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Notorischer Betrüger: Eine Seite aus „Der große Indienschwindel“.

© Splitter

Abenteuercomic „Der große Indienschwindel“: Historischer Trickbetrug

Das Comicalbum „Der große Indienschwindel“ zollt dem historischen Schelmenroman Tribut, schafft aber auch aktuelle Bezüge zur Formbarkeit der Wahrheit.

In „Der große Indienschwindel“ (aus dem Französischen von Harald Sachse, Splitter, 160 S., 35 €) verbeugen sich der französische Szenarist Alain Ayroles („Mit Mantel und Degen“, „Garulfo“) und der spanische Zeichner Juanjo Guarnido („Blacksad“) vor dem klassischen historischen Schelmenroman. Die beiden setzen sogar explizit ein Werk des spanischen Autors Francisco de Quevedo (1580–1645) fort, das man für den Genuss Comics natürlich nicht kennen muss.

Trotzdem beginnt ihre Geschichte mit dem opportunistischen Vagabunden Don Pablos aus Sevilla auf dem Weg in die neue Welt und damit genau da, wo de Quevedo seinen Protagonisten vor langer Zeit zurückließ.

Pablo Schiffsreise endet unter Ayroles und Guarnido jedoch früh, da der notorische Betrüger von seinen wütenden Mitreisenden wegen einer Schummelei beim Kartenspielen über Bord geworfen wird. Dennoch erreicht er über den Umweg eines Eingeborenendorfes Südamerika, wo die Spanier massenhaft Gold für ihren König anhäufen, um es nach Europa zu schicken.

Auf der Folterbank berichtet Pablo in Rückblenden einem adeligen Landsmann, was ihm seit seiner Ankunft auf dem Kontinent alles widerfahren ist: wie er einem Missionar in die Anden folgt, in einer verspukten Mine landet und eine Karte mit dem Weg ins sagenhafte Eldorado erlangt, wo Schätze über Schätze warten. Was wie ein großes Abenteuer aussieht, ist allerdings ein gewaltiger Trickbetrug …

Eine Geschichte, viele Sichtweisen

Den enthüllt Autor Ayroles nach und nach mittels einer ambitionierten verschachtelten Erzählweise, in der er das Medium voll ausnutzt und selbst zwischen einzelnen Panels die Zeitebene wechselt. So offenbart die Geschichte in jeder Instanz neue Schichten und Sichtweisen, wird das ganze Ausmaß der Lügen und Schemen Pablos deutlich, wobei das Abenteuer wesentlich bunter und deshalb verlockender ist als die kriminelle Wahrheit.

Das Titelbild des besprochenen Albums.
Das Titelbild des besprochenen Albums.

© Splitter

Spätestens hier wird einem als Leser im Jahr 2019 klar, dass Ayroles seine groß angelegte historische Schelmengeschichte auch als Spiegel unserer Zeit und Welt nutzt, in der eine „abenteuerliche“, bunte und große Lüge die Wahrheit in allen Medien nur allzu leicht in den Schatten zu stellen vermag – zumal die Menschen nun mal am liebsten das glauben, was sie glauben wollen.

Disney-Look und Überformat

Dass die komplexe Erzählweise des Comics mit seinen vielen ineinander übergreifenden Zeitebenen und Rückblenden so gut funktioniert, liegt nicht zuletzt an den Bildern des spektakulären früheren Animationszeichners Guarnido, der an Disney-Trickfilmmeisterwerken wie „Tarzan“, „Hercules“, „Der Glöckner von Notre Dame“ und „Atlantis – Das Geheimnis der verlorenen Stadt“ mitwirkte.

Der Spanier führt den Leser sicher durch den großen Indienschwindel und begeistert mit seinem lebendigen Strich, seinen Layouts und einer kontrastreichen Farbpalette. Der Einfluss der großen Disney-Animationsfilme auf seine Figuren und deren Expressionen sowie das Riesenformat des Bandes schaden dem Leseerlebnis auch nicht.

Am Ende lassen sich Ayroles und Guarnido von ihrem eigenen Schwindel ein wenig zu sehr mitreißen, treiben sie es zu weit mit ihrer letzten Enthüllung. Aber das macht zu diesem Zeitpunkt kaum noch etwas, denn da ist man ihnen, ihrem Antihelden und den vielen abenteuerlichen Lügen längst auf den Leim gegangen.

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