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Ausgezeichnet: Die Peng!-Preisträger 2019 mitsamt Veranstaltern des Comicfestivals.

© Marcus Antritter / Comicfestival München

Münchener Mischung: Im Süden nichts Neues?

Fan-Spaß, Gender Trouble und die zwei Gesichter von Batman: Ein Rückblick auf das 18. Münchener Comicfestival.

Die Location, in der das Münchener Comicfestival seit 2015 seinen Hauptstandort gefunden hat, ist ein Architekturdenkmal: die nahe der Theresienwiese gelegene Alte Kongresshalle. Das hohe, mit einer einladenden Glasfront versehene Gebäude wurde 1953 fertiggestellt. Vom Foyer gelangt man über eine elegant geschwungene Freitreppe auf eine Empore; blickt man von dort nach unten auf Haupthalle und Bühne, fühlt man sich an einen alten Kinopalast erinnert.

Auch ansonsten hat man mitunter den Eindruck, auf einer Zeitreise in die Vergangenheit zu sein. Vieles ist hier so, wie es auf dem Erlanger Comic-Salon vor zwei, drei Jahrzehnten war. Das Festival ist nach wie vor sehr überschaubar, und der seit langem bestehende Kern der Szene bleibt weitgehend unter sich.

Gepflegt wird die gediegene Comic-Kunst, weit überwiegend aus Europa und den USA. Mangas sind ohne Bedeutung, was zur fast völligen Abwesenheit von Cosplayerinnen und Cosplayern und von Jugendlichen allgemein führt.

Neue Räume für den Nachwuchs

Die meisten wichtigen Verlage haben ihre Stände, aber eben nicht alle: In diesem Jahr fehlten Splitter und Zwerchfell. Dem Nachwuchs, etwa aus den Kunsthochschulen, gilt in München kein großes Augenmerk – auch wenn sich dies nun zu ändern beginnt: Mit dem „art & zine workspace“ stand in der Kongresshalle erstmals eine „offene Kunst- und Comicwerkstatt“ zur Verfügung, in der junge Zeichnerinnen und Zeichner gemeinsam arbeiten und ihre Werke anbieten konnten.

Anders als der Erlanger Salon, der vom lokalen Kulturreferat organisiert wird, ist das Festival eine semiprofessionelle Angelegenheit, die von einem kleinen Team um Heiner Lünstedt und einer Schar eifriger Praktikantinnen und Praktikanten gestemmt wird.

Das von der Stadt München zur Verfügung gestellte Budget von 70.000 Euro ist lächerlich niedrig; alles Weitere muss mit Eintritten und Standmieten erwirtschaftet werden. Auf die Stimmung hinter den Kulissen angesprochen, gaben Macher und Verlagsleute diesmal durchweg positive Antworten. Die Organisation funktionierte besser als früher; dazu war man an manchen Ständen geradezu verblüfft über die Kauffreude des Publikums, auch über dessen Neugierde, wenn es um Anspruchsvolleres ging.

Erhebliche ästhetische und ideologische Differenzen

Eine Insel der Seligen war das Festival dennoch nicht; die unruhige Gegenwart fand auch hier ihren Widerhall. Der heftige Streit, der sich im letzten Jahr an der damals nicht paritätisch nach Geschlechtern besetzten Jury des ICOM-Preises entzündete, ist nicht beigelegt.

Auf der Comic Con Germany, die am nächsten Wochenende in Stuttgart stattfindet, wird zum ersten Mal der GINCO, der „German Inclusive / Independent Comic“-Award, verliehen werden; eine wichtige Rolle bei dessen Kreation spielt das Netzwerk Comic Solidarity.

In München betrat am Freitagabend dagegen wieder Burkhard Ihme, seit 1995 Vorsitzender der „Interessengemeinschaft Comic“, die Bühne, um die ICOM-Preise zu verleihen (hier findet sich die Liste der Ausgezeichneten). Die Zahl der Anwesenden – fast ausschließlich männlich und überwiegend älter – hielt sich sehr in Grenzen.

Unabhängig davon, wie es mit den beiden Preisen weitergehen wird: Unterm Strich ist deutlich, dass es in der deutschen Indie-Szene erhebliche ästhetische und ideologische Differenzen gibt – wenn man nicht gleich von einer Spaltung in zwei einander völlig entfremdete Lager reden will.

„Was darf ich im Comic noch geil finden?“

Sexismus war dann ein Thema, das im Rahmenprogramm des Festivals mehrfach zur Sprache kam. Lisa Frühbeis konnte ihren ironisch „Was darf ich im Comic noch geil finden?“ betitelten Vortrag aus programmorganisatorischen Gründen leider nur in sehr abgekürzter Form halten. Allein das aus verschiedenen Quellen zusammengetragene statistische Material, das sie präsentierte, war aber erschütternd.

Speziell in den US-amerikanischen Mainstream-Comics sind die Geschlechterrollen zementhart festgelegt. Einerseits stagniert bei Marvel und DC die Zahl der „female creators“ bei unter 20 Prozent. Andererseits haben Superheldinnen und Superhelden meistens jeweils verschiedene, geschlechtstypische Fähigkeiten.

Die Männer können mit ihrer Physis ordentlich auf den Putz hauen; die Frauen dagegen – in ihrer Tarnidentität gerne als dieses oder jenes „Girl“ bezeichnet – sind vorzugsweise mit psychischen Kräften wie Empathie oder Telepathie ausgestattet. Besser sieht es in USA im Bereich der Graphic Novels aus: Dort übertrifft die Zahl der Frauen und der „transgender, agender and non-binary people“ eindeutig die der männlichen Künstler. Mangas sind eine rein weibliche Domäne.

