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ICOM Independent Comic Preis
Die Gewinner des ICOM Independent Comic Preises 2019
Bester Independent Comic

"Don't touch it!"
von Timo Grubing
(Zwerchfell)

Benji hat Ferien. Toll? Nein, dieses Mal freut er sich nicht darüber. Dass seine ältere Schwester Brittany nur noch ätzend ist, weil sie fürchterlich pubertiert reicht wohl noch nicht. Seine Familie muss außerdem auch noch seiner Cousine Loreley Obdach für den Sommer geben. Sie war schon immer etwas schräg, aber seit dem Verschwinden von Toby, ihrem Bruder, ist sie völlig neben der Spur, das sehen jedenfalls alle anderen so. Sie ist nun noch schreckhafter und verschlossener als zuvor. Sie schließt sie sich in ihrem Zimmer ein und durch die Tür kann man sie reden hören, mit sich selbst? Ist es nur Blödsinn, was die halbe Stadt munkelt – Lori soll ihren Bruder getötet und auf dem Schrottplatz verbuddelt haben … nur so Gerüchte … oder vielleicht ist doch etwas dran? Was hat es mit der merkwürdigen knorrigen Puppe zu tun, die Lori unter einer Glasglocke hütet? Und welche Rolle spielt ihre unheimliche Nanny? 

Benji beschließt, der Sache auf den Grund zu gehen und stellt erst viel zu spät fest, dass er von dem Geheimnis dieses Sommers lieber die Finger gelassen hätte …

"Don't touch it!"von Timo Grubing wird vom ICOM in der Kategorie "Bester Independant Comic 2019“ ausgezeichnet.
 
Der Comicband aus dem Hause Zwerchfell zeigt sich selbstbewusst in kompakter und doch raumgreifender Softcoverausgabe mit einem Innenteil aus recht dickem Papier für eine Haptik, die zum Verweilen einlädt … eine Falle … und einem Artwork, dass zurecht so benannt wird. In fein modulierten Graustufen mit nur einer Zusatzfarbe für das Cover bietet sich dem Betrachter ein gezeichnetes Werk in lockerem Style und perfektem Perspektiven-Mix, das sowohl neugierig macht, als auch puren Schauer auf die Haut legt. Gruslig wirkt es, "fürchte Dich!“ ruft es und schon hat es dich! Eine Horrorgeschichte, in der die handelnden Figuren Kinder, pubertierende Monster, nicht die schlimmsten Schreckensgestalten sind, und die alle Merkmale eines ausgereiften Schockers zeigt, nein mehrerer - ein Kaleidoskop aus zerfetzten und neuvernähten Fragmenten eines kompletten Genres. Unheilverkündend beginnt die unpaginierte Story. Unvorbereitet knallt Dir ein Unwesen direkt aus der Unterwelt ins Gehirn. Unfassbares Grauen tut sich auf. Unglaublich unerschrocken und unerwartet brutal treten die Protagonisten dem Höllending entgegen. Dabei sucht es doch nur nach einem Freund oder nicht? Unsere Empfehlung lautet: Unbedingt lesen!

Sandra Nußer

Charly-Eiselt-Preis für die beste Publikation eines Newcomers

"Kramer"
von Natalie Ostermaier
(Zwerchfell)

Die dreiköpfige Jury vergibt den Charly-Eiselt-Preis für die beste Publikation eines Newcomers an Natalie Ostermaier für ihr Werk "Kramer".

Besonders religiöse Zeitgenossen könnten unter Umständen so ihre Probleme mit dem Comic haben, denn es wird nichts beschönigt oder verklärt. Dabei gestalten sich die sanft modellierten Bleistiftzeichnungen klar und kompromisslos mit scharfer Kontrastierung von Hell und Dunkel und zeugen von profunder Kenntnis der menschlichen Anatomie sowie einem Blick für das Wesentliche. Zarte und kräftige Schraffuren im Wechsel unterstützen den ausgewogenen Duktus der zeichnerischen Handschrift der Künstlerin. Die einzige Farbe des Comics kommt erst zum Höhepunkt des Ganzen erschreckend wirkungsvoll zum Einsatz.

Inhaltlich stellt die Thematik der mittelalterlichen Inquisition und gnadenlosen Hexenverfolgung jetzt nichts wirklich Neues dar. Aber man muss über diese Sachebene hinausblicken und den Fokus auf die Sinnebene richten. Da stellt man nämlich fest, dass die in ein offensichtlich allbekanntes historisch kolportiertes Sujet gepackte Handlung eigentlich doch nur eine Widerspiegelung unserer heutigen Zeit ist. Die zu Beginn leicht als das Böse zu klassifizierenden Mitglieder der Gerichtsbarkeit beispielsweise erfahren im Laufe der Geschichte einen Wandel vom "absoluten Bösewicht" zum "bloßen" Vollzugsdienstleister einer höheren, noch furchtbareren Instanz, welcher sie aufgrund der allgemeinen Gegebenheiten am Ende mit Verwunderung, Misstrauen und Abneigung gegenüber dem titelgebenden Protagonisten begegnen. Erschreckend, wie die eine Unmenschlichkeit im Vergleich zu einer weitaus schlimmeren allzu schnell zu verblassen scheint. Ebenso erschreckend die Allmacht und die präzisionsuhrwerkgleiche Arbeitsweise der Administration in all ihrer Menschenverachtung und dennoch passend zur tumben Masse der Menschen, die in ihrem Egoismus, ihrer Schadenfreude und ihrer Sensationslust eigentlich nichts Besseres verdient. Kennen wir das alles auf die eine oder andere Weise nicht irgendwie aus den täglichen Nachrichten?

Mag sein, dass manch einer bestimmte Szenen in ihrer alles in allem sehr unverblümten Verbildlichung für brutal oder anstößig hält, doch ist bei dem Comic davon auszugehen, dass es sich an ein mündiges Publikum wendet, welches die richtigen Schlüsse zu ziehen vermag. Es geht in dem Werk keineswegs um die Darstellung eines konkreten historischen Ereignisses oder Sachverhalts. Es ist vielmehr eine metaphorische Warnung vor Trugschlüssen der Menschheit im Allgemeinen und vor religiösem Wahn im Besonderen. Der Teufel als gleichsam roter Faden der Handlung muss ebenfalls als Metapher verstanden werden. Es ist der Teufel, der in uns selber steckt. Wir Menschen geben dem Teufel Raum. Je mehr wir uns auf ihn einlassen, desto unmenschlicher werden wir. Das ist eine wirkliche Gewissensfrage. Letztlich entscheidet allein der Mensch, inwiefern er sich durch Ereiferungen, welcher Art auch immer, und durch den Wahn, das alleinige Recht oder die alleinige Wahrheit gepachtet zu haben, dem Teufel ergibt.

Dirk Seliger

Bester Kurzcomic

"Willy the Kid –
Alles im grünen Bereich"
von Raul und Rautie
(Edition Panel)

Fotorealistische Zeichnungen, emotionsgeladene Dialoge, komplexe Handlungsstränge: das alles trifft auf Raul und Rauties "Willy the Kid" nicht zu, und das ist auch gut so. Das Heft Nummer 25 "Alles im Grünen Bereich" besteht aus 20 leicht verdaulichen Kurzcomics, die jeden zum Schmunzeln bringen, der sich auf die altklugen Protagonisten der Kurzcomic-Reihe einlässt. Doch die Kurzgeschichten, die sich aus maximal drei Panels zusammensetzen, sind keine einfachen Schenkelklopfer: Je weiter man blättert, um so mehr beginnt man sich selber in den unscheinbaren Strichmännchen wiederzuerkennen. Plötzlich erinnert man sich an den einen Vorfall mit der Brotdose auf dem Schulhof in der siebten Klasse oder ein alter Schulkumpel kommt einem plötzlich in den Sinn und man fragt sich, wie es ihm wohl in den letzten Jahren des Erwachsenendaseins so ergangen ist.

Das Besondere an "Willy the Kid" ist sein geradezu trockener Humor, der vieles mit der Selbstverständlichkeit wahrnimmt, die uns mit dem Älterwerden immer weiter abhandenkommt. Wann hat man sich als Erwachsener das letzte Mal aufrichtig darüber gefreut krank zu sein, weil man dank dem Fieber ein paar Arbeitstage aussetzen konnte? Wer von uns hat in jüngster Zeit eine Städtereise unternommen, nur um eine gemütliche Runde Pokémon Go zu zocken, statt sich, wie ein normaler Erwachsener, die Architektur anzusehen oder ein paar langweilige Ausstellungen zu besuchen? Mit dem Erwachsenwerden kommt viel Verantwortung und Langeweile auf uns zu, mit denen wir als Kinder und Jugendliche im Leben nicht einverstanden wären. Früher hätten wir uns mit Händen und Füßen gegen den öden Alltag des durchschnittlichen Normalbürgers gewehrt, heute entwickeln einige von uns sogar ein perverses Vergnügen daran, unsere Steuer zu machen. "Willy the Kid" holt den Leser in eine Zeit zurück, in der die Welt noch authentisch war – ohne viel Schnickschnack und irgendwelche Komplikationen, und gerade das macht den Charme dieser Kurzcomic-Reihe aus.

Der simple Strichmännchen-Stil schließt jeden Leser sofort mit ein - ganz unabhängig vom Alter oder Beruf. Dadurch, dass die Charaktere so einfach gestaltet sind, kann sich jeder mit ihnen identifizieren. Es entsteht der gleiche Effekt wie bei den User generierten Rage Comics, die in den vergangenen Jahren einen festen Einzug in die Online-Community erlebten und ganz unabhängig von aktuellen Trends immer wieder auf Social Media Plattformen und Spaßseiten aufpoppen. Die spielerische Umsetzung von "Willy the Kid" macht diese Arbeit geradezu zeitlos.

Bemerkenswert ist auch, dass die Serie "Willy the Kid" mittlerweile seit zwei Dekaden in verschiedenen Tageszeitungen und anderen Publikationen erscheint und das sie nach so langer Zeit nichts von ihrem Witz und ihrem Charme eingebüßt hat. Das spricht nicht nur dafür, dass Raul und Rautie immer noch Spaß an ihrem gemeinsamen Projekt haben, sondern auch nach etlichen Jahren ihre Freundschaft hochhalten und kultivieren. Respekt.

Adroth Rian

Herausragendes Szenario

"Sonntage"
von Franz Suess
(Kabinett)

"Sonntage" von Franz Suess ist nur 14 Comicseiten lang und zerfällt in zwei Teile. Zuerst erleben wir den Protagonisten als Kind. Beim Spielen mit einem Eierschneider fällt er so unglücklich, dass die Drähte seinen linken Daumen zerfleischen. Seiner Mutter, die zuvor recht streng erschien, geht der Unfall sehr zu Herzen. "Sie sah aus wie ein verwundetes Tier", schreibt er. Im zweiten Teil der Geschichte ist er ein Jugendlicher, der beobachtet, wie ein Hund ein Reh in einen Stacheldrahtzaun hetzt. Es erleidet dabei das gleiche Schicksal wie einst sein Daumen im Eierschneider. Die Hundebesitzerin tut das ab: "So sind sie, die Tiere." Der Junge aber weiß, dass es nicht nur Tieren so ergeht. Sein Daumen ist nur noch ein grotesker Stummel.

Eine kurze Geschichte genügt, um den Bedingungen der menschlichen Existenz nachzuspüren. Haben die beiden Episoden etwas zu sagen – und sei es nur, dass blutige Unfälle passieren, ohne etwas zu bedeuten zu haben? Dass sie Lebewesen jeglicher Art treffen können und auch ein Mensch sich darüber nicht erheben kann? Warum geschieht so etwas eigentlich ausgerechnet am "heiligen" Sonntag? Der Autor bleibt klugerweise distanziert und lakonisch, obwohl er teilweise eine Innensicht seiner Comicfigur ermöglicht. Der Leser muss sich darüber schon selbst Gedanken machen. Selten hat man einen nicht einmal heftlangen Comic vor sich, der auf diese Art etwas im Leser anrührt. Der Comic wirkt selbst erlebt, dürfte aber künstlerisch bearbeitet und verfremdet sein. Selbstverständlich kann man das abtun: "So sind sie, die Lebewesen."

