Idee aus dem Kaiserreich

War antisemitische Propaganda das Vorbild für die "Abschiebetickets" der AfD?

Stand

Von Autor/in Filiz Kükrekol

Rückflugtickets in ein "sicheres Herkunftsland" - damit wirbt die AfD Karlsruhe in ihrer jüngsten Kampagne. Historiker verweisen auf Parallelen zu antisemitische Propaganda aus dem Kaiserreich.

Vertreibungspropaganda hieß einst das, was derzeit die AfD mit ihren "Abschiebetickets" macht. Diese werden momentan vom Ortsverband in Karlsruhe verteilt. Laut der Partei Die Linke sind diese möglicherweise auch in Briefkästen von Menschen mit Migrationshintergrund eingeworfen worden. Mindestens 20 Anzeigen wegen Volksverhetzung hat die Kampagne der AfD eingebracht.

Ähnliche Tickets gab es bereits bei antisemitischer Propaganda aus dem Kaiserreich, wo Ende des 19. Jahrhunderts der moderne politische Antisemitismus entstand. Neben Freifahrkarten wurden damals zur Verächtlichmachung von jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern auch Postkarten mit antisemitischen Karikaturen genutzt. Das erklärt Carl-Eric Linsler, wissenschaftlicher Sammlungsleiter des "Arthur Langerman Archiv" für die Erforschung des visuellen Antisemitismus am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin, im Gespräch mit dem SWR.

Freifahrkarten nach Palästina: Verunsicherung jüdischer Deutscher

So seien erstmals in den 1890er Jahren Freifahrkarten aus Berlin, München und Frankfurt am Main jüdisch aussehenden Menschen in die Hand gedrückt oder in Briefkästen mit vermeintlich jüdisch klingenden Namen geworfen worden, so Linsler.

In dem Band "Alltagskultur des Antisemitismus im Kleinformat" sind eben solche Vignetten der Sammlung Wolfgang Haney ab 1880 abgebildet - darin heißt es auch, bei den Freifahrtscheinen habe es sich sogar um ein Massenphänomen gehandelt.

Eine "Freifahrkarte" für Juden und Genossen für den Weg nach Palästina.
Die Freifahrkarte diente Ende des 19. Jahrhunderts als öffentliche Diffamierung jüdischer Bürgerinnen und Bürger.

Laut Linsler konnte man sie bei als antisemitisch geltenden Buchhandlungen, Verlagen und Gruppierungen kaufen oder bestellen. Dabei sei es darum gegangen, beim Empfänger das Gefühl zu vermitteln, nicht dazuzugehören, sie aus der Nation und später in den 1930er-Jahren dann auch aus der Volksgemeinschaft auszugrenzen. Immer sei mitgeschwungen, "wir wollen euch nicht und zahlen sogar dafür, dass ihr Deutschland verlasst", sagt Linsler. Eine Erniedrigung von Menschen, deren Vorfahren seit Jahrhunderten hier lebten. Man habe ihnen signalisiert, egal wie lang sie hier seien, sie gehörten nicht dazu.

Dabei vermittelten die historischen Freifahrtscheine den Anschein eines öffentlichen Dokuments und suggerierten, "der Staat will euch nicht mehr hier haben". Laut Linsler schwang aber immer auch eine Drohung mit, die den Eindruck vermittelte, dass sich bei anderen Machtverhältnissen einiges ändern könnte.

AfD-"Abschiebetickets": Verschlüsselte Codes mit Verbindung zur Nazizeit?

Eine Parallele sieht Linsler dabei zu den "Rückflugtickets" der AfD, die versehen sind mit dem Datum der Bundestagswahl. Das soll suggerieren, dass sich nach den Wahlen einiges verändern wird. Außerdem steht unter der Zeile Platz "51P" - die absolute Mehrheit also? Beobachter der AfD decodieren das als Machtergreifungsfantasien und auch die Flugzeit 8 bis 18 Uhr könne man - mit dem gängigen Alphabet-Code - in "Heil Adolf Hitler" dechiffrieren, heißt es.

Screenshot der Internetseite der AfD Karlsruhe
Auf der Internetseite der AfD Karlsruhe hat die Partei das Ticket als Werbematerial zur Bundestagswahl veröffentlicht.

Auf SWR-Anfrage sagte der Karlsruher AfD-Bundestagsabgeordnete Marc Bernhard, es gehe nicht darum, Menschen Angst zu machen, sondern um Wahlwerbung. Auf der Rückseite des Tickets spreche man ausdrücklich die illegalen Ausländer an, so Bernhard.

Experte: AfD will "das Völkische stärken"

Die AfD sehe das Ticket als normales Wahlprogramm - so bewertet Rolf Frankenberger, Forscher für Rechtsextremismus an der Universität Tübingen, die Aktion. Deshalb verweise die Partei auch auf die Rückseite des Tickets. Darauf ist aufgelistet, wer nach Ansicht der AfD alles von der Rückführung betroffen sein sollte. Nichtsdestotrotz geht es laut Frankenberger um Massenabschiebungen. Die AfD wolle das Völkische stärken - parallel zu den 1920er Jahren und der folgenden Naziherrschaft der 1930er Jahre. Das zeige, dass die AfD keine konservative Partei, sondern eine extrem rechte Partei sei, die "exkludierende Vorstellungen von Volk und Nation hat und Menschen per se aufgrund ihrer Herkunft abwertend betrachtet".

Das Landesamt für Verfassungsschutz stuft die AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall ein. Der ethnisch homogene Volksbegriff, beim formal aufgelösten "Flügel" sowie der "Jungen Alternative", "steht im Widerspruch zu zentralen Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung", ist im Verfassungsschutzbericht des Landes Baden-Württemberg zu lesen.

Karlsruhe

Ermittlungen wegen Volksverhetzung 20 Anzeigen gegen "Abschiebetickets" der AfD in Karlsruhe erstattet

Gegen das sogenannte "Abschiebeticket" der AfD Karlsruhe sind knapp 20 Anzeigen eingegangen. Die umstrittene Wahlkampfaktion sorgt seit Anfang der Woche für Diskussionen.

Strategie der AfD: Begriffe durch Wiederholungseffekt enttabuisieren

Laut Frankenberger wiederholt die AfD Begrifflichkeiten, die anfangs als skandalös wahrgenommen wurden, so lange, bis sie sich normalisierten. Zu beobachten beim Begriff "Remigration", den Alice Weidel, die AfD-Bundeschefin und Direktkandidatin ihrer Partei in Friedrichshafen (Bodenseekreis), vor einem Jahr noch verteidigen musste. Auf dem Bundesparteitag in Riesa Anfang Januar zeigte sie sich selbstbewusst. Dort sagte sie über die Rückführung von Migrantinnen und Migranten: "Wenn es dann Remigration heißt, dann heißt es eben Remigration".

Durch ständiges Wiederholen nutze sich der Begriff ab, bis er nicht mehr skandalträchtig sei, sondern normal werde in der Wahrnehmung, so Frankenberger. Bei der politischen Rechten habe man solche Tabubrüche und Grenzverschiebungen immer wieder, sagt auch Frank Brettschneider, Kommunikationswissenschaftler an der Universität Hohenheim. Tabubrüche würden sich nach Wiederholungen normalisieren und sich schließlich in das öffentliche Bewusstsein einpflanzen. So betreibe die AfD Themensetzung, auch Agenda Setting genannt. Damit sei die Partei auch erfolgreich.

Baden-württembergischer AfD-Co-Chef unterstützt "Abschiebetickets"

Für Rechtsextremismusforscher Frankenberger von der Uni Tübingen sind die "Abschiebetickets" im Übrigen nicht kreativ. Er findet es "eher deprimierend, dass solche Muster immer wieder aufgegriffen werden".

Der AfD Co-Chef in Baden-Württemberg Markus Frohnmaier hat die Tickets als kreative Aktion des Kreisverbandes gelobt, die man unterstütze. Fakt ist, sie wurden im Kaiserreich erfunden, fortgeführt von den Nationalsozialisten unter Adolf Hitler, aufgegriffen in den Jahren 2011 und 2013 von der NPD und jetzt neuaufgelegt von der AfD in Karlsruhe.

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Filiz Kükrekol
SWR-Redakteurin Filiz Kükrekol aus der SWR-Redaktion Landespolitik

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