Newsticker
Schlagzeilen, Meldungen und alles Wichtige
Die Nachrichten heute: Newsticker, Schlagzeilen und alles, was heute wichtig ist, im Überblick.
Zum Newsticker
Kultur

Pointen ohne Geschichten

Die „New York Times“ verzichtet in Zukunft auf die politischen Karikaturen. Über den langen Abschied von einer unzeitgemäßen Form

Das Ende von etwas“ heißt eine traurige Geschichte von Ernest Hemingway. Ein solches Ende müssen nun auch die Leser der „New York Times“ akzeptieren. Und dieses Etwas ist die politische Karikatur. Vom 1. Juli an werde man keine Karikaturen mehr drucken, ließ die Zeitung jetzt wissen. Der Grund liegt allerdings bereits fast vier Wochen zurück. Angeblich sei das alles aber bereits zuvor beschlossen worden.

Der Anlass war nicht eine Zeichnung der beiden ständigen Karikaturisten, Patrick Chappatte und Heng Kim Song, denen nun nach zwei Jahrzehnten die Mitarbeiterschaft aufgekündigt wurde. Die umstrittene Karikatur hatte ein Syndikat angeboten. Darauf hatte António Moreira Antunes Donald Trump als Blinden mit einer Kippa gezeichnet, der von einem Blindenhund mit Davidstern und dem Kopf von Benjamin Netanjahu geführt wird. In geschmacklicher und politischer Hinsicht war das vollkommen daneben.

Aber die Aufregung in den sozialen Medien, die zu der Entscheidung eines Verzichts auf jegliche politische Karikatur führte, ist ebenfalls überzogen. Schließlich war es die „New York Times“, die sich 2016 über die „Farm News“ empört hatte, die nach 21 Jahren ihren Karikaturisten Rick Friday feuerte, weil er in einer Karikatur in Form eines Gesprächs zwischen zwei Farmern gegen die Agrarkonzerne Monsanto, Dupont und Pioneer polemisierte.

Spöttisch könnte man darauf verweisen, dass die „New York Times“ damit in die Fußstapfen einer weit weniger honorigen Kollegin tritt. Am 3. Juni 1977 hatte das „Neue Deutschland“ noch eine Karikatur von Alfred Beier-Red zur Arbeitslosigkeit in der „BRD“ gedruckt. Tags darauf schon suchten die Leser des „ND“ allerdings vergeblich nach dieser bis dahin täglich üblichen propagandistischen Zutat. Wie auch nach einer Begründung, warum man auf diese Form der Agitation verzichtete.

Die Malaise der „New York Times“ nahm die „Süddeutsche Zeitung“ bereits im Mai vorweg. Da druckte sie eine haarsträubend klischeehafte Karikatur von Dieter Hanitzsch auf der Kommentarseite, die Netanjahu als Bewerber um den Eurovisions Song Contest zeigte – mit großer Nase, einer Rakete mit Davidstern in der Hand und dem traditionellen Wunsch am Ende des Versöhnungstages, „Nächstes Jahr in Jerusalem“, als Sprechblase. Weil der Karikaturist keine Einsicht zeigte, verzichtet die Zeitung seitdem auf diesen langjährigen Mitarbeiter. Der Deutsche Presserat, der den Fall diskutiert hatte, befand, die Regeln gegen die Diskriminierung von Juden im Pressekodex seien nicht überschritten worden – ein angesichts der besonderen Geschichte der antijüdischen Karikatur zumindest streitbares Urteil.

