Kein „Rassismusbuch“

Autorinnengespräch mit Jackie Thomae

Von Jannick GriguhnRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jannick Griguhn

Jackie Thomae hatte auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse etwas zu sagen. Gut gelaunt ging die Autorin am 18. Oktober im Gespräch mit Spiegel-Redakteur Tobias Becker auf dessen Fragen zu ihrem Roman Brüder ein, der es auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises schaffte. In Brüder verhandelt sie die Geschichte der Halbbrüder Mick und Gabriel, die den gleichen Vater haben, aber nicht voneinander wissen. Sie wachsen getrennt zu Zeiten der DDR in Berlin und Leipzig auf, ohne ihren aus dem Senegal stammenden Vater kennenzulernen. Thomae selbst wurde 1972 in Halle an der Saale geboren und wuchs ebenfalls in der DDR ohne ihren leiblichen Vater auf, der aus Guinea stammt und sie erst kontaktierte, als sie bereits über vierzig Jahre alt war. Bei Brüder handele es sich allerdings nicht um einen autobiografischen, sondern um einen fiktionalen Roman, betont die Autorin. Sie habe zwar überlegt, die Geschichte ihres Vaters in den Mittelpunkt zu stellen, entschied sich dann aber für das Brüderpaar, da sie mit Brüder einen Gesellschaftsroman über die zwischenmenschlichen Beziehungen um die Wendezeit kreieren wollte.

Die Idee für die Covergestaltung stammt von Thomae selbst. Eines Morgens wachte die Autorin auf und hatte den Einfall, auf dem Cover möglichst viele Hauttöne abzubilden und diese Aneinanderreihung wie eine Make-Up-Palette aussehen zu lassen. Das Thema Rassismus, auf das sie immer wieder angesprochen wird, stehe jedoch nicht im Mittelpunkt des Romans. Vielmehr blitzen im Roman subtile Formen von alltäglichem Rassismus auf, die auch sie immer wieder betreffen. Grinsend berichtet Thomae, dass einige Leute ständig eine „Schwarze Freundin“ mit ihr verwechseln und sie sich daraufhin die Frage stellt, ob Menschen tatsächlich denken, dass „Schwarze Menschen“ alle gleich aussehen. Sie befürchtete vor der Veröffentlichung des Buchs sogar, dass der Roman einen Shitstorm auslösen werde, da sie in diesen politisch heiklen Zeiten „keine Geschichte einer Ausgrenzung oder aggressiver Übergriffe“ im Osten erzähle. Der Shitstorm blieb aus und zahlreiche positive Rezensionen und Kritiken folgten. Die Autorin begründet ihre Entscheidung, diese Art von Rassismus weitestgehend auszulassen, damit, dass sie sich nicht in der Position sehe, als politische Expertin zum Thema Rassismus aufzutreten, da ihr das nötige „Know-how“ dazu fehle.

So passt es auch, dass Mick und Gabriel mit ihrer väterlichen Herkunft eher fremdeln und sich kaum mit ihr auseinandersetzen. Die Konzeption des Brüderpaars ergab sich für die Autorin in einem organischen Prozess, an dessen Ende sie ihre Figuren komplett verstanden habe, denn, so sagt sie: „Das ist mein Job.“ Beide Figuren seien ihr abwechselnd gleichermaßen nahe gewesen, je nachdem mit welcher Figur sie sich gerade intensiver beschäftigte. So unterschiedlich das Brüderpaar auch konzipiert sei, teilen sie das Gefühl, sie wären die Einzigen. Die Konsequenzen, die Mick und Gabriel daraus ziehen, seien hingegen unterschiedlich. Während Mick durch sein charmantes Auftreten von vielen gemocht werde und sich nur für die Leute interessiere, mit denen er Spaß haben könne, wandele Gabriel seine Außenseiterposition in eine „High Performance“ um. Gabriels These laute sozusagen: „Ab einem gewissen Punkt zählt nur noch das Geld und nichts weiter.“

Becker stellt Thomae die Frage, welche Bezeichnung sie sich für ihre Herkunft wünsche. Thomae erwidert nonchalant, dass es bei ihr noch eine recht einfache Familienkonstruktion sei, aber auch ihr die adäquaten Begriffe fehlen, da „man sich in der Regel nicht selbst bezeichnet“. In den USA würde sie wohl als Black gelten, aber in Deutschland gäbe es im Prinzip keine geeigneten Begriffe. Am ehesten treffe der riesige Begriff „Person of Color“ zu, aber auch dieser sei ihr zu „eiertanzmäßig“. Sie bemerke zunehmend eine enorme Unsicherheit, wenn es um die Bezeichnung von Hautfarben gehe, auch bei Menschen, die fernab von rassistischem Gedankengut seien. Sie resümiert, dass es komplizierte Zeiten seien, in denen man niemandem „auf den Schlips treten möchte“, wobei sie es positiv bewertet, dass es eine Sensibilisierung für das Thema gebe.

Der Interviewer fragt, ob Thomae nicht genervt sei, dass sie ständig über Rassismus und ihre Herkunft sprechen müsse, anstatt inhaltliche Fragen zum Roman gestellt zu bekommen. Sie bereite sich bereits auf diese Fragen vor, so antwortet Thomae, und freue sich, dass die Menschen Verständnis für ihre Sichtweisen entwickeln. Brüder sei ihr Versuch gewesen, ein Gesellschaftsporträt zu zeichnen und eben kein „Rassismusbuch“ zu schreiben. Besonderen Wert lege sie auf die Frauenfiguren des Romans, die in den Besprechungen oftmals zu kurz kämen.

Wer Jackie Thomae live erleben möchte, hat am 07.11. in Berlin im Rahmen der Veranstaltungsreihe Eine Stadt. Ein Land. Viele Meinungen. 30 Jahre Mauerfall die nächste Gelegenheit.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen