Eine abgesenkte „Sonderbedarfsstufe“ für alleinstehende erwachsene Asylbewerber in Sammelunterkünften verstößt gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums

Zu diesem Ergebnis ist das Bundesverfassungsgericht gekommen. Der erste Senat des BVerfG hat entschieden, »dass § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) unvereinbar ist.«

Wenn das BVerfG von einem „Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums“ spricht, dann ist das ist zum einen natürlich für die betroffenen Menschen in diesem Fall interessant, aber generell auch vor dem Hintergrund der parallel laufenden Diskussionen und gesetzgeberischen Entscheidungen im Kontext der Einführung eines „Bürgergeldes“, mit dem Hartz IV abgelöst werden soll, denn auch in der Grundsicherung nach SGB II (sowie SGB XII) geht es um dieses Grundrecht, das hier so prominent hervorgehoben wird.

➞ Um die neue Entscheidung des BVerfG besser einordnen zu können, muss man wissen: 2019 wurde für Erwachsene in Sammelunterkünften der monatliche Regelsatz nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gemindert. Sie wurden damit genauso veranschlagt wie Paare, die zusammen in einer Wohnung leben und durch gemeinsames Einkaufen sparen können. Aktuell liegt der Regelsatz für alleinstehende, erwachsene Asylbewerber bei 367 Euro pro Monat, für Paare und Menschen, die in einer Sammelunterkunft untergebracht sind, bei 330 Euro monatlich. Insbesondere Asylbewerber in Sammelunterkünften bekommen dabei vorrangig Sachleistungen statt Geld.

Schauen wir uns einmal genauer an, auf wen und was sich die neue Entscheidung des BVerfG bezieht. Dazu aus der Pressemitteilung des Gerichts vom 24.11.2022 unter der Überschrift Niedrigere „Sonderbedarfsstufe“ für alleinstehende erwachsene Asylbewerber in Sammelunterkünften verstößt gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums:

»Die Entscheidung betrifft alleinstehende Erwachsene, die in sogenannten Sammelunterkünften wohnen und sich seit mindestens 18 Monaten rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Ihnen hat der Gesetzgeber ab dem 1. September 2019 einen um 10 % geringeren Bedarf an existenzsichernden Leistungen zugeschrieben, indem nicht mehr die Regelbedarfsstufe 1, sondern die in § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG neu geschaffene „Sonderbedarfsstufe“ der Regelbedarfsstufe 2 zugrunde gelegt wird.«

Und das ist mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums unvereinbar.

Mit welcher Begründung? Dazu das hohe Gericht:

»Es ist nicht erkennbar, dass in den Sammelunterkünften regelmäßig tatsächlich Einsparungen durch gemeinsames Wirtschaften erzielt werden oder werden können, die eine Absenkung der Leistungen um 10 % tragen würden. Daneben kann der Gesetzgeber zwar im Sinne des Nachrangs staatlicher Leistungen grundsätzlich auch eine von den Bedürftigen nicht genutzte, ihnen aber an sich tatsächlich eröffnete und zumutbare Möglichkeit von Einsparungen berücksichtigen. Doch fehlt es an hinreichend tragfähigen Anhaltspunkten für die Annahme, dass die Voraussetzungen dafür in den Sammelunterkünften tatsächlich gegeben sind.«

Welcher Sachverhalt hat es bis hinauf zum BVerfG geschafft?

➔ »Der 1982 geborene Kläger des Ausgangsverfahrens ist sri-lankischer Staatsangehöriger. Er reiste 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein und erhielt seit Juli 2015 Leistungen nach § 2 AsylbLG nach der Regelbedarfsstufe 1. Nach Ablehnung seines Asylantrags im Jahr 2017 war er von November 2019 bis Februar 2020 in einer Sammelunterkunft untergebracht, im Besitz einer Duldung und vollziehbar ausreisepflichtig. Er teilte sich mit einer Person einen Schlafraum und mit weiteren Personen Küche und Bad. Zwischen ihnen bestand kein Verwandtschaftsverhältnis. Seine Mitbewohner erhielten teils existenzsichernde Leistungen in unterschiedlicher Höhe oder waren erwerbstätig und deshalb nicht im Leistungsbezug.
Die im Ausgangsverfahren beklagte Stadt bewilligte dem Kläger ab November 2019 Leistungen nach § 2 AsylbLG in Höhe der Regelbedarfsstufe 2, abzüglich Strom- und Energiekosten und abzüglich einer Pauschale für Innenausstattung und Geräte. Der dagegen eingelegte Widerspruch hatte keinen Erfolg. Die Klage zum Sozialgericht zielt auf höhere Leistungen nach Maßgabe der Regelbedarfsstufe 1. Dieses Verfahren hat das Sozialgericht am 13. April 2021 ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG verfassungsgemäß ist, soweit von der Norm alleinstehende erwachsene Leistungsberechtigte erfasst sind.«