Franz Suess setzt seine kleine Begebenheit in Zeichnungen um, die stilistisch sehr gut zum Inhalt passen. Schwarz-weiß mit Grautönen, expressiv, spröde, beinahe bewusst hässlich. Er beschönigt nichts, macht aus der Episode aber auch kein weltbewegendes Drama. Schon mehrmals ist der Wiener Künstler, Jahrgang 1961, für seine grafische Arbeit ausgezeichnet worden. 2016 und 2017 hat er auch beim ICOM Independent Comic Preis eine lobende Erwähnung erhalten – diesmal hat es zu einem Preis gereicht.

Auffällig an dem Heft "Sonntage" ist auch, dass es zur Wiener Kabinett Comic-Passage gehört. Seit mehr als zehn Jahren finden hier regelmäßig Comic-Ausstellungen statt, und zu jeder Ausstellung erscheint so ein Heft. Eine bemerkenswerte Initiative, dem Medium Comic mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen. "Sonntage" von Franz Suess ist der 40. Band. Auch das erschien prämierenswert.

Andreas Alt

Herausragendes Artwork

"Das verfluchte Elixier"
von Veronika Gruhl
(Zwerchfell)

Früher war herrschende Meinung, Comics eigneten sich als Lektüre nur für Kinder. Heute ist man eher irritiert, wenn man einen Comic vor sich hat, der an Kinder gerichtet ist. Die Graphic-Novel-Kultur hat dazu geführt, dass man, jedenfalls bei einem Buch, nun immer etwas Anspruchsvolles, Ausgeklügeltes, grafisch Extravagantes erwartet. Dabei waren Comics bis vor 30 oder 40 Jahren tatsächlich hauptsächlich ein Kindermedium. Nun hat sich der Nachwuchs weithin von den Comics ab- und dem Smartphone oder Computerspiel zugewandt. Da muss man über den kleinen Trend zu Kindercomics froh sein.

Veronika Gruhls "Das verfluchte Elixier" ist weder anspruchsvoll noch extravagant. Der Comic wendet sich an Kinder, die mit so etwas wenig anzufangen wissen. Der Zwerchfell Verlag, der das Buch herausgebracht hat, gibt zwar kein empfohlenes Lesealter an, aber man kann annehmen, dass es für Acht- bis Vierzehnjährige geeignet sein dürfte. Wir erleben eine Kindergruppe, die einem Geheimnis auf der Spur ist (wie einst bei Enid Blyton), eine Geschichte, die recht langsam ins Abenteuer führt (damit auch Jüngere mitkommen), und am Ende sogar etwas Übersinnliches (das gab es bei Enid Blyton nicht). Das Elixier, auf das die Viererbande stößt, beschleunigt das Älterwerden, aber nur die Erwachsenen wissen, dass Älterwerden letztlich Altern bedeutet. Für Kinder, die noch nicht so viel Leseerfahrung haben, ist das Thema genau richtig und zudem nicht zu aufregend behandelt.

Aber hier soll vor allem das Artwork gelobt werden. Die Zeichnerin schafft es, visuell ihre Zielgruppe anzusprechen, ohne die kindliche Optik zu übertreiben. Kinder wollen nämlich auch ernst genommen werden. Technisch betrachtet setzt Veronika Gruhl leuchtende, aber nicht zu bunte Farben ein. Ihre Figuren zeichnet sie gefällig mit großen Köpfen, runden Augen und betontem Mienenspiel. Aber sie entfernt sich nicht weit vom Realismus, was man an vielen Details – Häusern, Fahrrädern, der sommerlichen Kleidung, auch an den gut unterscheidbaren Gesichtern – ablesen kann. Es gibt also etwas zu sehen und eine kleine, für Jüngere fassbare Welt zu entdecken.

Eigentlich ist Veronika Gruhl, die in München lebt, ausgebildete Illustratorin, spezialisiert auf Buchillustration und Event-Zeichnen. Sie hat aber eine nicht zu übersehende Liebe zu Comics. Das vorliegende Werk jedenfalls führt eine Menge typischer Ausdrucksmittel von Comics – und nicht nur Mangas – vor. Laut Verlagsangaben zeichnet sie besonders gern Comics für Kinder. Und dafür hat sie ohne Zweifel auch ein Händchen.

Andreas Alt

Sonderpreis der Jury für eine bemerkenswerte Comicpublikation

"Di Abenteuer fom Hartmut"
von Haggi
(
Gringo Comics)

Wenn man Haggis "Hartmut" in den Händen hält, wird einem plötzlich bewusst, wie lange sich der renitente Dreikäsehoch eigentlich schon auf diversen Comicseiten tummelt. Welch beeindruckendes Durchhaltevermögen, welch Kontinuität!

