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Aktivisten in Deutschland Unterwandern Linksextreme wirklich die Klimabewegung? Der stern hat beim Verfassungsschutz nachgefragt

Ein Klima-Protest in Berlin
Proteste gegen die Klima-Krise sind wichtig und legitim. Verfassungsschützer:innen beobachten aber, dass linksextremistische Bewegungen versuchen, Einfluss auf die Klima-Proteste nehmen.
© Annette Riedl / DPA
Gegen die Klimakrise protestieren viele Gruppierungen, wie Fridays for Future oder die "Letzte Generation". Beobachter warnen, dass Linksextreme versuchen, die Bewegung für sich zu gewinnen. Ist das wirklich so? Wir haben bei den Verfassungsschutzämtern nachgefragt.

Junge Menschen, die sich an Autobahnen festkleben, Aktivist:innen, die das Kanzleramt besetzen oder Öl-Pipelines manipulieren – Klimaaktivist:innen spalten die Öffentlichkeit in Deutschland. Der "Aufstand der letzten Generation" spricht bei seinen Aktionen von "notwendigem zivilen Ungehorsam"

Manchen geht der "zivile Ungehorsam" aber nicht weit genug.

Der Klimaaktivist Tadzio Müller warnte etwa vor Radikalisierungen in der Klima-Bewegung – hält sie aber gleichzeitig für zwingend notwendig. Es sei "friedliche Sabotage", wenn Gruppen wie "Ende Gelände" Braunkohle-Tagebaugruben besetzen. Müller prognostiziert sogar eine "grüne RAF".

"Interventionistische Linke" nimmt Einfluss auf "Ende Gelände"

Der Politologe Michael Wehner von der Universität Freiburg warnt, dass die Klimaprotestbewegung durchaus das Potenzial habe, "radikalisierte Minderheiten, die mit der Klimapolitik der Ampel-Regierung unzufrieden sind, zu mobilisieren und dementsprechend zu militanten Akten bereitzuhalten". Er halte es für wichtig, die Klima-Bewegung sorgfältig zu beobachten, gegebenenfalls müsse auch der Verfassungsschutz "in die Szene eindringen, um zu schauen, dass das Radikalisierungspotenzial nicht überhandnimmt."

Wer in den Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2021 schaut, kann folgende Passage lesen: "Mit ihrem vermeintlichen Engagement für den Klimaschutz versuchen Linksextremisten aus verschiedenen Teilen der Szene, demokratische Diskurse zu verschieben, sie um ihre eigenen ideologischen Positionen zu ergänzen, gesellschaftlichen Protest zu radikalisieren und den Staat und seine Institutionen zu delegitimieren." Gewaltorientierte Linksextremisten versuchten, Einfluss auf Klima-Proteste zu nehmen. Eine zentrale Rolle komme dabei dem Bündnis "Ende Gelände" (EG) zu. Der stern hat beim Bundesamt für Verfassungsschutz und bei den Landesämtern nachgefragt, ob das wirklich bereits zutrifft und wie sie die Lage aktuell einschätzen. 

Grundsätzlich sehen die Verfassungsschützer:innen in Deutschland bisher keine extremistischen Bewegungen bei Gruppen wie "Fridays for Future" (FFF), "Letzte Generation" oder "Sand im Getriebe". Gleichzeitig warnen sie weiter vor Einflussnahme von Linksextremist:innen bei den Klimaprotestbewegungen, wie die Befragung aller Verfassungsschutzämter durch den stern ergab. So erklärte eine Sprecherin des Bundesamtes für Verfassungsschutzes: Die Bewegung "Ende Gelände" sei "linksextremistisch beeinflusst" und von "Linksextremisten unterwandert" – und zwar von der "Interventionistischen Linken" (IL).

Linksextremisten nutzen Klimawandel als "Mittel zum Zweck"

In mehreren Bundesländern sehen die Verfassungschützer:innen das Problem bei "Ende Gelände" und der IL, etwa in Thüringen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Hamburg, Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfahlen und Bayern. 

Laut dem Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt versuche die "Interventionistische Linke" die Proteste in der Klimaprotestbewegung "zu initiieren, zu lenken und ideologisch aufzuladen".

"Ende Gelände" füge sich in die Strategie der IL ein, die darauf abziele, diese "gesellschaftlichen Brüche" zu vertiefen und demokratischen, legitimen Protest demokratiegefährdend zu radikalisieren, so der Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfahlen.

"Die IL sieht den Kapitalismus und den dahinterstehenden Staat als Ursache des Klimawandels. Sie propagiert, dass es sich hierbei um eine systembedingte Krise handle und eine Lösung innerhalb des gegenwärtig bestehenden Systems daher nicht möglich sei", sagt der bayerische Verfassungsschutz dem stern.

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"TurboKlimaKampfGruppe" in Schleswig-Holstein unter Beobachtung

Der niedersächsische Verfassungsschutz stellt eine "gewisse Radikalisierung der Klimaproteste" fest. Zudem sei "eine zunehmende Entgrenzung des Linksextremismus in die Klimaschutzbewegung bei gleichzeitiger Erosion der Abgrenzung der Klimaschutzbewegung gegenüber Linksextremisten erkennbar." Besonders die IL und "Ende Gelände" versuchten demnach, Einfluss auf Fridays for Future zu nehmen.

Das Ziel sei, sie für weitere Themen, "wie den Antimilitarismus oder den Antirassismus, zu motivieren, um sie so für ihre systemüberwindenden Interessen zu instrumentalisieren". Weder Klimaschutzbewegung im Allgemeinen noch einzelne ihrer Gruppierungen aber seien gegenwärtig Beobachtungsobjekte des niedersächsischen Verfassungsschutzes.

Eine Demonstration. Zu sehen ist auch ein Banner mit der Aufschrift "Deutschland, du miese Umweltsau!"
Ein Klima-Protest am Mittwoch, den 10. August in Hamburg. Zu sehen ist auch ein Banner der Interventionistischen Linke Darmstadt mit der Aufschrift "Deutschland, du miese Umweltsau!"
© Rune Weichert / STERN

In Schleswig-Holstein wird eine Klimaprotestgruppe beobachtet: die "TurboKlimaKampfGruppe" (TKKG) aus Kiel. Dies steht auch im Verfassungsschutzbericht von 2020: "Auf Grund ihrer mittlerweile aggressiven und deutlich gegen den Rechtsstaat gerichteten Vorgehensweise zeigt sich, dass die TKKG die Grenze des legitimen demokratischen Protests überschritten hat."

Ein Sprecher sagte dem stern aber: "Klima- und Umweltschutz ist per se selbstverständlich kein Indiz für Extremismus, sondern ein existenziell wichtiges gesellschaftliches Anliegen." Im benachbarten Hamburg gab es sogar Distanzierungen seitens Fridays for Future zu anderen, linken Gruppierungen, wie ein Sprecher der Innenbehörde mitteilte.

Verfassungsschutz in NRW sieht Heranführen an radikalere Aktionsformen

Der Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfahlen sieht Probleme beim "zivilen Ungehorsam". Linksextremist:innen wollten demnach "Protestgruppen an Aktionsformen heranführen, die beispielsweise unter dem Begriff 'ziviler Ungehorsam' illegale Taktiken wie Geländebesetzungen oder Blockaden einbeziehen und in die direkte Auseinandersetzung mit der Polizei und dem Rechtsstaat führen", teilt man dem stern mit.

"Die kürzlichen Äußerungen der Sprecherin von Fridays for Future, Carla Reemtsma, wonach die Organisation künftig mehr Aktionen des zivilen Ungehorsams anwenden werde, könnten daher Hinweise darauf sein, dass dieses Heranführen an radikalere Aktionsformen durch Linksextremisten erste Verhaltens- und Einstellungsänderungen in Teilen der Bewegung bewirkt hat."

Die "mitunter kritiklose Übernahme" linksextremistischer Positionen und die Zusammenarbeit Gruppierungen aus diesem Spektrum seien allerdings bislang nur punktuell zu beobachten. Der Versuch einer Instrumentalisierung von Fridays for Future sei bisher "ohne nennenswerten Erfolg" geblieben. 

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In Hessen beobachtet der Verfassungsschutz "sprachliche Überschneidungen zwischen der Klima- und Umweltschutzbewegung und der linksextremistischen Szene". Ziel der versuchten Einflussnahme sei es, linksextremistische Positionen für den nicht extremistischen Teil der Bevölkerung "anschlussfähig" zu machen. Die Kritik der Klimaschutzbewegung werde dabei versucht, so zu erweitern, dass ein "revolutionärer Umsturz der staatlichen Ordnung als der einzige erfolgversprechende Weg zu einem konsequenten Klimaschutz erscheint".

In Bayern sehe der Verfassungsschutz, dass Linksextremist:innen "mit als Klimaschutz getarnten antidemokratischen Botschaften" versuchen, vor allem an junge Menschen heranzukommen. Die linksextremistische Szene habe das hohe Mobilisierungspotenzial der Fridays for Future-Bewegung erkannt und nutze die Sorgen der oft jugendlichen Klimaschutz-Unterstützer:innen vor den Folgen des Klimawandels als "Türöffner", "um dann gegen das 'kapitalistische System' als vermeintliche Ursache des Klimawandels zu hetzen." Allerdings sei bisher "keine lenkende Einflussnahme" bei FFF festgestellt worden.

In anderen Bundesländern keine Hinweise auf Einflussnahme

In anderen Bundesländern sehen die Verfassungsschutzbehörden keine extremistischen Bestrebungen oder Einflussnahmen von links. Ein Sprecher des brandenburgischen Verfassungsschutzes teilte dem stern mit, es lägen "keine Hinweise auf eine systematische Einflussnahme von Extremisten auf brandenburgische Klimaaktivisten vor".                                                

Aus Baden-Württemberg hieß es, dass bislang keine "erfolgreiche, dauerhafte linksextremistische Beeinflussung, Prägung oder gar Unterwanderung" von FFF, "Letzte Generation" und Sand im Getriebe festgestellt wurde. Auch dem Landesverfassungsschutz Sachsen lägen "keine Erkenntnisse über eine Unterwanderung von Klima-Gruppierungen durch Linksextremisten vor". 

Die "Letzte Generation" teilte dem stern mit, dass "keine expliziten extremistischen Einflussnahmen" bekannt seien. Man versuche, die Klima-Krise "in die öffentliche Wahrnehmung" zu rücken. "Dabei nutzen wir friedlichen zivilen Widerstand in Form von entschlossenen und gewaltfreien Aktionen. Wir sehen uns in unserem Handeln als gescheitert an, sollte von unserer Seite aus Gewalt ausgehen, da das (Über-)Leben der Menschen Motivation unseres Handeln ist."

Die anderen Klimaprotestbewegungen Fridays For Future, Sand im Getriebe und Ende Gelände haben sich bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels nicht zu einer stern-Anfrage geäußert. FFF äußerte aber mehrfach den Anspruch, sich weder politisch noch extremistisch vereinnahmen lassen zu wollen.

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