Die Frage hat das Verfassungsgericht nun also abschließend beantwortet – die angegriffene Regelung ist „mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums unvereinbar“.

Wie so oft lohnt ein Blick in die Erwägungen des Senats, die zu dieser Entscheidungen geführt haben – mit einem besonderen Augenmerk auf das vom Gericht hervorgehobene „Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums“, das ja auch im Zusammenhang mit anderen strittigen Fragen (siehe „Bürgergeld“-Debatte) eine wichtige Rolle spielen sollte:

Zu 1.: »Verfassungsrechtlich ist entscheidend, dass Sozialleistungen fortlaufend realitätsgerecht bemessen werden und damit tatsächlich für eine menschenwürdige Existenz Sorge getragen wird. Der Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erstreckt sich dabei nur auf diejenigen Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind. Der existenznotwendige Bedarf muss stets gedeckt sein.«
»Der Gesetzgeber verfügt bei den Regelungen zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums über einen Gestaltungsspielraum hinsichtlich der Art und Höhe der Leistungen. Er muss seine Entscheidung an den konkreten Bedarfen der Hilfebedürftigen ausrichten.«
Aber: »Diesem Gestaltungsspielraum entspricht eine zurückhaltende Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht. Es hat nicht die Aufgabe zu entscheiden, wie hoch ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums sein muss; es ist zudem nicht seine Aufgabe zu prüfen, ob der Gesetzgeber die gerechteste, zweckmäßigste und vernünftigste Lösung zur Erfüllung seiner Aufgaben gewählt hat.«
Die – eingeschränkte – Kontrollfunktion des BVerfG begründet das Gericht dann so, wie man das auch schon aus den neueren Verfahren kennt, bei denen es um die Höhe der Regelleistungen im Grundsicherungssystem geht: »Die materielle Kontrolle der Höhe von Sozialleistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz ist zunächst darauf beschränkt, ob die Leistungen evident unzureichend sind. Das ist nur der Fall, wenn offensichtlich ist, dass sie in der Gesamtsumme keinesfalls sicherstellen können, Hilfebedürftigen in Deutschland ein Leben zu ermöglichen, das physisch, sozial und kulturell als menschenwürdig anzusehen ist. Dann ist zu prüfen, ob die Leistungen nachvollziehbar und sachlich differenziert insgesamt tragfähig begründbar sind. Sie müssen jeweils aktuell auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren im Ergebnis zu rechtfertigen sein, um mit Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG in Einklang zu stehen.«

Zu 2.: Die im konkreten Verfahren angegriffene Regelung des § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG genügt diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht, soweit alleinstehenden erwachsenen Leistungsberechtigten in Sammelunterkünften niedrigere Leistungen zuerkannt werden, denn die vorgenommene Bemessung von Leistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz in Höhe der Regelbedarfsstufe 2 „ist derzeit nicht tragfähig begründbar“. Die Begründung stellt ab auf den konkreten Sachverhalt, hier also die alleinstehenden Asylbewerber in Sammelunterkünften betreffend:
➞ »Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass Alleinstehende in den Sammelunterkünften, weil sie typischerweise gemeinsam mit anderen dort Wohnenden wirtschaften und dadurch für den Regelbedarf relevante Einsparungen erzielen würden, tatsächlich im Regelfall einen geringeren Bedarf haben als Alleinstehende in einer eigenen Wohnung. Tragfähige Erkenntnisse dazu liegen nicht vor. Der Gesetzgeber hat dazu keine Erhebungen angestellt oder entsprechende Erkenntnisse in dieses Verfahren eingebracht. Die Erwägung, beim notwendigen Bedarf an Nahrung könne eingespart werden, etwa indem Lebensmittel oder zumindest der Küchengrundbedarf in größeren Mengen gemeinsam eingekauft und in den Gemeinschaftsküchen gemeinsam genutzt werde, wird nicht auf Tatsachen gestützt. Vielmehr wird nur eine Erwartung formuliert, ohne zu belegen, dass sie tatsächlich erfüllt wird. Auch die pauschale Annahme, dass in Sammelunterkünften so wie in Paarhaushalten gemeinsam „aus einem Topf“ gewirtschaftet wird, trägt ohne tatsächliche Grundlagen nicht.«
➞ »Zwar kann der Gesetzgeber den Bezug existenzsichernder Leistungen auch grundsätzlich an die Erfüllung der Obliegenheit knüpfen, tatsächlich eröffnete, hierfür geeignete, erforderliche und zumutbare Möglichkeiten zu ergreifen, die Bedürftigkeit unmittelbar zu vermeiden oder zu vermindern. Doch muss dies auch tatsächlich möglich und zumutbar sein. Das ist nur der Fall, wenn hinreichend gesichert ist, dass in den Sammelunterkünften auch tatsächlich die Voraussetzungen dafür vorliegen, diese Obliegenheit erfüllen und so Einsparungen in entsprechender Höhe erzielen zu können. Dafür haben sich in diesem Verfahren keine Anhaltspunkte ergeben.«

