18. April 2020 2 Likes

„Negative Dinge sind für gewöhnlich witziger.“

Im Gespräch mit Comic-Künstler Tom Gauld („Abteilung für irre Ideen“)

Lesezeit: 7 min.

Tom Gauld wurde 1976 im schottischen Aberdeen geboren und studierte u. a. am Edinburgh College of Art. Seine witzigen, klugen Comic-Strips und Cartoons erscheinen heute beispielsweise im „Guardian“, im „New Yorker“ und im „Believer Magazine“. Darüber hinaus illustriert er Buchcover, Kinderbücher und Romane. Mit „Goliath“ und „Mooncop“ veröffentlichte der Schotte auch schon längere Comic-Werke. Unabhängig vom Format begeistert Gauld als phänomenaler Reduzierer und Simplifizierer – er braucht nicht viel, um Gehalt, Hintersinn, Witz, Ironie und Wirkung in seine zeichnerisch stark vereinfachten Comics zu packen. Nach seinen mit dem Eisner Award ausgezeichneten Sammlungen „You’re All Just Jealous Of My Jetpack“ und „Kochen mit Kafka“ erscheint nun „Abteilung für irre Ideen“, ein Sammelband mit Gaulds Arbeiten für das renommierte Wissenschaftsmagazin „New Scientist“. Physik, Biologie, Forschung, Paper, Roboter, Nanos, Darwin, Monster, Theorien, Experimente, Explosionen, Science-Fiction, Cthulhu, Dr. Frankenstein – Gauld beackert das ganze Science-Themenspektrum mit seinem tollen Humor, seinem genial reduzierten Strich und seinem gewaltigen Verständnis für grafisches Storytelling. Seine smarten Gags, die auch mal als Infografik oder Warnschildersammlung daherkommen können, werden zurecht von William Gibson ebenso gefeiert wie von Neil Gaiman – und treiben Comic-Cheftheoretiker Scott McCloud vermutlich Freudentränen in die Augen. Einfach und simpel sind hier nämlich bloß der erste Eindruck. Im Interview spricht Tom Gauld, der mit seiner Familie in London lebt, über seine Einflüsse, seine Arbeitsweise, Wissenschafts-Nerds und natürlich seine Comics aus der Abteilung für irre Theorien.

 


Tom Gauld. Selbstportrait.

Hallo Tom. Du bist in Schottland aufgewachsen. Wie groß war der Einfluss von britischen Science-Fiction-Comic-Magazinen wie „2000 AD“ auf dich?

In der Rückschau waren da drei große, stilistisch grundverschiedene Einflüsse, die mich an Comics heranführten. Ich kaufte mir jede Woche am Zeitungskiosk „2000 AD“, ich ging in die örtliche Bibliothek und bekam Bände von „Asterix“ oder „Tim und Struppi“, und ich las die Comics in unserer Lokalzeitung, mein Favorit war „The Far Side“ von Gary Larson. Ich denke, dass sie alle auf verschiedene Arten meine Arbeit beeinflussten, und ich kann noch heute Elemente von ihnen allen darin sehen.

Wenn ich mich für einen einzelnen Einfluss entscheiden müsste, wäre das Edward Gorey, dessen Schaffen ich entdeckte, als ich auf der Kunsthochschule war. Ich liebe die Eigentümlichkeit seiner Werke: er erzählt Geschichten wunderbar durch Worte und Bilder, doch seine Bücher sind keine klassischen Comics. Er lehrte mich, zu versuchen, die Dinge auf meine eigene Weise zu tun.

In den 80ern und 90ern hatten Comics einen ganz bestimmten Look. Wie hast du in dieser Umgebung deinen eigenen Stil entwickelt?

Ich habe meine ersten Comics 2001 zusammen mit meiner Freundin Simone Lia im Eigenverlag herausgegeben, und im Nachhinein betrachtet war es eine gute Zeit, um anzufangen. Die britische Comic-Szene war recht ruhig in jenen Tagen, daher hatte ich das Gefühl, dass es den Raum für uns gab, unser Ding zu machen, doch aus Nordamerika kamen auch wirklich inspirierende Dinge von Leuten wie Chris Ware und Dan Clowes, und aus Europa von David B, Jason und anderen.

