen Konkurrenten befreit, den CDU-Anhängern »draußen im Land« aber auch Entscheidungen zugemutet, die sie kaum nachvollziehen können. »Da hat einer mit der letzten Kugel die Schmeißfliege im Zimmer abgeknallt und vergessen, daß draußen vor der Türe eine Bestie lauert«, mokierte sich ein Kanzlerkritiker. Nach Bremen präsentiert sich die CDU als eine Partei, die durch die demonstrative Abstrafung einiger Symbolfiguren an Attraktivität für bisher umworbene Wählerschichten eingebüßt hat.

In seiner zwölfjährigen Amtszeit als Generalsekretär hatte Geißler, wie vor ihm schon Kurt Biedenkopf, immer mit Engagement, oft mit Polemik aus dem einstigen Kanzlerwahlverein eine Partei zu formen versucht, die auch kontrovers über Inhalte und Programme diskutiert. Die CDU konnte so ihr Nein zu den Ostverträgen und zum KSZE-Prozeß aufgeben und sich sogar zu neuen Ufern durchringen. Offener Streit mit den Rechtsregimen in Chile und Südafrika offenbarten ebenso Geißlers Handschrift wie mühsam erkämpfte Beschlüsse zur Deutschland-, Frauen- und Familienpolitik.

»Hoffnungsträger« sind nun die abgewirtschafteten Altvorderen Gerhard Stoltenberg, Ernst Albrecht und Walter Wallmann und der zum Verlierer der Kommunal- und Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen auserkorene Norbert Blüm. Erniedrigt wurden Politiker wie Rita Süssmuth, die neben Bundespräsident Richard von Weizsäcker an der Spitze der Beliebtheitsskala steht. Sie schnitt schlechter ab als Stoltenberg. Lothar Späth mußte im Saal die Orden- und Ehrenzeichen abgeben, obwohl er der einzige Schwarze ist, der sein Land ohne Koalitionspartner regiert. Die »Zukunftspartei« (Kohl) hat sich von einem Mann getrennt, der in den Vorstandsetagen der Industrie und Banken, aber auch bis in die Wählerschaft der SPD hinein als Prototyp des Industriepolitikers im High-Tech-Zeitalter gilt.

Und mit einem Wahlergebnis von nur 418 Stimmen für Heiner Geißler und der Entfernung des Sozialausschußvorsitzenden Ulf Fink aus dem CDU-Vorstand verprellten Kohls Delegierte vor den Kommunalwahlen in NRW jene Arbeitnehmer, die 1983 den Wende-Wahlsieg der Union erst möglich gemacht hatten. Auch Klaus Töpfer, dem Bonner Umweltminister und Herausforderer Oskar Lafontaines im Saarland, wurde ein Klotz ans Bein gehängt. Der Parteitag verweigerte ihm die Naturschutzabgabe, die er so gern als Beleg einer ernstgemeinten Umweltpolitik seiner Partei genutzt hätte.

Der Riß in der Union geht quer durch die deutschen Lande. Kohl hat seine Führungsequipe für den Marsch in die neunziger Jahre im Norden rekrutiert: den neuen Generalsekretär Volker Rühe aus Hamburg, Stoltenberg aus Schleswig-Holstein, Albrecht und Kanzleramtschef Rudolf Seiters aus Niedersachsen. Der Süden ist nach Späths Desaster nicht mehr im Präsidium vertreten. Das besorgt Kohl (Oggersheim) jetzt persönlich - oder er läßt besorgen.

Gegen diese Aussperrung hatten sich Baden-Württemberger Delegierte schon in Bremen empört. Der Landtagsabgeordnete Günther Oettinger, Vorsitzender der badischen Jungen Union, nahm in einer Parteitagsvorbesprechung des Landesvorstands im Hotel »Am Stadtpark« in Delmenhorst den Kohl-Spion, Staatsminister Lutz Stavenhagen, an, der sich ungebeten dazugesellt hatte. Er möge gefälligst genau zuhören und Kanzlerkritikern nicht ins Wort fallen, riet Oettinger, »damit Sie dem Bundeskanzler alles genau berichten können«. Nach Späths Abwahl legte sich Oettinger mit den Kohl-Günstlingen Schäuble und Stavenhagen an: »Ein böses Spiel« sei hier getrieben, Späths Niederlage »gesteuert« worden. Allen mit Bonner Nummern an den Dienstwagen sei das Land Baden-Württemberg offensichtlich nicht mehr wichtig. Ein Zwischenrufer wählte die Kurzform: »Die Arschlöcher aus dem Kanzleramt.«

Helmut Kohl ficht das nicht an. Auch nach Bremen gilt für ihn die Parole, die er schon vor der CDU/CSU-Fraktion ausgegeben hat: »Wir werden gemeinsam siegen oder gemeinsam untergehen.«

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