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VERFASSUNGSSCHUTZ Militant drauf

Ein Agent als Steinewerfer - Enthüllungen über den Hergang der Krefelder Krawalle belegen dubiose V-Mann-Praktiken des Verfassungsschutzes. *
aus DER SPIEGEL 37/1983

Peter Troeber, gemeinsam mit drei Kampfgenossen im Auto unterwegs nach Westdeutschland, hatte viel vor. Unter den Gewaltdemonstranten, die dem amerikanischen Vizepräsidenten George Bush am 25. Juni in Krefeld einen Empfang mit Steinhagel bereiteten, ging Troeber in die vorderste Front.

Von dort berichtete später die Polizei: »Um 10.27 Uhr griffen die gewalttätigen Störer die Polizeibeamten mit Steinen, Farbbeuteln und Knallkörpern an. Gleichzeitig attackierten ca. 50 bis 60 behelmte Störer die Absperrkräfte mit Eisenrohren, Holzknüppeln, Spaten und anderen Waffen. Dabei gingen sie mit äußerster Brutalität vor.«

Auf beiden Seiten gab es Verletzte und, als Troeber von einem Polizeiknüppel am Kopf getroffen wurde, auch noch eine große Überraschung. Verblüfft hörten die umstehenden Demonstranten und Polizisten den Verletzten sagen: »Kümmert euch nicht um mich, ich komme vom Senat.«

Die Demonstranten konnten Troeber soeben noch den Ausweis stibitzen und die Identität des rätselhaften Mitkämpfers feststellen. Dann griff die Polizei den Steinewerfer auf und transportierte ihn ins Festnahme-Sammellager.

Wenig später erfuhren auch die Polizisten in Krefeld, was es mit dem Mann auf sich hatte: Ein Berliner Verfassungsschützer, beunruhigt über die ausgebliebene Rückmeldung, rief in Krefeld an und erkundigte sich: »Ist bei euch unter den Festgenommenen ein Mann namens Troeber?« So kam der Festgenommene wieder frei: Kurze Zeit später war er auf dem Weg zurück nach Berlin, erstattete seinen amtlichen Auftraggebern Rapport, bestritt alle Anschuldigungen und tauchte wieder ab.

Für die Verfassungsschützer schien die kleine Panne damit bereits im Vorfeld bereinigt. Erst zwei Monate später, Freitag vorletzter Woche, kam die Sache wieder hoch: Troeber, so zumindest heißt er laut Personalausweis, wurde am deutsch-niederländischen Grenzübergang Aachen-Vetschau bei der Einreise festgenommen. Das Gemauschel auf dem kleinen Dienstweg hatte das Ermittlungsverfahren der Staatsanwälte wegen Widerstandes und schweren Landfriedensbruchs nicht stoppen können.

Der enttarnte V-Mann aus dem Chaotenblock blamiert nicht nur Berlins Verfassungsschutz. Die Bundesregierung, allen voran CSU-Innenminister Zimmermann, hat ihr Eintreten für ein verschärftes Demonstrationsstrafrecht vor allem mit dem Krefelder Steinhagel begründet. Nun aber war es nach Polizei-Erkenntnissen ausgerechnet ein Verfassungsschutzmann aus dem CDU/FDPregierten Berlin, der durch »Gewalttätigkeiten« und »Steinwurf« gegen die Polizei (so steht es im Haftbefehl) aufgefallen war.

Es war nicht das erstemal, daß sich Zuträger deutscher Sicherheitsbehörden, mit oder ohne Auftrag, als Aktivisten einmischten. Schlagzeilen machte Ende der sechziger Jahre, ebenfalls in Berlin, der Verfassungsschutzhelfer Peter Urbach, der laut Zeugenaussagen bei Apo und Kommunarden abklären sollte, dabei Brandsätze verteilte und eine Waffe weitergab.

Vielfach auch liefen V-Leute am rechten Rand ihren Verfassungsschützern aus dem Ruder. In Niedersachsen half der V-Mann Hans-Dieter Lepzien bei der Mitbegründung einer terroristischen Vereinigung und erhielt zweieinhalb Jahre Freiheitsstrafe. In Hamburg war ein V-Mann sogar an einem Fememord beteiligt.

Daß ein V-Mann zum Agent provocateur wird, findet Berlins Innensenator Heinrich Lummer (CDU) »unerwünscht und unerträglich«. Noch schlimmer aber findet er es offenkundig, wenn einer enttarnt wird. Jedenfalls legten sich Lummers Beamte beispiellos ins Zeug, um die sich abzeichnende Affäre beizeiten zu bereinigen.

Kaum hatte Troeber sich bei seiner Aachener Festnahme wiederum als Behörden-Spezi offenbart ("Ich bin ein Angehöriger des Innensenators"), machte sich ein Vizechef des Berliner Landesamtes für Verfassungsschutz, Senatsrat Hartwig, mit Begleitung auf nach Aachen. Die langandauernde Unterhaltung mit den Berliner Auftraggebern verlief ermutigend für den Häftling: Die Verfassungsschützer versprachen ihrem Dienst-Mann baldige Haftentlassung und steckten ihm 500 Mark Reisegeld zu.

Eile schien geboten. Schon Ende August hatte Berlins Verfassungsschutz bei den Düsseldorfer Kollegen vorgefühlt, wie die NRW-Justiz wohl bei einer Festnahme Troebers reagieren würde. Die Antwort war negativ: Eine Verschonung vom Haftverfahren wollten die Düsseldorfer nicht in Aussicht stellen.