Der schnörkellose "Strichmännchen-Stil" ist unverwechselbar und hat, wenn man es genau nimmt, diverse als Comic-Romane deklarierte Kinderbücher in der Form eines Schülertagebuchs lange vorweggenommen. Die legasthenischen und bewusst naiv gehaltenen Texte erscheinen denen, die tagtäglich, ob beruflich oder familiär, mit unseren lieben Kleinen zu tun haben, besonders authentisch. Im Unterschied zu manchen realen Schülerarbeiten sind sie auch tatsächlich amüsant. Die aufs maximale Minimum reduzierten Zeichnungen passen nicht nur gut dazu, sie zeugen auch davon, dass der Künstler gewissermaßen die zeichnerische Essenz aus seiner Bildersprache zu extrahieren versteht. Dadurch wirken die Comics, als hätte man sie selbst in der frühesten Kindheit oder Jugend während einer extrem langweiligen Unterrichtsstunde in eines der Schulhefte gekritzelt, um die Zeit mit interessanteren Dingen zu überbrücken, dummerweise eine Schriftsprache nutzend, die korrekt zu lernen man nicht bereit ist. Zumindest noch nicht. Das bedeutet, dass jeder von uns in "Hartmut" das eine oder andere Stückchen seiner mehr oder weniger rebellischen Schulzeit wiederfindet, wodurch das Werk noch mehr an Authentizität und Liebenswürdigkeit gewinnt.

Nahezu jeder, der sich zu erinnern gewillt ist, kann sich mit den Abenteuern des aufgeweckten Kerlchens identifizieren. Dank "Hartmut" gelingt es selbst dem eingefleischtesten und erwachsensten Rationalisten, wieder zum Kind zu werden, ohne seine erworbene Intellektualität aufgeben zu müssen, denn der Comic stellt gleichsam ein Tor zur Kindheit dar. Es ist ein unschätzbares Privileg, dieses Tor passieren zu dürfen. DAS ISST DEHM HARTMUT SEIN FERDIHNST. Und natürlich das von Haggi.

Dirk Seliger

Sonderpreis der Jury für eine besondere Leistung oder Publikation

Guido Weißhahn
www.ddr-comics.de


Es gibt noch viele weiße Flecken auf dem Gebiet der deutschen Comicforschung. Sie mit Inhalten zu füllen, ist die Passion vieler unermütlicher Forscher, Sammler und Spezialisten. Einer davon ist Guido Weißhahn. Er hat es sich auf die Fahnen geschrieben, längst vergessene oder verschollene DDR-Comics zu lokalisieren, zu katalogisieren und bei besonders hoher Qualität oder Beliebtheit auch zu publizieren. Comics hatten in der DDR einen noch schwereren Stand als im Rest von Deutschland. Sie durften nicht einmal Comics genannt werden. Diese sogenannten Bildgeschichten, die man nicht kennt, nach all der Zeit aufzuspüren, in Zeitungen und Zeitschriften, von denen man nie etwas gehört hat, ist Freude und Herausforderung zugleich. Auf seiner Internet-Präsenz HYPERLINK "http://www.ddr-comics.de" www.ddr-comics.de trägt Guido Weißhahn seit vielen Jahren all solche Informationen zu einem stetig wachsenden und für jedermann zugänglichen Nachschlagewerk zusammen. Dabei ist es eine Sache, die bibliografischen Angaben zu den jeweiligen einzelnen Werken zu sammeln und zu katalogisieren. Eine andere ist es, sich mit den Rechten der Autoren, Zeichner und Rechtsnachfolgern zu beschäftigen, wenn ein Werk sich für eine Veröffentlichung eignet.

