In seinen Geburtstag hineinfeiern mochte der Jubilar nicht. Und das, obwohl er stets bis lange nach Mitternacht aufblieb, oft hinein ins Morgengrauen und gern mit seinem engsten Kreis zusammensaß. In der Nacht vom 19. auf den 20. April 1945 aber war das anders.
Im Vorraum zu Hitlers Arbeitszimmer im Führerbunker in Berlin hatten sich, auf gerade einmal gut zehn Quadratmetern, seine engsten Mitarbeiter versammelt: General Wilhelm Burgdorf und Hermann Fegelein, die höchsten Verbindungsoffiziere von Wehrmacht und Waffen-SS; Julius Schaub, der Chefadjutant; Alwin-Broder Albrecht und Otto Günsche, zwei weitere persönliche Adjutanten; Walter Hewel, der Verbindungsmann zum Auswärtigen Amt; schließlich der Stenograf Heinz Lorenz.
Freilich wollte Hitler die mitternächtlichen Gratulanten nicht sehen. Er saß in seinem mit ebenfalls rund zehn Quadratmeter nicht nur für seine Verhältnisse kleinen Arbeitszimmer mit Hans-Ulrich Rudel zusammen, dem Schlachtflieger und höchstdekorierten Soldaten der Wehrmacht.
Erst als Eva Braun Hitler bat, die Glückwünsche seiner Getreuen entgegenzunehmen, kam er heraus. Nach den Erinnerungen der drei Überlebenden unter den Gratulanten, Schaub, Günsche und Lorenz, fiel bei Hitlers widerwilligem Auftauchen dessen erschlafftes, ausdrucksloses Gesicht auf.
Gegen ein Uhr morgens verabschiedete sich Rudel. Nun kamen noch weitere Gratulanten, darunter Hitlers persönlicher Pilot Hans Baur und drei Mitglieder von Hitlers Personenschutz. Hitler ließ sich kurz über die Lage informieren und ging dann in sein Arbeitszimmer zurück, um nur mit Eva Braun Tee zu trinken.
Irgendwann zog er sich in sein Schlafzimmer zurück, in dem ein Einzelbett stand, außerdem ein Safe und eine Sauerstoffflasche. Eva Braun ging in ihr Schlafzimmer, in das sie einige Möbel aus ihrer Zimmerflucht im Wohntrakt der Reichskanzlei hatte heruntertragen lassen. So begann der 56. und letzte Geburtstag von Adolf Hitler, Reichskanzler, „Führer“ und Chef der NSDAP.
Schon um neun Uhr an diesem Freitag (und damit vier Stunden früher als üblich) kam Hitlers Leibdiener Heinz Linge ins Schlafzimmer des „Führers“ und weckte ihn. Denn bei Forst im südöstlichen Brandenburg waren Truppen der 1. Ukrainischen Front durch die deutschen Linien gebrochen und rollten nun Richtung Potsdam. General Burgdorf hatte dringend gebeten, den „Führer“ darüber sofort zu informieren.
Doch der Oberste Kriegsherr war unleidlich: „Linge, ich habe noch nicht geschlafen“, sagte er nach der Erinnerung seines Dieners: „Wecken Sie mich eine Stunde später, um zwei Uhr“ – also eine Stunde später als sonst.
Etwa um diese Zeit frühstückte Hitler, nun begann sein Tag. Inzwischen war nahezu die gesamte Führung des Dritten Reiches und der Wehrmacht eingetroffen, um dem immer noch bewunderten (und gefürchteten) „Führer“ Glückwünsche zum Geburtstag zu überbringen.
Zum Beispiel Albert Speer, der Lieblingsarchitekt und Rüstungsminister. Oder Hermann Göring, der in der Gunst tief gesunkene designierte Nachfolger. Joseph Goebbels, der fanatische Anhänger und Propagandist, der schon auf der anderen Seite des Führerbunkers ein kleines Zimmer bezogen hatte. Natürlich auch Heinrich Himmler, der SS-Chef, der längst insgeheim Verhandlungsfühler ausgestreckt hatte in der irrigen Annahme, er könnte in einem künftigen Deutschland noch eine Rolle spielen.