Während meines Studiums an der Kunsthochschule hatte ich viele Zweifel wegen meines visuellen Stils. Ich hatte oft das Gefühl, dass ich expressivere, virtuosere, dunklere Arbeiten machen müsste, aber es brachte nicht viel: die Notizen und Kritzeleien in meinem Skizzenbuch waren immer besser als meine „KUNST“. Als ich anfing, Comics zu machen, ging ich ganz natürlich dazu über, meinen „Nicht-Stil“ zu verwenden, sprich, so zu zeichnen als wenn ich nicht nachdachte oder versuchte, jemanden zu beeindrucken. Ich will noch immer, dass die Comics hübsch aussehen, doch das kommt hoffentlich mehr durch interessantes Design, Struktur und Timing als durch traditionelles „gutes“ Zeichnen.

Dein neues Buch ist eine Sammlung deiner Strips für „New Scientist“. Wöchentlich musst du einen Comic im Special-Interest-Bereich von Physik, Biologie, Geschichte und Science-Fiction fertigbekommen. Wie schwierig ist das mit den Ideen?

Bevor ich für „New Scientist“ zu arbeiten begann, machte ich einen wöchentlichen Strip über Kunst und Literatur für den „Guardian“. Jener Comic fühlte sich an, als ginge er aus den Dingen hervor, zu denen ich normalerweise hingezogen wurde. Ich las ohnehin ziemlich viel, und meine Freunde waren Autoren und Künstler, mein Grundlevel an Wissen über das Thema war also ziemlich gut. Als es um Wissenschaft ging, war ich allerdings weniger bewandert und machte mir Sorgen, dass ich viele peinliche Fehler begehen und die wissenschaftliche Gemeinde erzürnen würde. Deshalb legte ich mir ein System der Selbstbildung zu: Ich las mehr wissenschaftliche Artikel und Bücher, abonnierte wissenschaftliche Podcasts und Twitter-Feeds und versuchte generell mehr über Wissenschaft nachzudenken. Wenn ich etwas Interessantes finde, schreibe ich es in einem langen Dokument auf meinem Smartphone auf: darin sind Hunderte von Notizen und halbausgeformten Ideen.

Und wie genau entsteht dann einer deiner Comics?

Meine zwei Geheimwaffen für das Comic-Machen sind Spazierengehen und Kaffee. Ich schaue kurz durch die Liste an Themen, Notizen und Halbideen auf meinem Telefon, dann spaziere ich zu einem Coffee Shop, wo ich mich hinsetze, Kaffee trinke und in mein Notizbuch zeichne, wobei ich hoffentlich etwas davon in eine witzige Idee verwandle. Das ist der harte Part: Ich weiß, dass ich mit ein bisschen Zeit einen vernünftig aussehenden Comic machen kann, aber mit einer überraschenden Idee aufzukommen ist tricky und kann Stunden dauern. Manchmal laufe ich von einem Coffee Shop zum nächsten, während ich mit einer Idee ringe. Dann gehe ich zurück zu meinem Studio (unterwegs denke ich noch mehr über die Idee nach) und fange an, grobe Bleistiftzeichnungen auf billigem Papier anzufertigen und durch Versuch um Versuch aus der Idee einen Comic zu machen. Ich verfeinere die Vorzeichnung, bis ich eine Version habe, die ich meinem Redakteur schicken kann, um zu sehen, ob sie happy damit sind. Sobald es abgesegnet ist, pause ich die Zeichnung mit Tusche auf hochwertiges Zeichenpapier und füge mehr Details hinzu. Zum Schluss koloriere ich am Computer und maile das Ganze an den Verlag.

Ist die wissenschaftliche Sphäre eigentlich wirklich voller Nerds, wie das Klischee behauptet?

Bisher sind meine Erlebnisse mit der Welt der Wissenschaft überwältigend positiv. Natürlich gibt es immer ein paar Leute (meistens Männer im Internet), die mit ihrer Cleverness angeben wollen und oft den Sinn des Comics übersehen: Bei meinen literarischen Comics waren das häufig Sprachwissenschafts-Nerds, und bei meinen Wissenschafts-Strips sind es übermäßig prosaische Detail-Nerds.

