Berlin (Berlin) - Der Übertragungsnetzbetreiber 50 Hertz schließt weitere Maßnahmen zum Schutz der Belegschaft in kritischen Bereichen nicht aus. Dabei könne auch die Kasernierung von Mitarbeitern ein Element sein, sagte Stefan Kapferer, Vorsitzender der Geschäftsführung, im Interview mit energate. Aktuell sei die Lage aber gut zu handhaben, eine Gefahr für die Versorgungssicherheit bestehe nicht.
energate: Herr Kapferer, als Sie vor wenigen Monaten an die Spitze des Übertragungsnetzbetreibers 50 Hertz gewechselt sind, war eine Krise wie die aktuelle nicht absehbar. Wie erleben Sie die Situation?
Kapferer: Wie viele andere auch, überwiegend von zu Hause mit mobilem Arbeiten. Wir wechseln uns in der Geschäftsführung mit den Präsenzzeiten bei uns im Netzquartier ab. Ein Unternehmen wie 50 Hertz als Betreiber kritischer Infrastruktur ist naturgemäß besser auf eine solche Pandemiesituation vorbereitet als andere Unternehmen. Für uns gehört es dazu, sich auf eine krisenhafte Zuspitzung des Alltags, wie wir sie momentan erleben, vorzubereiten. Das ist bei einem Automobilkonzern oder einem Handelsunternehmen sicherlich anders.
energate: Wie reagieren Ihre Mitarbeiter auf die Situation?
Kapferer: Die Beschäftigten wissen, dass sie eine besondere Verantwortung für eine kritische Infrastruktur tragen. Das prägt das Verhalten. Ich erlebe einen sehr professionellen Umgang mit der Situation und sehr viel Flexibilität. Wir stellen ja weiterhin zum Beispiel Menschen bei uns ein - und da erfolgt der gesamte Prozess vom Vorstellungsgespräch bis zum Onboarding digital und dezentral.
energate: Das Coronavirus war zunächst auf China konzentriert. Ab wann war Ihnen klar, dass sie als Netzbetreiber reagieren müssen?
Kapferer: Wir haben schon Ende Februar eine Task Force eingesetzt und angefangen, alle Pläne zu überprüfen, die wir für solche Situationen haben. Wir sind dann stufenweise vorgegangen, haben etwa zunächst Dienstreisen in bestimmte Regionen untersagt und Anweisungen für Kollegen gegeben, die aus dem Ausland zurückkamen. Frühzeitig haben wir auch alle Mitarbeiter aufgerufen, die Laptops abends mitzunehmen, für den Fall, dass wir mobiles Arbeiten anordnen. Deswegen hat das dann reibungslos funktioniert, als der Fall vor zwei Wochen eingetreten ist. Der überwiegende Teil der Belegschaft arbeitet nun mobil, ausgenommen sind Mitarbeiter in den Netzleitwarten und auch teilweise in den Umspannwerken.
energate: Wie schützen Sie die Mitarbeiter, die in den sensiblen Bereichen arbeiten?
Kapferer: Wir haben früh darauf geachtet, dass die Belegschaft in der Netzleitwarte keinen Kontakt zu anderen Kolleginnen und Kollegen hat, um die Ansteckungsgefahr zu minimieren. So gab es etwa keine Reisen mehr zwischen dem Netzquartier in Berlin und dem Control Center, das am Stadtrand von Berlin liegt. Bei bestimmten Beschäftigen haben wir zudem dafür gesorgt, dass sie nicht mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren müssen, sondern unsere Fahrzeuge für den Weg zur Arbeit nutzen können.
energate: Der Energieversorger Wien Energie hat Mitarbeiter an Kraftwerksstandorten stationiert, die EWE bereitet sich ebenfalls auf eine Kasernierung von bestimmten Personen vor, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Ist ein solches Vorgehen für Sie denkbar?
Kapferer: Wir haben wie gesagt einen generellen und abgestuften Krisenreaktionsplan. In einem solchen mehrstufigen Schutzkonzept kann die Kasernierung von Mitarbeitern ein potenzielles Element sein. In der aktuellen Situation kann man prinzipiell nichts ausschließen. Ich bitte um Verständnis, dass ich hier aber nicht weiter ins Detail gehen und die kritische Infrastruktur nicht so gerne auf einem öffentlichen Marktplatz diskutieren möchte. Wir sind sehr für Transparenz, aber an diesem Punkt und in dieser Situation eher zugeknöpft.
energate: Was passiert, wenn Sie Infektionen in der Belegschaft feststellen?
