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Margarete Stokowski

Mit Geisteswissenschaften gegen rechts Nazis weglabern

Das Problem an den Rechten ist, dass sie eben nicht dumm sind. Sie sind eloquent und sagen dabei doch nie genau das, was sie wirklich meinen. Umso wichtiger ist es, sie richtig zu verstehen.
Foto: Ye Aung Thu/ AFP

Vor knapp elf Jahren habe ich an der Uni eine Klausur in Logik geschrieben, in der man unter anderem folgendes Problem erklären sollte: "Keine Katze hat zwei Schwänze. Eine Katze hat einen Schwanz mehr als keine Katze. Also hat eine Katze drei Schwänze." Die Aufgabe war, aufzuschreiben, warum das eine Schlussfolgerung ist, die nicht funktioniert. Der Tag der Klausur war auch der Tag, an dem meine Philosophielehrerin beerdigt wurde. Wegen ihr hatte ich das Studium angefangen. Und dann saß ich da mit dieser dreischwänzigen Katze und wusste nicht, ob das alles nicht vielleicht doch ein einziger riesiger Quatsch war.

Heute lese ich Nachrichten und habe das Gefühl, es gibt im Moment außerordentlich viele Erzählungen über dreischwänzige Katzen und zu wenig Leute, die erklären, was daran nicht stimmt. Spätestens mit Trumps Wahlsieg, aber eigentlich schon die ganze Zeit, seit die Rechten so sehr im Aufwind sind, ist die Zeit von dem gekommen, was gerne als "Laberfächer" bezeichnet wird.

"Laberfächer" sind Geistes-, Kultur- oder Sozialwissenschaften, von denen oft behauptet wird, man würde da eigentlich nichts lernen, außer eben zu labern. Sie gelten als weltfremd und elitär. Wenn im Moment von "weltfremden" und "elitären" Leuten die Rede ist, dann oft in Angriffen von rechts: Dann heißt es zum Beispiel, Linke würden die wirklichen Probleme der Leute nicht erkennen, die Nöte des kleinen Mannes, das alles.

Das ist kein Zufall. Abgesehen davon, dass die Bezeichnung "weltfremd" nicht unbedingt eine Beleidigung sein muss, weil man in den Welten mancher Leute echt nicht heimisch sein möchte, liegt diesen Vorwürfen eine ähnliche Abwehrreaktion zugrunde. Es ist die Angst, in einer vielfältigen und sich verändernden Welt nicht mehr mitzukommen, und die Angst, dass einfache Erklärungen nicht ausreichen. Sie reichen selten aus. Mündig zu sein heißt auch, zu sehen, dass die Welt kompliziert ist.

Ein Laberfach studiert zu haben, bedeutet, das Gelaber von anderen zu erkennen

Das Problem mit den Rechten ist meistens nicht, dass sie Logikfehler machen oder dumm sind oder zu wenig Geisteswissenschaften studieren. In den oberen Reihen der AfD hängen haufenweise studierte und promovierte Leute rum. Björn Höcke war Geschichtslehrer, bevor er Rechtsaußen einer rechten Partei wurde. Er weiß, wovon er redet, und er weiß auch sehr genau, wie er seine Reden auf den Millimeter genau im Rahmen der Meinungsfreiheit platzieren muss, damit es einen Skandal gibt, aber ein Prozess unwahrscheinlich ist.

Was man in den sogenannten Laberfächern unter anderem lernt, ist, auch schlauen Nazis etwas entgegenzusetzen. Ein Laberfach studiert zu haben, bedeutet auch, das Gelaber von anderen zu erkennen. Denn die neue Rechte sagt nicht: "Wir sind zutiefst menschenfeindlich und hassen Minderheiten, wir wollen uns einkapseln in eine Welt in der Größe des Uterus, aus dem wir kamen, Mamiiii." Sie sagen das jedenfalls nicht wörtlich. Sie sagen es viel eloquenter und verdeckter und so, dass sich sehr viele Leute nicht schämen, ihnen hinterherzurennen.

Ich will, dass überall da, wo die Rechten stärker werden, Leute, die die sogenannten Laberfächer studiert haben, sich daran erinnern, was sie da an der Uni eigentlich die ganze Zeit gelernt haben. Einiges von dem, was Rechte sagen, lässt sich mit gesundem Menschenverstand entkräften, aber auch der lässt sich schulen und ist nicht vor Fallen gefeit. Wir haben gelernt, Argumente und Metaphern auseinanderzunehmen, wir wissen, warum Begriffe wichtig sind und nicht Schall und Rauch, wir kennen historische Beispiele dafür, wo bestimmte Entwicklungen hinführen können, wir kennen andere, mögliche Gesellschaftsmodelle, und am besten kennen wir auch noch ein paar Utopien. Wir sollten das alles benutzen und zwar jetzt.

Es ist zurzeit viel von Wahrheit die Rede. "Fake News", "alternative Fakten" und dem entgegengesetzt: die Wahrheit. Als wäre so klar, was das ist. Nichts daran ist klar, denn es gibt mehr Wahrheitstheorien als Finger an einer Hand. Vielleicht ist ein Satz wahr, wenn er abbildet, wie die Welt ist, aber vielleicht geht das gar nicht. Vielleicht ist ein Satz wahr, wenn sich sehr viele Leute auf ihn einigen können, aber da kennen wir schlimme Gegenbeispiele. Vielleicht ist ein Satz wahr, wenn man ihn per Erleuchtung geliefert kriegt, aber das passiert selten. Vielleicht ist ein Satz wahr, wenn er sich mit möglichst wenig anderen Sätzen widerspricht, aber Widersprüche kriegt man nie ganz weg aus dem Leben. Der Witz daran ist: Es gibt sehr viele Wahrheitstheorien, und in einigen davon ist es möglich, von "meiner Wahrheit" und "deiner Wahrheit" zu sprechen, aber das macht den Bullshit, der mit "alternativen Fakten" gemeint ist, nicht besser.

Trump stampft die Geisteswissenschaften ein - weil sie ihn bedrohen

Es gibt Grenzen, und die müssen wir aufzeigen, bevor es salonfähig geworden ist, sie nicht zu sehen. Es stimmt zwar, dass Nazideutschland nicht durch Argumente gestoppt wurde. Aber vielleicht haben wir ja etwas gelernt, das wir anwenden können, bevor es wieder so weit kommt.

Gerade wird wieder diskutiert, ob man Nazis verprügeln kann oder sogar sollte. Richard Spencer ist der Anführer der sogenannten "Alt-Right"-Bewegung, einem Haufen Neonazis, der nicht Neonazi genannt werden will, und er wurde während der Proteste gegen Trump von jemandem geschlagen, während eines Interviews. Das Video davon ist, dutzendfach mit Musik unterlegt, ein Hit geworden . Es wird nicht besser davon. Es befriedigt ein paar niedrige Triebe von Leuten und bringt im Zweifel die Rechten dazu, sich noch stärker zu radikalisieren. Glückwunsch. Bevor wir Nazis angreifen, sollten wir die maximale Bandbreite von Möglichkeiten ausnutzen, sie auf andere Art unschädlich zu machen.

Der neue US-Präsident Trump hat sich zu dem geboxten Nazi nicht öffentlich geäußert. Aber kurz nach seiner Amtseinführung wurde bekannt, dass Trump offenbar plant, die staatliche Förderung von Geisteswissenschaften und Kunst zusammenzustreichen . Ein Schachzug, den man von autoritären Regimen kennt. Trump macht das wohl nicht, weil sie ihn langweilen. Sondern weil er sich von ihnen bedroht fühlt, viel mehr als von einem Schlag ins Gesicht.