Obwohl es Comics in der DDR nicht leicht hatten, erweist sich ihre Aufarbeitung aufgrund einer doch überraschenden Fülle und Vielfalt als wahres Mammutprojekt, noch dazu für einen Einzelnen. Im Laufe der Zeit entstand auf diese Weise nicht nur ein profunder Katalog von DDR-Comics, sondern sogar von ganzen Kinder- und Jugendzeitschriften. Ein vollständiger Index der Kinderzeitschrift FRÖSI ist bereits verfügbar. Weitere Indices für Zeitschriften wie BUMMI oder die ABC-Zeitung sind in Arbeit. Gleichzeitig erstellte und erstellt Guido Weißhahn Künstlerporträts, Dossiers von importierten Comicwerken und vieles mehr. Herausragend und beeindruckend gestalten sich ebenfalls seine Comic-Nachdruck-Reihe „Klassiker der DDR-Bildgeschichte“ inklusive diverser Sonderausgaben sowie seine Buchveröffentlichungen im Rahmen des von ihm ins Leben gerufenen Clubs der DDR-Comicfreunde. Guido Weißhahn beteiligte sich mit seinem projektbezogenen Holzhof Verlag mehrmals am Gratis-Comic-Tag und unterstützt von Zeit zu Zeit auch aktuelle Comic-Künstler als Verleger.

All diese Aktivitäten und ihre Ergebnisse erfordern nicht nur ein akribisches Arbeiten und eine unerschütterliche Geduld und Ausdauer, sondern auch ein umfangreiches Wissen, ein gewisses Maß an finanzieller Opferbereitschaft und jede Menge Zeit. Eine solch besondere Leistung verdient es, mit dem ICOM Independent Comicpreis prämiert zu werden.

Dirk Seliger

Lobende Erwähnungen


"Leporello Bibliographie Nr. 1: Günter Hain"
von Michael Hebestreit (Hrsg.)
Selbstverlag

In seiner Magazin-Reihe „Leporello“ stellt Herausgeber Michael Hebestreit vergessene oder unbekannte Künstler, Grafiker, Autoren und Zeichner, das unbekannte Frühwerk verschiedener heute bekannter Künstler, bestimmte Themengebiete und vieles mehr vor. Die Reihe ist seit ihrem ersten Erscheinen 2017 mittlerweile auf 11 Ausgaben angewachsen. Nun kam die erste Sonderausgabe des „Leporello“ in Form eines Buches heraus. Darin geht es um Leben und Werk von Günter Hain, einem der vermutlich meistbeschäftigten, aber heute nahezu unbekannten Comiczeichner der DDR.
Inhaltlich widmet sich diese Bibliografie jedoch nicht nur dem Comic-Werk des Künstlers, sondern vor allem auch seinen Arbeiten hinsichtlich bearbeiteter Bücher und Heimatliteratur, Gemälden, Illustrationen für Zeitungen und Zeitschriften und sonstigen Publikationen. Das Werk ist durchgängig mit vielen zum Teil farbigen Bildbelegen von Arbeiten des Künstlers versehen, die die aufwändige und zeitraubende Recherche nur erahnen lassen.
Die Bibliografie erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Sie stellt den ersten Versuch dar, sich dem Werk eines deutschen Comickünstlers zu nähern. Der Herausgeber ruft darum dazu auf, die Informationen zu erweitern und eventuelle Privatarchive zur weiteren Bearbeitung der Bibliografie zur Verfügung zu stellen.

Dirk Seliger

Panel – tenaxious comix
von Christian "Max" Vähling u.a.
Edition Panel)

tenaxious comix: das bedeutet hartnäckig, zäh, ausdauernd. Der Titel passt, kann quasi als Synonym betrachtet werden, denn Panel war und ist irgendwie immer da, genau wie Bert, sein Macher. Bert Dahlmann erschuf Panel aus einer "Notwendigkeit" heraus, wie er es beschrieb und er setzte damit ein Zeichen in der Comicwelt - ein Ausrufezeichen. Seit seiner Gründung im Jahr 1989, hat sich Panel zu einem der einflussreichsten deutschen Comic-Fanzines entwickelt und ist eine Landebasis für Gezeichnetes jeder Art. Viele deutsche Comiczeichner wurden dank Panel erst von ihrem Publikum entdeckt. 

Panel - tenaxious comix Nr. 1 von Panel pti edition, PANEL e. V., wird vom ICOM 2019 lobend erwähnt.

Die eingereichte Ausgabe beinhaltet wunderbare kleine Geschichten wie „Mein großer Tag“ von TeER, die pädagogisch wertvolle Sonntagserzählung eines Vaters, der nur ein wenig Ruhe haben will vor den Kids, die Dramödie des Herrn Wolke, der seinem Schicksal nicht entkommt und eine Rückblende in die „Punk- und Waveszene“ von Stockholm in den 90ern. Ihr findet euch garantiert zwischen den Panels wieder.