Der »Kläger Kamalraj G. freut sich über die Entscheidung: „Dank meines Verfahrens bekommen jetzt alle Geflüchteten in Sammelunterkünften wieder das Geld, das ihnen zusteht. Ich habe mittlerweile ein gesichertes Aufenthaltsrecht und arbeite, aber die letzten Jahre musste ich mit monatlich 330 Euro vom Sozialamt auskommen – das ist gerade in Zeiten der Inflation viel zu wenig für einen Menschen in Deutschland.“ Kamalraj G. war im April 2020 mit Rechtsanwältin Eva Steffen gegen die gekürzten Sozialleistungen vor das Sozialgericht Düsseldorf gezogen«, kann man diesem Bericht entnehmen: Gekürzte Asyl-Leistungen in Sammelunterkünften verfassungswidrig. Dort auch der Hinweis auf erste Reaktionen mit Blick auf die Zukunft: »Das Bundesarbeitsministerium verwies auf Nachfrage auf den Koalitionsvertrag, laut dem das Asylbewerberleistungsgesetz „im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts“ weiterentwickelt werden soll. Die korrekte Versorgung Leistungsberechtigter werde bis zu einer Gesetzesänderung sichergestellt, indem – wie vom Verfassungsgericht verlangt – auch für Erwachsene in Sammelunterkünften künftig der volle Regelsatz für Alleinstehende gezahlt wird, sagte eine Sprecherin.«

Das Bundesverfassungsgericht hat sich bei seiner Entscheidungsfindung selbstverständlich auch beraten lassen. Beispielsweise durch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit. Dazu deren Stellungnahme:
➔ Herbert Brücker und Philipp Jaschke (2022): Zur verfassungsrechtlichen Prüfung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Stellungnahme des IAB vom 4.10.2022 zum Verfahren des Bundesverfassungsgerichts. IAB-Stellungnahme Nr. 6/2022, Nürnberg: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Oktober 2022:
Aus der Zusammenfassung der Stellungnahme: »Grundsätzlich geht es bei den zu prüfenden Regelungen im AsylbLG um die Gewährung von Leistungen zur Deckung des notwendigen Bedarfs und des notwendigen persönlichen Bedarfs durch Sachleistungen oder Wertgutscheine (anstatt Geldleistungen). Damit wird von der grundsätzlichen Systematik einer Orientierung der Leistungssätze an denen für Grundleistungsbeziehende nach dem SGB II bzw. SGB XII Abstand genommen. Insbesondere wird unterstellt, dass der Bedarf von Asylbewerberinnen und -bewerbern, die in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht sind, geringer ist. Die Annahme, dass Personen, die in Gemeinschaftsunterkünften leben, ähnlich wie Ehe- und andere Partner/Partnerinnen eine Lebensgemeinschaft bilden, erscheint wenig realistisch. Zudem werden Kürzungen der Leistungssätze für die Bereiche Freizeit, Unterhaltung, Kultur (Abteilung 9) und Bildungswesen (Abteilung 10) vorgenommen. Die in dieser Stellungnahme zusammengefasste empirische Evidenz spricht dafür, dass sich Kürzungen der Leistungssätze in diesen Bereichen nachteilig auf die Integration der Asylsuchenden in Gesellschaft und Arbeitsmarkt auswirken. Die Kürzung der Leistungssätze für die Asylsuchenden im Vergleich zu Leistungsbeziehenden nach dem SGB II bzw. dem SGB XII steht im Kontext einer gesellschaftlichen Diskussion über die Anreizwirkungen, sogenannte Pull-Effekte, von sozialen Transferleistungen nach dem AsylbLG. Die Befürchtung, dass die Höhe der Leistungssätze des AsylbLG systematisch die Anreize für die Migration nach Deutschland bzw. die Rückkehr in die Herkunftsländer der Asylsuchenden beeinflusst – also die Aufenthaltsdauer und den Aufenthaltsstatus – wird allerdings nicht durch belastbare empirische Befunde aus der Migrationsforschung gestützt.«

Was man (auch) aus diesem Urteil des BVerfG für die Diskussion über das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimums sowie dessen gesetzgeberische Begrenzung lernen kann

Gerade im Zusammenhang mit der heftigen Debatte über das „Bürgergeld“-Gesetz der Ampel-Koalition in den vergangenen Wochen und den dort erneut schwergewichtig platzierten Sanktionen (bzw. den beabsichtigten Lockerungen der bisherigen Sanktionsregelungen, Stichwort „Vertrauenszeit“ usw.), aber auch hinsichtlich der gerade von Sozialverbänden und Vertretern der Fachdiskussion kritisierten Fortschreibung von zu niedrigen Regelleistungen im Grundsicherungssystem an sich ist es durchaus relevant, sich die Ausführungen des BVerfG zum „menschenwürdigen Existenzminimum“ genauer anzuschauen.

Den als ambivalent zu charakterisierende Grundzug der aktuellen Rechtsprechung des BVerfG kann man den beiden Leitsätzen zum Beschluss vom 19. Oktober 2022 – 1 BvL 3/21 entnehmen:

Zum einen wird die Eigenständigkeit der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums und dessen Schutz gegen „unbegründete“ Eingriffe seitens des Gesetzgebers herausgestellt:

»Der objektiven Verpflichtung aus Art. 1 Abs. 1 GG zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums korrespondiert ein Leistungsanspruch, im Fall der Bedürftigkeit materielle Unterstützung zu erhalten. Der Anspruch erstreckt sich auf diejenigen Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind. Diese Sozialleistungen müssen fortlaufend realitätsgerecht bemessen werden, damit gesichert ist, dass tatsächlich für eine menschenwürdige Existenz Sorge getragen wird. Sie können nicht pauschal nur auf der Grundlage der Vermutung abgesenkt werden, dass Bedarfe bereits anderweitig gedeckt sind und Leistungen daher nicht zur Existenzsicherung benötigt werden, ohne dass dies für die konkreten Verhältnisse hinreichend tragfähig belegt wäre.«

Zum einen wird hier nochmals der Leistungsanspruch hervorgehoben, der sich aus der objektiven Verpflichtung des Staates zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ableiten lässt. Aber der wird durchaus begrenzt, nicht nur auf einer semantischen Ebene: Zum einen bezieht sich dieser dem Grunde nach unverfügbare Leistungsanspruch „auf diejenigen Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind“. Auch wenn die damit verbundenen Leistungen nicht pauschal abgesenkt werden dürfen, gilt diese Abwehr nicht, wenn eine Kürzung der Leistungen „für die konkreten Verhältnisse hinreichend tragfähig belegt wäre“.

Allerdings findet man auch im ersten Leitsatz wieder einen Hinweis, der relevant werden könnte für diejenigen, denen es um die Infragestellung der Höhe bzw. der Art und Weise der Anpassung der Leistungshöhe geht: „Diese Sozialleistungen müssen fortlaufend realitätsgerecht bemessen werden, damit gesichert ist, dass tatsächlich für eine menschenwürdige Existenz Sorge getragen wird.“

Und schauen wir uns abschließend auch noch den zweiten Leitsatz der aktuellen Entscheidung des BVerfG an, denn da findet man ebenfalls wichtige Hinweise für die aktuelle (und seit Jahren laufende) Diskussion über die (auch restriktive) Ausgestaltung eines eben nicht-bedingungslosen Grundsicherungssystems:

