Kunst als Dolmetscherin – „Baby’s in black“

Es braucht gerade mal zwölf Seiten, dann sieht man bereits, was das Zentrum der Erzählung sein könnte: Völlig konsterniert von den rauen Tönen blickt Klaus auf die Bühne des Hamburger Clubs Kaiserkeller im Oktober 1960 und sieht die Beatles am Vorabend ihrer gigantischen Karriere. Aber nicht die Beatles befinden sich im Fokus von Arne Bellstorfs zweiter Graphic Novel nach seinem mehrfach preisgekrönten und, neben unter anderem in Frankreich und Polen, sogar in Südkorea übersetzten Debüt „acht, neun, zehn“, sondern zwei Biographien am Rande – nämlich die schüchterne und kurze Liaison zwischen Astrid Kirchherr und Stuart Sutcliffe. Klaus‘ initiatorische Konfrontation wird von ihm als Rückblende erzählt. Im Streit hat er zuvor die Wohnung seiner Freundin Astrid verlassen, der er nun, durch die Begeisterung reumütig geworden, mitten in der Nacht von seiner nicht nur für ihn folgenschweren Begegnung erzählen muss. Es ist dieses Faszinosum, was in mehrfacher Hinsicht den Eckpfeiler des Plots bilden soll.

Zweimal werden die beiden gemeinsam den Club besuchen, bis es ihnen gelingt, mit der Band ins Gespräch zu kommen. Was daraus folgt, ist zum einen Popgeschichte geworden: Die mehr oder weniger spontan erstellten Bandaufnahmen der 22-jährigen Fotografin Astrid und ihre Idee zu den Pilzkopffrisuren verschaffen den Beatles kurz vor ihrem Durchbruch ein Markenzeichen, das Generationen überdauern wird. Vor allem aber wird hieraus die kurze und ungemein tragische Liebe zwischen ihr und Stuart Sutcliffe, dem damaligen Bassisten, entflammen, der lediglich anderthalb Jahre beschieden sind.

Arne Bellstorf (Autor und Zeichner): „Baby‘s in black. The Story of Astrid Kirchherr & Stuart Sutcliffe“.
Reprodukt, Berlin 2010. 216 Seiten. 24 Euro

Das Fundament für den Comic bilden die ausgiebigen Gespräche, die Bellstorf mit der damals 72-jährigen, in Hamburg lebenden Astrid Kirchherr geführt hat. Anderthalb Jahre, in denen die zwei auch künstlerisch eine Symbiose eingingen, nachdem Sutcliffe den Job am Bass endgültig aufgibt und sich endlich voller Verve im eigens in Astrids Elternhaus eingerichteten Atelier der Malerei widmet, im Kunststudium durch sein außergewöhnliches Talent die Aufmerksamkeit der Dozenten auf sich zieht – und urplötzlich mit gerade mal 21 Jahren nach wiederholten Kreislaufattacken an einer Hirnblutung stirbt.

Bellstorf konstruiert dieses biographische Gerüst als einen Fluss sich steigernder Faszination. Das betrifft zum einen ganz konkret die Liebe der beiden Hauptfiguren, von der wir schließlich bereits zu Beginn wissen, welch traurigen Ausgang sie nehmen wird. Das Schwarzweiß der Zeichnungen transportiert nicht zuletzt deswegen eine Tragik, die sich an die unvorhersehbar kurze Intensität der beiden Figuren anschmiegt. Mehr aber noch visualisiert es das lebensweltliche Modell, dem die Figuren verhaftet sind. Denn gleichzeitig und ganz beiläufig erzählt Bellstorf auch von der Szene der Existentialisten, der Kirchherr angehörte, von der Konfrontation einer habituell sich zwischen Camus und Sartre bewegenden bürgerlichen Welt mit dem bis dato völlig neuen Versprechen der Popkultur auf die Intensität des Gegenwärtigen.

Dem anfangs faszinierten Blick von Klaus auf das Neue, was sich auf der Bühne formiert, haftet etwas Utopisches an. Diffus vermengen sich da ästhetische und theoretische Praxis zumindest zur Zerrüttung des Gewohnten, das im Prinzip die Erschütterung der Welt zweier Liebenden fortsetzt. Diesen Weg der Liebenden entwickelt Bellstorf nie als romantischen Rückzug in die Zweisamkeit, immer ist er auch an ihre künstlerische Interdependenzen und Ereignisse rund um die Beatles geknüpft. Liebe und Kunst – das eine durchdringt das andere, und so fungiert die Kunst auch als vermittelndes Surrogat, mit dessen Hilfe die zwei ihre Sprachbarrieren überwinden. Wenn dann im letzten Kapitel, nachdem Astrid telefonisch von Stuarts Tod erfährt, die Stimmen fortan nicht mehr gehört, die Sprechblasen nicht mehr mit Worten gefüllt werden, dann reicht dieses kleine Stilmittel vollkommen aus, um das Schweigen einer Liebe fundamental beredt werden zu lassen – und eine traurige Ahnung ihrer Intensität zu resümieren.

Dieser Text erschien zuerst am 14.4.2011 auf: satt.org

Sven Jachmann ist Comic.de- und Splitter-Redakteur und Herausgeber des Filmmagazins filmgazette.de. Beiträge u. a. in KONKRET, Tagesspiegel, ND, Taz, TITANIC, Junge Welt, Jungle World, Das Viertel, Testcard sowie für zahlreiche Buch- und Comicpublikationen und DVD-Mediabooks.

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