Thüringer Verfassungsschutz :
Kramer verteidigt „20 Prozent brauner Bodensatz“-Aussage

Von Stefan Locke, Dresden
Lesezeit: 3 Min.
Stephan Kramer, Verfassungsschutzpräsident von Thüringen
Thüringens Verfassungsschutzchef Kramer ist bekannt für Provokationen. Nach einer umstrittenen Aussage stellt der Thüringer AfD-Chef Höcke nun Strafanzeige. Gegenüber der F.A.Z. rechtfertigt Kramer seine Wortwahl.

Nach der Wahl des ersten AfD-Landrats in Deutschland hat der Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, seine Einschätzung verteidigt, dass es in der Bundesrepublik „ungefähr 20 Prozent braunen Bodensatz“ gebe. „Die Aussage ist zugegeben provokant und pointiert, aber so war sie auch gemeint“, sagte Kramer der F.A.Z. Er habe damit auch gegen ihn gerichteten Anfeindungen durch die AfD in den Wochen des Wahlkampfs etwas entgegensetzen wollen. Das bedeute nicht, dass er ein Fünftel der Deutschen für Neonazis halte, aber Chauvinismus, Antisemitismus sowie autoritäre Einstellungen nähmen in der Bundesrepublik zu. Er verwies unter anderem auf die Leipziger Autoritarismus-Studie vom vergangenen Jahr, wonach sich rechtsextremistische Milieus in Deutschland verfestigen.

„Jenseits der klassischen Definition für Rechtsextremismus ist ein größerer Teil der Bevölkerung als wir denken auf problematischen Wegen unterwegs“, sagte Kramer. „Mir geht es darum, einen Trend zu beschreiben.“ Im Sender „NDR Info“ hatte Kramer am Mittwoch den Sieg des AfD-Kandidaten in der Stichwahl als „Alarmsignal“ bezeichnet. Seine Behörde hatte die Thüringer AfD und ihren Vorsitzenden Björn Höcke bereits vor zwei Jahren als erwiesen rechtsextremistisch eingestuft. Aber man müsse zwischen den Wählern und den Mitgliedern der Partei unterscheiden, sagte Kramer. Die Mitglieder, auch der neue Landrat Robert Sesselmann, wüssten, wofür ihre Partei stehe und seien daher Rechtsex­tremisten. Bei den Wählern sehe er dagegen „eine bunte Mischung aus Wut, Frust, Enttäuschung und Angst“, aber auch „positive Resonanzböden für völkische Politik und Rechtsextremismus“.

AfD-Landeschef Höcke stellt derweil nach eigenen Angaben Strafanzeige gegen Kramer. Dessen Aussage über „20 Prozent braunen Bodensatz“ sei ein „eindeutiger Verstoß“ gegen Paragraph 130 des Strafgesetzbuches, schrieb Höcke am Donnerstag auf Twitter. Der Paragraph regelt den Straftatbestand der Volksverhetzung. Höcke schreibt in Anlehnung an den Wortlaut des Paragraphen, demnach mache sie strafbar, „wer gegen Teile der Bevölkerung zum Hass aufstachelt und die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe bzw. Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet“.

Verfassungsschutzchef Kramer sagte weiter, das Ergebnis der Wahl in Sonneberg sei auch „ein Signal in Richtung Erfurt, Berlin und Brüssel“. Dieses müsse man wahrnehmen, da im kommenden Jahr in Thüringen Kommunalwahlen und – wie auch in Brandenburg und Sachsen – Landtagswahlen stattfinden. „Ich habe den Eindruck, man hat diesen Weckruf noch lange nicht erkannt in der Politik und den anderen etablierten Parteien.“ Stattdessen vernehme er seit der Wahl relativierende Stimmen aus Parteien und von Verbandsvertretern, wonach man den neuen Landrat doch erst einmal seine Arbeit machen und ihn sich beweisen lassen solle. Das sei genau das, was die AfD wolle: auf unteren Entscheidungsebenen Normalität herzustellen, „um ihren Laden dann auch weiter oben salonfähig zu machen“.

In Sonneberg sei nicht der Kandidat, sondern die Partei gewählt worden, sagte Kramer. AfD-Vertreter redeten in Thüringen bereits davon, Verwaltungen „säubern“ zu wollen. Führende Thüringer AfD-Politiker wie Höcke oder der Bundestagsabgeordnete Stephan Brandner nutzten eine brachiale Sprache, um politische Gegner zu diffamieren. Die genannten 20 Prozent der Wähler würde er „nicht völlig abschreiben“, sagte Kramer. Er empfehle jedoch, sich zunächst den 30 Prozent zuzuwenden, die die Wahl in Sonneberg mutmaßlich als Denkzettel verstanden wissen wollten.