Lisa Frühbeis, die mit ihren Comics auch im „Tagesspiegel“ vertreten war, zählte mit Katja Klengel („Girlsplaining“) und Olivia Vieweg („Endzeit“) auch zu den Gästen einer von Barbara Yelin („Irmina“, „Der Sommer ihres Lebens“) moderierten Talkrunde.

Unter den auf der Website des Festivals als Gästen gelisteten Künstlern, stellte Yelin einleitend fest, seien nur ein Fünftel Frauen. Daran dass die Zeiten männlicher Dominanz in der Szene ihrem Ende zugehen, bestand dennoch kein Zweifel; sie und ihre Kolleginnen, bemerkte Frühbeis, seien „Teil eines Prozesses“.

Über Sexismus in der Branche wollte sich zumindest Vieweg nicht beklagen. Sie verwies stattdessen auf ihre positiven Erfahrungen, nicht nur mit Förderern, sondern auch mit älteren, männlichen Lesern, die bereit seien, über ihren „Asterix“-Horizont hinauszublicken.

Die vielen Gesichter des Matthias Schultheiss

Eher wieder auf ein ruhiges Terrain führten in München die Ausstellungen. Eine der größeren war Matthias Schultheiss („Die Haie von Lagos“, „Die Reise mit Bill“) gewidmet. Sie war nicht chronologisch, sondern klug nach Aspekten wie „Gewalt“, „Zärtlichkeit“ und „Humor“ geordnet.

Über Schultheissʼ recht pathetische, mit viel Blut und Sex getränkte Männerphantasien sowie über seinen Hang zu Esoterik und Mystik kann man geteilter Meinung sein; ein großartiger Zeichner ist er aber zweifellos.

Seine Seitenlayouts haben immer wieder eine filmische Qualität. Arbeitet er, wie in „Stromer“, allein mit dem Bleistift, gelingen ihm mit wenigen, sorgfältig gesetzten Strichen und Schraffuren plastische Bilder. Und, so viel Action es bei ihm gibt, am stärksten ist er doch im Erzeugen von Atmosphäre. Mit sensibler Kolorierung vermag er das Spezifische einer Tageszeit, eines Klimas oder eines Ortes einzufangen.

Von Egon Schiele inspiriert

Die mit Abstand interessantesten Beiträge, die eine kleinere Ausstellung zur taiwanesischen Comic-Szene bot, waren von der einzigen Künstlerin, der 1988 geborenen 61Chi. Als ihre Vorbilder nennt sie Egon Schiele ebenso wie die westliche Comic-Kunst.

In ihrem Band „Sometimes in the City“ zeigt 61Chi jeweils einseitige Episoden aus dem großstädtischen Leben. Die stummen Panels sind stets gleich groß und gleich angeordnet; am Fuß der Seiten steht immer ein kurzer, kommentierender Satz.

Ebenfalls klein, aber gut ausgewählt ist die noch bis zum 9. Juli im Valentin Karlstadt Musäum zu besuchende Ausstellung zum 40. Jubiläum der „Titanic“. Hier erhalten nicht nur die Stars des Magazins ihren Platz, sondern auch Hilke Raddatz, die mit ihren eleganten Prominenten-Karikaturen bislang in jedem Heft mit dabei war, um den berühmten „Briefen an die Leser“ zusätzlich Würze zu verleihen.

Die zwei Gesichter von Batman

Noch bis zum 30. September hängt im Amerikahaus eine unbedingt sehenswerte Ausstellung zum 80. Geburtstag von Batman. Die fast 100 Originale aus allen bisherigen Jahrzehnten seiner Existenz zeigen, dass dieser Superheld, auch als Maskenträger, immer zwei Gesichter besessen hat.

Auf das Verständnis von Batman als einer Figur, die sich vor allem mit den Attributen „grim and gritty“ charakterisieren lässt, hat wohl niemand so viel Einfluss gehabt wie Neal Adams mit seinen kanonischen, viel imitierten Arbeiten aus den frühen Siebzigern. Der „Dark Knight“ Frank Millers ist eigentlich nur eine rabiatere Version von Adams̕ Batman.

Zugleich gab es stets aber auch eine Art „Pop-Batman“, der bunt und schrill und nicht ganz ernst gemeint daher kam. Er findet sich in den Fünfzigern bei Dick Sprang, in den Sechzigern in der dem Camp verpflichteten Fernsehserie mit Adam West. in den Neunzigern in der Cartoon- und Comic Book-Serie „Batman Adventures“.

Inzwischen läuft mit „Batman 66“ erfolgreich eine Reihe im Retro-Stil, die an die Fernsehserie anknüpft und deren Cover von Mike Allred gestaltet werden – von ihm stammt auch eines der schönsten Blätter der Ausstellung.

Ausgezeichnete Comics

Am Samstagabend wurden die „Peng!“-Preise verliehen. Als bester deutscher Comic wurde Flixʼ „Spirou in Berlin“ ausgezeichnet, als bester europäischer Comic Matthieu Sapins „Gérard – Fünf Jahre am Rockzipfel von Depardieu“.

Über letztere Entscheidung lässt sich streiten, ebenso wie über die Wahl von Sean Murphys „Batman – Der Weiße Ritter“ zum bestem nordamerikanischem Comic. Der Preis für die beste Edition eines Klassikers ging an die „Rip Kirby“-Ausgabe des Bocola Verlags, der für das beste Forschungswerk an „Batman: Re-Konstruktion eines Helden“ von Lars Banhold. Den Preis für sein Lebenswerk konnte Matthias Schultheiss entgegennehmen.

Christoph Haas

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