Diese Beispiele zeigen, dass die Pressekarikatur in einer Zeit, die wachsamer auf Stereotypen reagiert, nicht mehr so funktioniert wie früher. Was viele Jahrzehnte eine wesentliche Ergänzung der Kommentarseiten war – als „eine feindliche Koexistenz mit allem, worüber man sich ärgert“ hat es Ronald Searle, der herausragende englische Karikaturist, charakterisiert –, wird inzwischen nicht mehr in seiner polemischen Einseitigkeit akzeptiert. Das hat eine Reihe von Gründen, wie die Reaktionen verschiedener Zeitungen erkennen lassen. Die „Zeit“, deren Aufmacherseite lange von den zwei, drei Karikaturvignetten von Paul Flora geprägt war, hat – nachdem Flora dazu keine Lust mehr hatte –, versucht diese Tradition mit Luis Murschetz (den Flora empfohlen hatte) fortzusetzen. Aber das funktionierte nicht richtig. Und seitdem verzichtet man auf Karikaturen. Auch in der WELT war Mirko Szewzuk anfangs mit einer täglichen Karikatur charakteristisch für die Meinungsseite. Nach seinem frühen Tod 1957 füllte Wolfgang Hicks, wegen Überspitzungen oft angefeindet, ein Vierteljahrhundert lang diesen Platz. Danach gab es ein kurzes Intermezzo mit dem israelisch-amerikanischen Zeichner Ranan Lurie. Seit ihm gibt es keinen „Hauskarikaturisten“ auf der Meinungsseite mehr, in der „WELT AM SONNTAG“ zeichnet allerdings jede Woche Stephan Rürup. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, für die jahrelang Erich Koehler, Ivan Steiger, Fritz Behrendt und Walter Hanel zeichneten, pflegt noch die stammtischnah ulkige Variante Greser & Lenz.

Aber die Distanz zu den traditionellen Karikaturen, die einst Teil des Meinungsspektrums waren, ist nicht zu übersehen.

Man könnte ohne Schwierigkeiten eine Geschichte der Karikatur schreiben, die als roten Faden jene Prozesse hätte, mit denen sich früher immer wieder „Gezeichnete“ – seien es der Schah oder Strauß – gegen die angebliche „Majestätsbeleidigung“ Genugtuung zu schaffen versuchten. Diese Rolle der Übelnehmerei und des Beleidigtsein haben inzwischen die sozialen Medien übernommen, wo politische Korrektheit und das Respektieren jeglicher „Identität eingeklagt werden – und möglichst, was der Karikatur unmöglich ist, ein audiatur et altera pars. Die Mohammed-Karikaturen in „Jyllands Posten“ 2005 waren das Vorspiel, das zur wiederholten Bedrohung des Zeichners und im Januar 2015 zu den Morden in der Redaktion von „Charlie Hebdo“ führte. Und, das ist die bedenkliche Folge, wie der damals bei „Jyllands Posten“ verantwortliche Redakteur, Flemming Rose, zehn Jahre später feststellen musste: „Es gibt eine Selbstzensur, wenn es um den Islam geht, und die Angst dahinter basiert auf Realität, denn Menschen wurden getötet, in Paris, in Kopenhagen.“

Das ist gewiss ein Grund für die Zurückhaltung, die gegenwärtig beim Umgang mit politischen Karikaturen nicht übersehen werden kann. Viele Themen, die als heikel, strittig, politisch nicht korrekt gelten, werden lieber ausgespart. „Eine Pointe unter Weglassen der Geschichte“ hat Erich Kästner einmal die Karikatur genannt. Heute meinen die meisten, sie müssten unbedingt die Geschichte mit allen Wenns und Abers erzählen. Daneben spielt jedoch auch eine Rolle, dass die traditionelle Form der Karikatur, wie sie Haitzinger, Hanel, Oliphant, Steadman, Scarfe, Pericoli etc. kultiviert haben, vielen als typisch für das 20. Jahrhundert und demgemäß als altbacken gilt. Stattdessen überwiegt der Hang, die verkalauerte Banalität des Alltäglichen, meist in Sprechblasen, à la Frankfurter Schule und „Titanic“ einer bildgewordenen These vorzuziehen (Comics als Fortsetzung der politischen Karikatur mit erzählenden Mitteln wurden in deutschen Zeitungen nicht heimisch). Dazu kommt, dass nur wenige Zeitungen noch einen fest angestellten „Hauskarikaturisten“ beschäftigen. Die meisten Beiträge stammen von „freien“ Zeichnern – und deren mäßige Honorierung trägt dazu bei, das das Gros der Karikaturen in der zeichnerischen Qualität wie intellektuell bescheiden ausfällt. In einer klassischen Karikatur würde wohl jetzt ein Sarg mit der Aufschrift „Karikatur“ zu Grabe getragen.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant