Täter mit Küchenmessern :
Entsetzen in Frankreich nach Überfall auf Dorffest

Von Michaela Wiegel, Paris
Lesezeit: 3 Min.
Tatort: Das Dorf Crépol im Südosten Frankreichs am Sonntag
Eine Horde Jugendlicher aus einer Sozialbausiedlung hat ein Dorffest im Südosten Frankreichs überfallen. Ein 16 Jahre alter Junge erliegt daraufhin seinen Verletzungen. Die extreme Rechte sieht ihre Befürchtungen bestätigt.

Kurz vor dem Trauermarsch für den 16 Jahre alten Thomas an diesem Mittwoch hat Innenminister Gérald Darmanin sein Schweigen gebrochen. Der oberste Polizeichef, der gern Präsident werden würde, beklagte in einer Fernsehsendung die „Verrohung“ der Gesellschaft. Den Überfall auf das Dorffest in Crépol in der Nähe von Valence nannte er „unwürdig“ und „inakzeptabel“. „Wir wissen nicht genau, was geschehen ist, oder besser, wir wissen es nur allzu gut“, sagte der Innenminister.

Das hörte sich nach 48 Stunden Beschweigen von Regierungsseite wie ein Eingeständnis ein. Auch die Presse berichtet fortan größer über den Angriff. Am Dienstag widmete die Zeitung Le Parisien dem „Drama von Crépol“ die Titelseite.

Marion Maréchal, die Enkelin des Front-National-Gründers Le Pen, war eine der ersten, die von einer „barbarischen Meute“ sprach, die eine fröhlich feiernde Festgemeinschaft überfallen habe. „Der Rassismus gegen die Weißen schlägt fortan auch auf dem Lande zu“, sagte die Spitzenkandidatin der rechtsextremen Partei Wiedereroberung („Reconquête“) für die Europawahlen. Ihre Tante Marine Le Pen (RN) äußerte, „niemand ist mehr sicher“. „Dorffeste, Hochzeiten, Geburtstage: Seit einigen Jahren fallen Dörfer echten Razzien zum Opfer“, so Le Pen.

Über das Motiv des Täters herrscht Unklarheit

Der kanadische Intellektuelle Mathieu Bock-Côté orakelte im französischen Pendant zu Fox-News, dem Fernsehsender CNews: „Der Angriff hatte eine Dimension der Eroberung. Das nächste Mal werden sie in die Häuser eindringen.“

Crépol liegt in der Drôme, der Trüffelhochburg im Südosten Frankreichs, und war nur für seinen denkmalgeschützten Kirchturm bekannt. In dem 500-Seelen-Dorf, das von Walnusshainen umgeben ist, gibt es keine Kneipen und Diskotheken. Deshalb organisiert ein ehrenamtliches Festkomitee regelmäßig Dorffeste im Gemeindesaal, damit die Jugend sich vergnügen kann. Annähernd 400 Gäste hatten sich am Samstagabend eingeschrieben und die vier Euro Eintrittsgebühr entrichtet, von der das Buffet, der Discjockey und vier private Sicherheitsleute finanziert wurden. Die Stimmung soll fröhlich gewesen sein, bis gegen 2 Uhr morgens unangemeldete Personen mit Messern bewaffnet auf die verbliebenen Gäste losgingen.

Der 16 Jahre alte Oberschüler Thomas erlag auf dem Weg ins Krankenhaus seinen Verletzungen. 16 weitere Jugendliche wurden durch Messerstiche teils schwer verletzt, zwei werden noch im Krankenhaus behandelt. Über das Motiv der Angreifer herrscht Unklarheit. Ein Augenzeuge sagte der Regionalzeitung Le Dauphiné Libéré, die Angreifer hätten gerufen: „Wir wollen Weiße abstechen“. Die Staatsanwaltschaft in Valence ermittelt wegen Mordes und versuchten Mordes in einer kriminellen Vereinigung.

„Eine solche Gewalt haben wir noch nie erlebt“

„Es ist ein Albtraum“, sagte Emmanuelle Place, die mit anderen Ehrenamtlichen den Abend organisiert hatte. „Eine solche Gewalt haben wir noch nie erlebt“, schilderte sie der Zeitung „Le Parisien“. Sie sei schockiert, dass viele Medien den Angriff zunächst verschwiegen oder als „Schlägerei“ am Ende eines Dorffestes darstellten. „Es war keine Schlägerei, es war ein Überfall“, sagte Place, „die Täter sind gekommen, um die Feiernden grundlos abzustechen“. Einem Türsteher wurden die Finger abgehackt.

Ein anderer Augenzeuge beschrieb in „Le Figaro“ ein Blutbad: Jugendliche in Jogginghosen hätten den Gemeindesaal umstellt und seien mit Küchenmessern mit 25 Zentimeter langen Klingen blindlings auf die Leute losgegangen. Eine Großmutter aus dem Dorf sagte, ihre zwölfjährige Enkelin habe das Fest zehn Minuten vor dem Blutvergießen verlassen: „Mich lässt der Gedanke nicht los, dass sie an diesem Abend hätte sterben können.“ Ihre Freundin schilderte, ihr 16 Jahre alter Enkel könne seit dem Fest nicht mehr schlafen, weil er „ein Messer an der Kehle hatte“.

Die meisten der etwa zwanzig Tatverdächtigen, nach denen gefahndet wird, sollen aus der wegen Rauschgifthandel und Kriminalität berüchtigten Sozialbausiedlung La Monnaie im 17 Kilometer entfernten Romains-sur-Isère stammen. Die Staatsanwaltschaft warnte vor voreiligen Schlüssen. Die Bürgermeisterin von Crépol, Martine Lagut, sagte über die Täter. „Sie kamen nicht, um sich zu amüsieren, sondern um Böses zu tun“. Das Dorf werde lange brauchen, um sich davon zu erholen.