Steckt Werbung in der Sinnkrise?

Sorgt Digitalisierung für eine Krise in der Werbebranche? Medienwissenschaftler Markus Feiks hat Antworten.

Steckt Werbung in der Sinnkrise?
Markus Feiks ist Kommunikations- und Medienwissenschaftler an der Eberhard Karls Universität in Tübingen. In seiner Dissertation hat er sich mit künstlicher Kreativität auseinandergesetzt und untersucht, wie KI die Produktion von Werbekommunikation verändert.

Warum steckt Werbung in der Sinnkrise?

“Werbung steckt aus unterschiedlichen Gründen in der Sinnkrise. Im Zuge der Individualisierung und Personalisierung von Werbekommunikation müssen Werbetreibende zum Beispiel sehr kleinteilig auf die unterschiedlichen Sinnwelten der RezipientInnen eingehen. Die Werbebranche steht also vor der (teilweise selbst gewählten) Herausforderung, maßgeschneiderte Sinnangebote zu unterbreiten. Mit anderen Worten: Werbung soll in formaler sowie ästhetischer Hinsicht den Nerv eines jeden Einzelnen treffen und das in Echtzeit.

Werbekommunikation steckt aber auch deshalb in der Sinnkrise, weil sie ihre Funktion nicht mehr einlösen kann. Werbung wird zunehmend blockiert und das aus unterschiedlichen Gründen. Die aufwendig produzierten Sinnangebote kommen also gar nicht mehr bei den Rezipierenden an und dadurch verliert Werbung eben ihre Legitimation. Warum soll jemand für die Produktion von Werbekommunikation bezahlen, wenn letztlich keiner das Endprodukt zu sehen bekommt? Das ist nicht nur aus ökonomischer Sicht unvertretbar. Hier wird auch Lebenszeit verschwendet.”

Welchen Problemen steht die Werbebranche gegenüber?

“Werbung ist weder sexy, noch die schönste kommunikative Nebensache der Welt, auch wenn die Werbebranche das – vermutlich als einzige – anders sieht. Die meisten Menschen sind von Werbung eher genervt als angetan. Werbekommunikation hat daher ein schwerwiegendes Akzeptanzproblem. Es wäre einmal ganz spannend zu analysieren, ob Menschen lieber fünf Minuten Stille ertragen, oder ob sie sich fünf Minuten Werbung aussetzen würden. Ich tippe auf Stille. Andererseits gibt es ja durchaus Werbung, die freiwillig rezipiert und in den sozialen Netzwerken millionenfach geteilt wird. Das sind aber meist nicht die datengetriebenen Kleinanzeigen, sondern emotionale Geschichten, die ein verbindendes Element enthalten.

Natürlich hängt es von der Kommunikationssituation ab, nicht immer ist ‚Advertainment‘ angebracht. Zudem kosten diese Werbegeschichten auch Geld und hier liegt ein weiteres Problem: Für immer größere Leistungsanforderungen stehen nicht gleichermaßen höhere Ressourcen zur Verfügung. Aufwendige Produktionen benötigen entsprechende Ressourcen, doch viele sind nicht bereit, diese bereitzustellen. Die Vorstellung, gute Kommunikation entstünde mit zwei, drei Klicks in Photoshop, scheint mir noch zu sehr in den Köpfen der Entscheider verankert zu sein. Das wird verstärkt, indem Technologie-Anbieter versprechen, funktionierende Kommunikation herstellen zu können, jedoch für einen Bruchteil der Kosten. Kreative Leistung ist meines Erachtens jedoch schlecht zu kalkulieren, auch wenn jene Technologie-Unternehmen dem sicherlich widersprechen würden. Nichtsdestotrotz hat sich die Konkurrenzsituation innerhalb der Werbebranche in den letzten Jahren verschärft. Neue Akteure sind auf dem Werbemarkt aufgetaucht, die etwas vom Werbekuchen abhaben wollen. Der Kuchen hat sich jedoch nicht unbedingt vergrößert.”

Welchen Beitrag hat Digitalisierung dazu geleistet?