Der Aspekt der „Nerdhaftigkeit“, der mich anspricht, ist der nichtrechtfertigende Enthusiasmus für etwas, das als uncool angesehen werden könnte. Ich denke, dass die meisten Wissenschaftler etwas davon haben, ich aber ebenfalls. Ganz allgemein wirken Forscher sehr glücklich, wenn meine Comics das Feld der Fachgebiete berühren, und keineswegs so kritisch, wie ich befürchtet habe. Ich freue mich sehr, wenn Wissenschaftler Kontakt zu mir aufnehmen und danach fragen, einen Comic in einer Vorlesung oder manchmal sogar in einer wissenschaftlichen Arbeit verwenden zu dürfen.

In so einigen deiner Comics geht es um Prokrastination oder künstlerische Zweifel. Schöpfst du hier aus deinem eigenen Leben?

Ja. Obwohl ich denke, dass Misserfolg, Zweifel und Prokrastination in meinen Comics alle überbetont sind, weil negative Dinge für gewöhnlich witziger sind als positive. Selbst einige der Szenen in meinen Wissenschafts-Comics sind von meinen eigenen Erfahrungen abgeleitet und nur etwas weiter extrapoliert.

Ironie, Meta-Stoffe, Nerd-Wissen, visuelle Verspieltheit, Infografiken – gibt es Strips und Gags, die du verwirfst, weil sie am Ende zu kompliziert sind?

Humor baut häufig darauf, die Erwartungen des Publikums zu unterlaufen und mit seinen Vorstellungen bestimmter Dinge Spielchen zu treiben. Doch um das richtig hinzukriegen, musst du den Wissensstand der Leute richtig beurteilen, und das ist schwierig. Von den Comics im aktuellen Sammelband will ich, dass sie für Wissenschaftler interessant aber auch für Nichtwissenschaftler zugänglich sind. Ich kriege es nicht immer richtig hin, doch ich versuche es, und gelegentlich gebe ich etwas auf, für das zu abseitiges Wissen nötig ist. Auf der anderen Seite bedeutet es auch nicht das Ende der Welt, wenn ein Comic mal ein wenig auf der abwegigen Seite steht und ihn jemand nicht versteht oder etwas googlen muss.

Es heißt immer, britischer Humor sei speziell, doch deine Arbeit wird in Deutschland, den USA, China, Norwegen und Russland veröffentlicht, und du erreichst Wissenschaftler, Bibliophile, Comic-Fans und Nicht-Comic-Leser. Was macht deine Strips so universell?

Als ich mein erstes Buch kurzer, witziger Comics veröffentlichte, warnte mich der englischsprachige Verleger, dass wir vielleicht nicht viele ausländische Ausgaben bekommen würden, weil Humor nicht einfach reist. Zum Glück erschienen fast all meine Bücher überregional, und obwohl ich mir sicher bin, dass das viel mit meinen talentierten Übersetzern zu tun hat, denke ich doch auch, dass unsere globalisierte, vernetzte Welt womöglich eine internationalere Geschmacksrichtung für Humor erschafft.

Wenn du in dieser Welt einen Klassiker der Science-Fiction illustrieren oder adaptieren könntest – welcher wäre das?

Ich liebe die Arbeit von Kurt Vonnegut. Seine Bücher zu illustrieren oder auch nur die Cover für sie zu entwerfen, wäre herrlich. Ich mag seine Mischung aus Nachdenklichkeit und Albernheit.

Gibt es noch etwas, das du deinen deutschen Lesern sagen möchtest?

Sorry wegen des Brexit.

 

Abb. aus „Abteilung für irre Ideen“ © Tom Gauld

Autorenfoto ganz oben: Wikipedia/Asclepias/Creative Commons

Tom Gauld: Abteilung für irre Ideen • Edition Moderne, Zürich 2020 • 160 Seiten • Hardcover, 19,80 Euro

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