So legten die Berliner anderweitig nach. Der Leiter der politischen Staatsanwaltschaft Berlins, Klaus Müller, rief beim zuständigen Krefelder Ankläger an und äußerte einen ungewöhnlichen Wunsch. Das Verfahren, bat er, möge doch nach Berlin überwiesen werden.

Soviel Engagement für den verdächtigen Gewalttäter machte die Düsseldorfer erst recht bockig. Noch in der Nacht zum vorletzten Samstag wies das Innenministerium die Polizei an, den Fall wie eine normale Haftsache zu behandeln und den Berliner Spitzel erst einmal ins Krefelder Gefängnis zu bringen.

Das Unternehmen »Wanderer«, so nannten die Berliner Führungsleute intern den Krefelder Einsatz Troebers, war nun endgültig zum politischen Skandal geworden.

Der Fall wirft ein Schlaglicht auf Praktiken und Probleme der Verfassungsschutzämter bei Führung und Auswahl von V-Leuten. Deren Herkunft ist meist »szenenbezogen«, wie Innensenator Lummer sagt. »Da gibt es gelegentlich welche«, enthüllte der Christdemokrat letzte Woche, »die schwankend werden, und dann ergibt sich dann und wann ein Ansatzpunkt, ihnen die Frage zu stellen, ob sie uns nicht helfen wollen.«

Peter Troeber stuften Lummers Beamte als äußerst schwankend ein - »seelisch instabil« und »streßanfällig«. Gleichwohl erschien ihnen ein Auswärtsauftritt wie der in Krefeld nicht zu anspruchsvoll für den Vertrauensmann. Sie gaben ihm einen zweiten Späher mit.

Angeblich wollte Troeber schon längst, wie er seinen Führungsmann wissen ließ, den Staatsdienst quittieren. Doch in Krefeld sah ihn die Polizei derart loslegen, daß ihm eigentlich, wie ein Berliner Justizpolitiker witzelt, die von Bonns Wendepolitikern geplante Neufassung des Landfriedensbruch-Paragraphen schon jetzt zugute kommen müßte - Straffreiheit für alle, die sich in einer gewaltsamen Menge aus beruflichen Gründen aufhalten.

Emsig bemühen sich unterdessen Berlins Militante, Karriere und Persönlichkeit des Enttarnten zu rekonstruieren. Sie erkannten in ihm jenen »Piwi« wieder, der 1981, vier Wochen vor Beginn des »Tuwat«-Festivals, auf einmal in Berlin auftauchte, verschiedene Hausbesetzerszenen durchlief und selten fehlte, wenn Steine flogen.

Kumpelhaft, aber auch eigenbrötlerisch und »irgendwie total kaputt«, so haben ihn die Weggefährten von damals in Erinnerung. Sie stellten bei ihm depressive Gemütszustände und Selbstmitleid fest. Einmal, berichten sie, habe er sich die Pulsader geöffnet. Fluchtversuche in Traumwelten wechselten mit aggressiver Zielstrebigkeit ("Er war unheimlich militant drauf").

Bei mehreren Berliner Krawallen wollen Turnschuhkämpfer ihren Freund »Piwi"/Troeber ganz vorn geortet haben, nach Räumungen besetzter Häuser und im September 1981 bei der Haig-Demo. Vom vielen Steinewerfen, erzählt ein altgedienter Mitstreiter, müsse er »eigentlich einen Tennisellenbogen haben«. Am Winterfeldtplatz, überliefern Streetfighter, habe »Piwi« angesichts einer Beamtenkette gerufen: »Tötet sie!«

Zuletzt wurde der V-Mann Mitte August bei einer Mittelamerika-Demo in Berlin gesichtet, wobei er Bekannte, wie die sich erinnern, »vollheulte, seit Krefeld gebe es einen Spitzelverdacht gegen ihn und was man denn dagegen machen könne«.

Für den Verfassungsschutz sollte Peter Troeber den Kern der Hausbesetzerszene ausspähen, wo er nach Amtsmeinung am härtesten war. Aber auch Knastgruppen und das RAF-Umfeld gehörten zu seinem Beobachtungsfeld. 1981 schloß sich der Arbeitslose den Besetzern eines Hauses in Kreuzberg an, das bei der Polizei als »kriminelle Fluchtburg« abgestempelt war und Razzien schon provozierte, »wenn auch nur eine Bananenschale aus dem Fenster flog« (ein Bewohner).

V-Leute auf so weit vorgeschobenem Posten sind kaum mehr zu kontrollieren, da heißt es für die Auftraggeber oft nur noch zu hoffen. Ein Spitzenbeamter des Berliner Verfassungsschutzes: »Wir sind uns zwar darüber im klaren, daß sie in diesem Bereich strafbare Taten begehen müssen, aber das muß sich in Grenzen halten.«

Das Risiko trägt ein V-Mann, der derart auf dem Grat wandert, in jedem Fall allein. Wenn er aus Selbstschutz oder aus Tarnungsgründen Straftaten begeht, rettet ihn auch das besondere Dienstverhältnis später nicht unbedingt vor dem Staatsanwalt.

Unter Berliner Verfassungsschützern kursiert eine Erkenntnis des Amtschefs Franz Natusch: »Letztlich ist der V-Mann immer der Schütze Arsch.«

Dieser Artikel wurde nachträglich bearbeitet.

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