Kapferer: Wir hatten bereits einen Fall im Netzquartier in Berlin. Das war der letzte Auslöser, mobiles Arbeiten anzuordnen. Wir haben sofort alle Kontaktpersonen ermittelt, die Etage geräumt und desinfiziert. Stand jetzt hat es keine Ansteckungen im Arbeitsumfeld gegeben. Die betroffene Person hatte zum Glück einen milden Verlauf.
Kapferer: Nein, die Systemstabilität ist nicht gefährdet. Die schwierigste Situation für den Netzbetrieb ist eine hohe Einspeisung bei einer gleichzeitigen hohen Last, weil es dann einen hohen Transportbedarf nach Süden gibt in die Verbrauchszentren. Im Moment haben wir eine unterdurchschnittliche Last. In unserem Netzgebiet liegt sie unter der Woche auf einem Niveau, das wir normalerweise an Wochenenden sehen. Das können wir sehr gut handhaben.
energate: Die Versorgung ist also gewährleistet?
Kapferer: Nach jetzigen Stand gibt es kein Problem für die Systemsicherheit. Und übrigens: Man muss auch mal über den Tellerrand hinausblicken. Selbst in Italien, das derzeit am stärksten von der Corona-Pandemie betroffen ist, sind keine Ausfälle der Stromversorgung zu verzeichnen.
energate: Sind Sie darauf vorbereitet, die aktuellen Maßnahmen länger durchzuhalten, sollte dies aus Gesundheitsschutzgründen nötig sein?
Kapferer: Die Dinge, die wir selbst in der Hand haben, können weiterlaufen. Das ist die gute Nachricht. Aber in bestimmten Bereichen des Netzausbaus, der Netzverstärkung und der Modernisierungen sind auch wir abhängig von Zulieferern aus dem EU-Ausland. Das gilt etwa für Trafos, die wir aus Italien bekommen. Da wird es sicher Verzögerungen geben. Verglichen mit anderen Teilen der Wirtschaft sind wir aber sehr gut in der Lage, das normale Geschäft aufrechtzuerhalten.
energate: Als Netzbetreiber stehen Sie häufig in Kontakt mit Behörden. Gibt es da aktuell Einschränkungen?
Kapferer: Ein Beispiel sind Anhörungen für Planungsprozesse, die die Bundesnetzagentur durchführt und an denen wir als Vorhabenträger beteiligt sind. Bei dem Projekt Netzanbindung Südharz hat die Bundesnetzagentur zum Beispiel die Antragskonferenz in dieser Woche abgesagt. Bei der geplanten HGÜ-Leitung Suedostlink Stellen wir unsere Bürgerbeteiligung im Vorfeld der offiziellen Verfahren bereits auf Online-Dialog um und entwickeln die entsprechenden Formate.
energate: Aus der Solar- und Windbranche ist zu hören, dass sich Bauprojekte durch die Coronakrise verzögern, etwa weil Behörden aktuell keine Entscheidungen treffen oder Montagepersonal nicht anreisen kann. Gibt es bei Netzausbauprojekten ähnliche Probleme?
Kapferer: Bisher laufen unsere Baustellen weiter, natürlich mit den notwendigen Vorsichtsmaßnahmen. Es kann zwar niemand ausschließen, dass es in den kommenden Wochen noch Veränderungen geben wird. Ich bin aber nach wie vor optimistisch, dass wir keine Verzögerungen erleben werden.
energate: Tauschen Sie sich mit anderen Übertragungsnetzbetreibern und auch innerhalb der Elia-Gruppe über die getroffenen Maßnahmen aus?
Kapferer: Mit den anderen deutschen Übertragungsnetzbetreibern arbeiten wir immer eng zusammen und natürlich stehen wir auf verschiedenen Ebenen regelmäßig in Kontakt mit den Kollegen von Elia. Die Maßnahmen, die die europäischen Netzbetreiber in der Entso-E zur Sicherung der Systeme getroffen haben, sind ja ähnlich.
Kapferer: Natürlich ist es sinnvoll, rückblickend zu prüfen, wie alles funktioniert hat und was man verbessern könnte im Hinblick auf zukünftige Lagen, die hoffentlich nicht wieder eintreten. Aber Stand heute sehe ich keine Notwendigkeit nachzusteuern. Noch befinden wir uns aber mitten in der Situation und müssen die kommenden Wochen abwarten, wie sich die Corona-Fallzahlen und -Erkrankungen entwickeln, wie gut das Gesundheitssystem arbeitet und wie die Wirtschaft mit dieser außergewöhnlichen Belastung umgeht.
Das Interview führte Karsten Wiedemann, energate-Redaktion Berlin.