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Geschichtenerzähler. Hugo Pratt (1927 - 1995) in Venedig.

© Andrea Merola / Imago

Auf den Spuren des Schöpfers von „Corto Maltese“: Hugo Pratts Auto-Biografie

„Warten auf Corto“, Hugo Pratts nun auf Deutsch veröffentlichte Sammlung von Episoden aus seinem Leben, nährt den Mythos vom Künstler als Kunstwerk.

Wahn, Wunsch oder Wirklichkeit? Leser der Abenteuer von „Corto Maltese“ sind daran gewöhnt, dass die Grenzen zwischen den Ebenen zerfließen. Immer wieder ließ der italienische Zeichner und Autor Hugo Pratt in seinen Erzählungen halbmythische Figuren der Weltgeschichte auftauchen: Hemingway, Rasputin, Butch Cassidy ...

Dazu stattete er seinen 1967 mit der „ Südseeballade“ erstmals in Erscheinung getretenen Antihelden mit einer Biografie aus, bei der man nie ganz sicher war, wie viel Einfluss die des Autors darauf genommen hatte. Pratt „träumte mit dem Stift in der Hand davon, was er gern gewesen wäre“, schrieb Umberto Eco mal über ihn.

Der selbst sagte über sein Literaturverständnis: „Bei mir sieht die ein Wahrheit oft wie eine Lüge aus.“ Sicher sein kann man bei Pratt oft nur, nicht sicher sein zu können.

Sprunghaft und assoziativ, oft derbe, oft prahlerisch

Was die Genese der Buches „Warten auf Corto“ (Texte zur grafischen Literatur - Band 3, Übersetzt von Peter Pohl, Edition Alfons, 160 Seiten, 19,95 Euro) angeht, lautet die Legende so: Im Jahre 1970 begab sich Hugo Pratt, damals Anfang 40, mit seinem Freund, dem Comiczeichner Antonio de Rosa auf einer Fahrt von Gerona nach Algeciras und von Ceuta nach Rabat.

Warum auch immer sie dabei ein Tonband mitführten, am Ende der Reise hatte Pratt zehn Spulen mit Szenen aus seinem Leben vollgesprochen. Sprunghaft und assoziativ, oft derbe, oft prahlerisch berichtet er von seiner Jugend im Zweiten Weltkrieg, von Äthiopien, Venedig, Argentinien, London, von den Faschisten in seiner Familie, von seiner Trinkerei, von Freundschaften und immer wieder von Frauen.

Das Cover des besprochenen Buches.
Das Cover des besprochenen Buches.

© Edition Alfons

Nach der Reise bekam de Rosa den Auftrag, das Material zu redigieren und in eine einheitliche Form zu bringen, kapitulierte dann allerdings schnell. Im März 1971 erschienen die Abschrift unter dem Titel „Die Sandflöhe“.

Sex in den Trümmern Europas

Die erste, ungeglättete Ausgabe bildet nun auch die Grundlage der deutsche Veröffentlichung, die um 64 Illustrationsseiten erweitert wurde, die Pratt zum Teil erst für die Neuauflagen von 1980 oder 1990 angefertigte. Neben einigen Fotos sieht man vor allem Porträts und Akte.

Auch wenn viele Episoden einen melancholischen Ton haben, der die Sehnsucht nach einer vermeintlich einfacheren Welt bedient, als man Sex in den Trümmern Europas hatte und träumte, ist einem Pratt nachher nicht unbedingt sympathischer. Oft erscheint er einem großmäulig, manchmal brutal.

Einmal berichtet er davon, wie er als Halbwüchsiger eine Frau vergewaltigt. Inwieweit er selbst dazu gezwungen wird, bleibt unklar. Auch was der lapidare Ton bedeutet, mit dem er von späteren Begegnungen mit seinem Opfer spricht. Selbstschutz? Zynismus?

Was kann man glauben, was darf man glauben, was will man glauben? Und wer will es überprüfen? Es bleibt dabei: Bei Pratt kann man sich oft nur sicher sein, sich nicht sicher sein zu können.

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