1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Mysteriöse Krankheit in US-Botschaften: Was wissen wir?

13. Oktober 2021

In Kolumbien sind fünf Fälle des Havanna-Syndroms aufgetreten. Erst Ende August hatte US-Vizepräsidentin Kamala Harris einen Besuch in Vietnam wegen dortigen Fällen verschoben. Woher das Syndrom kommt, ist weiter unklar.

https://p.dw.com/p/3zU3X
Schmerzen Chronische Kopfschmerzen
Das Havanna-Syndrom geht mit Schwindel, Kopfschmerzen und Orientierungslosigkeit einher.Bild: picture-alliance/dpa/O. Killig

in der US-Botschaft in Bogotá sind Fälle des sogenannten Havanna-Syndroms aufgetreten. Kolumbiens Präsident Ivan Duque bestätigte gegenüber AFP am 12. Oktober 2021 einen entsprechenden Bericht des Wall Street Journal.  "Natürlich haben wir Kenntnis von dieser Situation, aber ich möchte sie den US-Behörden überlassen, die ihre eigenen Ermittlungen durchführen, weil es um ihr eigenes Personal geht", sagte er bei einem Besuch in New York.
Bei mindestens fünf Familien, die mit der Botschaft in Kolumbien in Verbindung stehen sollen Symptome der mysteriösen Krankheit aufgetreten sein. Die US-Vertretung in Bogotá ist eine der größten der Welt. Neben Berufsdiplomaten und Personal sind auch zahlreiche Geheimdienstagenten und Beamten der Drogenbekämpfungsbehörde dort stationiert.

Fälle im August in Hanoi

Bereits Ende August hatte die mysteriöse Krankheit in Vietnam Wellen geschlagen. Eigentlich sollte US-Vizepräsidentin Kamala Harris am 24. August von Singapur nach Vietnam fliegen, wo ein Treffen mit Präsident Nguyen Xuan Phuc angesetzt war. Doch der Abflug verzögerte sich um mehr als drei Stunden, nachdem ihr Team über zwei mögliche Fälle des Havanna-Syndroms in der vietnamesischen Hauptstadt informiert wurde.

Kamala Harris winkt vor ihrem Abflug aus Singapur
Später als geplant reiste Kamala Harris schließlich doch noch aus Singapur nach VietnamBild: Evelyn Hockstein/AP Photo/picture alliance

In einem Statement der US-Botschaft in Hanoi hieß es, Harris' Büro habe "nach eingehender Prüfung" beschlossen, dass die Vizepräsidentin die Reise antreten könne. Es bestehe kein Sicherheitsrisiko. Am Mittwoch sprach Harris dann wie geplant in Hanoi.

Im Statement der Botschaft war von einem kürzlichen "anormalen Gesundheitsvorfall" die Rede - diesen sperrigen Begriff verwenden US-Diplomaten immer, wenn vom Havanna-Syndrom die Rede ist. Aber was genau hat es damit auf sich?

Erstes Auftreten in Kuba

Das rätselhafte Syndrom wurde erstmals 2016 bekannt. Damals wurden in der kubanischen Hauptstadt dutzende Fälle unter US- und kanadischen Diplomaten sowie ihren Familienangehörigen festgestellt. Die Betroffenen litten unter Benommenheit, Müdigkeit, Kopfschmerzen, Hör- und Sehproblemen. Einige der Betroffenen verloren dauerhaft ihr Gehör.

Seit den Vorfällen in Kuba wurden die Symptome immer wieder von US-Diplomaten und -Geheimdienstmitarbeitern gemeldet, unter anderem in Russland, China, Österreich und zuletzt in Berlin. Die Betroffenen berichteten von Übelkeit, Schwindel, starken Kopfschmerzen, Ohrenschmerzen und Müdigkeit, einige von ihnen seien arbeitsunfähig, schrieb das Wall Street Journal. 

Auch in anderen europäischen Ländern habe man US-Vertreter mit dem rätselhaften Havanna-Syndrom registriert, berichtete die Zeitung weiter. Einige der Erkrankten hätten sich mit Themen wie Gasexporte, Cybersicherheit oder politische Einmischung befasst. 

Die US-Botschaft in Havanna
Bei Angestellten der US-Botschaft in Havanna tauchten die rätselhaften Symptome das erste Mal aufBild: Adalberto/AFP/Getty Images

Symptome wie bei einer Gehirnerschütterung

Die Symptome treten sehr plötzlich auf. Einen Betroffenen in Moskau erwischte es 2017, als er nachts im Bett lag, wie das Magazin GQ berichtete. Aufgrund seiner Übelkeit dachte er zunächst an eine Lebensmittelvergiftung, dann war ihm aber so schwindelig, dass er beim Versuch, ins Bad zu gehen, immer wieder umfiel.

Es habe sich angefühlt, "als ob ich mich übergeben müsste und gleichzeitig ohnmächtig werden würde", sagte der CIA-Mitarbeiter dem Magazin. Das Ganze traf ihn vollkommen unvorbereitet. Anders als einige amerikanische Staatsangehörige in der Botschaft in Havanna 2016 habe er beispielsweise keinen hohen Ton gehört.

Experten am Center for Brain Injury and Repair an der University of Pennsylvania untersuchten einige der US-Bürger, die in Kuba verletzt wurden, und veröffentlichten 2018 eine Studie in der Fachzeitschrift Journal of the American Medical Association. Darin schreiben die Forscher, die Patienten seien stark beeinträchtigt in ihren Gleichgewichts-, kognitiven, motorischen und sensorischen Fähigkeiten - so wie Menschen, die eine schwere Gehirnerschütterung erlitten.

Aber anders als bei Gehirnerschütterungen verschwanden die Symptome nicht, sondern nahmen nur immer mal ab, um dann mit geballter Kraft zurückzukehren. 

Ursache unbekannt

US-Geheimdienstkoordinatorin Avril Haines sagte kürzlich, die Behörden seien weiter unsicher, was die "anormalen Gesundheitsvorfälle" auslöse. Aber Vermutungen gibt es natürlich.

Eine davon äußerten die Experten der National Academies of Sciences, Engineering and Medicine in den USA im Dezember 2020. Sie vermuten, gezielte Impulse von Radio-Frequenz-Energie stecken hinter den Symptomen.

Andere Forscher gehen davon aus, dass Mikrowellen-Waffen hinter dem Havanna Syndrom stecken, die Gegner der USA gezielt gegen Diplomaten, Geheimdienstangestellte und ihre Familien einsetzen. Solche Waffen, die mit hochfrequenter Strahlung arbeiten, wurden bereits entwickelt. 

Infografik elektromagnetisches Spektrum DE

Mikrowellen arbeiten im Bereich von einem bis zu 300 Gigahertz. Die Mikrowelle, die viele zuhause haben, erhitzt Mahlzeiten bei einer Frequenz von 2,5 Gigahertz. Mit zunehmender Frequenz wird die Strahlung energiereicher. Mit entsprechendem Gerät kann sie gezielt auf Menschen gerichtet werden, die Strahlen dringen dann bis zu einer von der Frequenz abhängigen Tiefe in den Körper ein und können dort Schaden anrichten. Das US-Verteidigungsministerium entwickelte beispielsweise ein Waffensystem, das mit Mikrowellen bei einer Frequenz von 95 Gigahertz arbeitet.

Eine weitere Möglichkeit sind Schallwaffen - dafür spräche beispielsweise, dass einige Betroffene in Havanna einen durchdringenden Ton gehört haben, bevor ihre Symptome begannen. Andere Havanna-Syndrom Patienten hörten jedoch nichts.

Zwar könnte es auch Systeme geben, die Angriffe im nicht hörbaren Bereich ermöglichen. Doch über die ist wenig bekannt, außer, dass Militärs daran forschen ließen. Dass sie existieren wurde von Experten bisher als sehr unwahrscheinlich eingestuft.

Genauso wenig wie bekannt ist, was hinter dem Havanna-Syndrom steckt, ist auch unklar, wer sich dafür verantwortlich zeichnet. Im Mai sagten US-Regierungsbeamte, die nicht namentlich genannt werden wollten, dem Magazin Politico, dass sie Russlands Militärgeheimdienst GRU hinter den Angriffen vermuten. Das Weiße Haus will zu diesem Zeitpunkt offiziell aber keine Anschuldigungen aussprechen. 

Dieser Artikel vom 25. August wurde aufgrund der aktuellen neuen Fälle in Kolumbien am 13. Oktober 2021 aktualisiert. 

Carla Bleiker
Carla Bleiker Redakteurin, Channel Managerin und Reporterin mit Blick auf Wissenschaft und US-Politik.@cbleiker