“Die Digitalisierung verändert nahezu alles. Doch sie wurde lange Zeit nicht Ernst genug genommen. Dadurch hat sich der Abstand zu denjenigen Unternehmen vergrößert, die hinsichtlich digitaler Technologie und Prozesse sowieso schon einen Wissens- und Kompetenzvorsprung besaßen. Diese „Digital Native Businesses“ hatten dadurch kaum Konkurrenz und konnten sich entsprechend frei entfalten. Viele haben zu spät reagiert, sich zu lange auf alten Geschäftsmodellen ausgeruht, die „digital“ jedoch nicht gleichermaßen funktionieren. Heute wissen wir, dass die Digitalisierung so ziemlich alle Geschäftsprozesse verändert und in den nächsten Jahren definitiv verändern wird. Wie groß die Einschnitte für die Werbe- beziehungsweise gesamte Kommunikations- sowie Medienbranche sind und noch sein werden, sieht man etwa ganz deutlich an den Klageliedern derjenigen, die sich wiederholt über die „Marktdominanz“ von Google und Co. aufregen.

Auch hinsichtlich der Automatisierung spielt die Digitalisierung eine wesentliche Rolle. Die zunehmende Rechenleistung und die Verfügbarkeit von Daten sorgen dafür, dass die Digitalisierung noch schneller vorangetrieben wird. Auch hier sind es vor allem die Technologie-Anbieter, die diesen Prozess beschleunigen. Das ist ja auch verständlich, schließlich basieren deren Geschäftsmodelle darauf. Letztlich hat die Digitalisierung dazu geführt, dass die Werbebranche nicht mehr nach ihren eigenen Regeln spielt, sondern nach den Regeln der Tech-Unternehmen. Kein Wunder also, dass das Geschrei groß ist. Die Kommunikationsbranche ist aber, wie gesagt, an ihrer Situation nicht ganz unschuldig. Es kommt also einiges zusammen: Die Bedingungen der Werbeproduktion haben sich dramatisch verschärft und dann will auch noch keiner die Kreativprodukte sehen — und schon gar nicht ist man bereit, den Werbeaussagen zu glauben. Mit anderen Worten: Werbung zu vertrauen ist im Grunde wie Lotto spielen. Die Wahrscheinlichkeit dadurch etwas zu gewinnen, ist sehr, sehr gering.”

Gab es nicht schon immer ein Vertrauensproblem in der Werbebranche?

“Ich bin der Auffassung, dass Werbung schon zu lange versucht, mit den falschen Mitteln für sich beziehungsweise ihre Referenzobjekte Aufmerksamkeit zu erzeugen. Anfang des 20. Jahrhunderts hatten die Menschen zum Beispiel die marktschreierische Werbung satt und die Branche reagierte darauf, indem sie auf Ästhetik setzte. Werbung wurde dann versucht als „Alltagskunst“ zu etablieren. Die Branche hat jedoch schon immer Dinge überhöht und sozusagen den „Mund zu voll genommen“. Im Laufe der Zeit hat man sich als Konsument nun einfach daran gewöhnt und weiß mittlerweile, dass Werbung eben so funktioniert und die Informationen im Grunde hinfällig sind und man den Aussagen in der Werbung nicht trauen kann.”

Warum hat die “Generation Y” ein größeres Vertrauen in die Werbung?

“Dass die sogenannte „Generation Y“ ein höheres Vertrauen in Werbung besitzt, könnte einfach damit erklärt werden, dass sie noch nicht so oft von Werbung enttäuscht worden ist. Vielleicht hat sie jedoch auch ein anderes Rezeptionsverhalten, eines, das Werbung als ein Kommunikationsangebot unter vielen betrachtet, ohne Werbung dabei abzuwerten oder prinzipiell abzulehnen. Schlimmstenfalls ist es dieser Generation einfach egal, woher sie ihre Information bezieht. Ich denke, es hängt mit den Kommunikationserfahrungen zusammen, die ein jeder macht. Sind diese Erfahrungen positiv, dann bin ich in Zukunft auch bereit zuzuhören.”

Gibt es einen Ausweg aus der Sinnkrise?

“Wenn man die Sinnkrise als Funktionskrise versteht, dann sicherlich. Werbung muss es schaffen, dass man ihr zuhört und das man daran glaubt, was sie einem sagt. Derzeit versuchen die Werbetreibenden jene Krise besonders durch Native Advertising oder Branded Content zu überwinden. Werbekommunikation soll dann nicht als solche wahrgenommen werden. Das ist jedoch meines Erachtens der falsche Weg, aus moralischer Sicht verwerflich und keinesfalls die Lösung.”

Warum Native Advertising der falsche Weg aus der Krise ist, und wie eine sinnvolle Zukunft von Werbung aussehen kann, das erfährst du im zweiten Teil des Interviews.