»Das Grundgesetz verwehrt es dem Gesetzgeber nicht, die Inanspruchnahme sozialer Leistungen zur Sicherung der menschenwürdigen Existenz an den Nachranggrundsatz zu binden. Einer Entscheidung des Gesetzgebers, zu verlangen, an der Überwindung der Hilfebedürftigkeit selbst aktiv mitzuwirken oder die Bedürftigkeit gar nicht erst eintreten zu lassen, steht das Grundgesetz daher nicht entgegen. Der Gesetzgeber kann den Bezug existenzsichernder Leistungen grundsätzlich an die Erfüllung der Obliegenheit knüpfen, tatsächlich eröffnete, hierfür geeignete, erforderliche und zumutbare Möglichkeiten zu ergreifen, die Bedürftigkeit unmittelbar zu vermeiden oder zu vermindern. Eine pauschale Absenkung existenzsichernder Leistungen lässt sich auf eine solche Obliegenheit jedoch nur stützen, wenn diese tatsächlich erfüllt werden kann und dadurch Bedarfe in diesem Umfang nachweisbar gedeckt werden.«

Das ist nur eine zusammenfassende Fortschreibung (und im konkreten Fall eine Übertragung auf den hier relevanten Fall einer pauschalen Leistungsabsenkung) der Rechtsprechung, wie sie das BVerfG bereits in seinem Urteil zu den Sanktionen imHartz IV-System aus dem Jahr 2019 entwickelt hat. Vgl. dazu ausführlicher den Beitrag Ein Sowohl-als-auch-Urteil. Das Bundesverfassungsgericht, die Begrenzung der bislang möglichen Sanktionierung und eine 70prozentige minimale Existenz im Hartz IV-System, der hier am 6. November 2019 veröffentlicht wurde. Aus der damaligen Zusammenfassung sei hier zitiert: »Fazit: Das höchste Gericht hat ein Urteil gefällt, dass die Systemfrage einerseits erkennbar umschifft, also die Letztfrage der Bedingungslosigkeit eines existenziellen Minimums. Auf der anderen Seite hat es die Systemfrage eindeutig geklärt, denn im bestehenden System der bedürftigkeitsabhängigen Sozialhilfe darf der Staat ein Sub-Existenzminimum installieren.«

Die Grenze, die schon im Sanktionsurteil des Gerichts erkennbar wurde, ist auch in der das Asylbewerberleistungsgesetz betreffenden neuen Entscheidung fortgeschrieben worden: Es geht darum, dass die restriktiven Maßnahmen, die grundsätzlich zulässig sind, verbunden sein müssen mit „geeigneten, erforderlichen und zumutbaren Möglichkeiten“ auf Seiten der Betroffenen, diesen Einschränkungen zu begegnen, um im Ergebnis zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums kommen zu können. Das ist erkennbar eine defensive Auslegung der Schutzfunktionalität der verfassungsrechtlichen Kontrolle (und Begrenzung) gesetzgeberischen Handelns.

Und nochmals – hier aus der Beschreibung der wesentlichen Erwägungen des BVerfG vom 24.11.2022 – die Hinweise, was der Gesetzgeber durchaus machen darf (auch wenn sich der eine oder andere vom Verfassungsgericht etwas anderes erhoffen würde, aber nicht bekommen wird, wenn denn das Gericht an der aktuellen Ausformung seiner Rechtsprechung festhält, wovon derzeit auszugehen ist):

»Dabei verwehrt das Grundgesetz dem Gesetzgeber nicht, die Inanspruchnahme sozialer Leistungen zur Sicherung der menschenwürdigen Existenz an den Nachranggrundsatz zu binden, also nur dann zur Verfügung zu stellen, wenn Menschen ihre Existenz nicht vorrangig selbst sichern können. Der Gesetzgeber darf hier den Gedanken der Subsidiarität verfolgen, wonach vorhandene Möglichkeiten der Eigenversorgung Vorrang vor staatlicher Fürsorge haben. Das Grundgesetz steht daher auch einer Entscheidung des Gesetzgebers nicht entgegen, von denjenigen, die staatliche Leistungen der sozialen Sicherung in Anspruch nehmen, zu verlangen, an der Überwindung ihrer Hilfebedürftigkeit selbst aktiv mitzuwirken oder die Bedürftigkeit gar nicht erst eintreten zu lassen.«