Panel wird hoffentlich immer da sein, auch wenn Bert nicht mehr in Persona da sein kann, um alles zu regeln. tenaxious comix" macht jedenfalls Hoffnung, dass es so sein wird  und bildet ein ungestümes Sammelsurium an Geschichten, Strips und Panels, das uns in jede nur denkbare Nische der uns zur Verfügung stehenden Gedankengänge schubst, uns abholt und manchmal auch einfach stehen lässt, aber niemals allein.
Sandra Nußer

"Kauboi und Kaktus – Hell is' im Wunderland"
von Christian Schmiedbauer

www.kauboiundkaktus.de

Auf den ersten Blick mutet Christian Schmiedbauers "Kauboi und Kaktus - Hell is'im Wunderland" eher seltsam an. Die Story erscheint wirr, die Szenenwechsel wirken irritierend. Unter jeder Comicseite steht ein Text, der sich auf den Inhalt, die Entstehung und das Musikstück bezieht, das von Christian Schmiedbauer für jede einzelne Seite handverlesen wurde. Man spielt das Musikstück ab, nimmt sich die Comicseite wiederholt unter die Lupe, überfliegt nochmals den Text, versucht alle zusammenhänge zwischen Bild, Wort und Ton zu erfassten. Man verweilt noch ein wenig, dann blättert man vor.

Jede Seite von "Kauboi und Kaktus" ist eine Collage, die altbekannte Bilder zu neuen Inhalten zusammensetzt. Text und Sound schaffen eine spannende und einzigartige Ergänzung zu den Comicpanels und bilden mit ihnen gemeinsam neue Kontexte und Gedankenstränge.

Wer traut sich, mit in Christians Wunderland einzutauchen? Ich bin jedenfalls angefixt und warte bereits mit blutunterlaufenen Augen auf die nächste Seite von "Kauboi und Kaktus" auf www.kauboiundkaktus.de

Adroth Rian

"Der Brunnen"
von Sandra Untenberger
(Eigenverlag)

Schreckenbrunn - verheissungsvoller Name eines kleinen Ortes mit einem grausamen Geheimnis. Der Tod der Großmutter führt Samantha und Felicitas dorthin und in die Vergangenheit. Die findigen Schwestern stoßen auf Rätsel, Furcht und Schweigen, finden Hinweise auf ein grässliches Ritual. Wie sehr sind sie damit verbunden? Was wusste ihre Mutter darüber? Die Nachforschungen bringen die beiden in Lebensgefahr.

"Der Brunnen" von Sandra Unterberger wird vom ICOM 2019 lobend erwähnt.

Eine unheilvolle Geschichte erzählt uns Sandra Unterberger auf 69 Seiten und erklärt hinten im Heft, was sie in der Schaffenszeit bewegt hat. Von Aufregung über Schlafmangel und Schmerzen bis hin zu Vorfreude und Zufriedenheit reicht ihre Erlebnispalette und das Ergebnis ist ein Comicband, auf den sie stolz sein kann. Für die Gestaltung hat die Zeichnerin einen Tuschestil gewählt, der das Farbspektrum eingrenzt, was die Wirkung der Erzählung absolut unterstützt. Der Plot ist gut strukturiert und die Handlung schleicht sich aus dunklen Ecken heran. Protagonisten sind die Zwillinge Samantha und Felicitas, die sich unerschrocken einem Mythos entgegenstellen, der ein ganzes Dorf zu vernichten droht. Irritierend, aufwühlend und auch spannend und kurzweilig: Der Brunnen - stürze Dich rein, doch wirst Du sicher sein?

Sandra Nußer

Die Jury

Andreas Alt (Augsburg)
Sandra Nußer (Friedrichshafen)
Adroth Rian (Waiblingen)
Dirk Seliger (Föritz)
20 Jahre ICOM Independent Comic Preis
Aus Anlaß des 20jährigen Jubiläums des Independent-Preises druckte der ICOM 2014 dieses Poster mit allen Preisträgern. Ein höherauflösendes PDF findet man, wenn man auf die obige Abbildung klickt.