Unter den Militärs ragte Wilhelm Keitel hervor, der stets übertrieben folgsame Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, dem selbstbewusste Offiziere schon vor Langem den Spitznamen „Lakeitel“ verpasst hatten, weil sie seine Unterwürfigkeit verabscheuten. Hitlers engster militärischer Berater Alfred Jodl, der stets den Willen seines „Chefs“ nach unten weitergegeben hatte. Aber auch Karl Dönitz, der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, den Hitler als Nachfolger ausersehen hatte.
Erstaunlicherweise sind die genauen Abläufen an diesem Nachmittag nicht verlässlich zu rekonstruieren – nicht weil es zu wenig Aussagen und Erinnerungen daran gäbe, sondern zu viele unterschiedliche. So meinte Hitlers eine persönliche Sekretärin Christa Schroeder, die Gratulationscour habe am Vormittag stattgefunden, ihre Kollegin Traudl Junge erinnerte sich an den Nachmittag.
Nach der einen Aussage fanden sich alle offiziellen Gratulanten im Gang des Führerbunkers ein – doch der maß gerade einmal 25 Quadratmeter: Wenig Platz für mindestens 17 Besucher, zu denen noch die unvermeidlichen Adjutanten und Diener kamen. Und Eva Braun.
Fand der Empfang also im (noch) nur leicht beschädigten, 390 Quadratmeter großen Arbeitszimmer in der Neuen Reichskanzlei statt? Auch das sagten manche Augenzeugen aus, während andere gar keinen genauen Ort benannten. Offenbar waren die Ereignisse jener letzten Tage des Dritten Reiches so belastend, dass die Wahrnehmung ungenau wurde.
Suchte Hitler an diesem Freitagnachmittag das große Lazarett im Keller der riesigen, schon halb zerschossenen Residenz auf? Oder tat er just das nicht? Immerhin flogen sowjetische Schlachtflugzeuge fortwährend Angriffe auf das Stadtzentrum.
Einigermaßen sicher ist immerhin, dass gegen 17 Uhr im Garten der Reichskanzlei die letzte Inszenierung des Dritten Reiches stattfand: Reichsjugendführer Arthur Axmann hatte etwa 20 Hitlerjungs mitgebracht, dazu kamen einige jüngere Wehrmachts- und Waffen-SS-Offiziere.
Ein Fotograf war ebenso wenig anwesend wie ein Kameramann; die oft auf den 20. April 1945 datierten Aufnahmen Hitlers beim Abschreiten einer Front von Kindersoldaten entstanden in Wirklichkeit viereinhalb Wochen früher, am 20. März 1945.
Axmann meldete: „Für den Endkampf steht Ihre Jugend bereit!“ Die angetretenen Hitlerjungs waren alle in den Kämpfen östlich von Berlin mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet worden, auch der 16-jährige Armin Lehmann. Der Oberste Kriegsherr sprach ihn an: „Wo hast du gekämpft?“ Die Antwort – vor Berlin – quittierte er mit dem Hinweis an den Reichsjugendführer: „Wieder ein mutiger Junge.“
Nach 20 Minuten war die Inspektion vorüber. Hitler verabschiedete sich mit den Worten: „Darauf kommt es an – mit eisernem Willen durchzuhalten!“ Dann machte er sich zurück auf den Weg in den Bunker. Dabei begegnete er seinem persönlichen Zahnarzt Hugo Blaschke, der im Sanitätsraum sogar über eine kleine dentistische Station verfügte.
„Blaschke“, sagte Hitler, „es sind schwere Zeiten.“ Und dann fügte er hinzu: „Wir werden uns schon durchsetzen.“ Was ihn zu diesem Urteil brachte, verstand der Zahnmediziner nicht. Und es hätte wohl auch sonst niemand verstanden. Es war nicht zu verstehen.
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Dieser Artikel wurde erstmals im April 2020 veröffentlicht.