Geflüchtet zweiter Klasse? – Flüchtlingsrat und Landesbeauftragte für Migration und Teilhabe fordern Gleichbehandlung aller Schutzsuchenden

Presseerklärung zum Internationalen Flüchtlingstag am 20.06.2022

Im Umgang mit den Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine beweisen Bund und Land, dass eine menschenwürdige Asyl- und Flüchtlingspolitik möglich ist. Die Niedersächsische Landesbeauftragte für Migration und Teilhabe und der Flüchtlingsrat Niedersachsen fordern, alle Schutzsuchenden gleich gut zu behandeln und ihnen eine gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Die im Umgang mit ukrainischen Geflüchteten praktizierte Willkommenspolitik sollte als Blaupause dienen, um die Asyl- und Flüchtlingspolitik grundlegend neu zu gestalten.

Menschen, die aufgrund des Angriffs der russischen Truppen aus der Ukraine fliehen mussten, dürfen visumsfrei nach Deutschland einreisen und ihren Wohnort grundsätzlich selbst wählen, wobei sie bei der Wohnungssuche unterstützt werden. Sie bekommen schnell und unbürokratisch eine Aufenthalts- sowie Arbeitserlaubnis. Seit Juni erhalten sie bei Bedarf – wie alle anderen Menschen in Deutschland auch – Leistungen nach dem SGB II bzw. XII.

Geflüchtete aus anderen Ländern hingegen erfahren auf der Suche nach Schutz und Sicherheit weiterhin eine wesentlich schlechtere Behandlung: Sofern sie es überhaupt schaffen, die abgeriegelten Grenzen zu überwinden, werden sie gezwungen, ihren Asylantrag in abgelegenen Sammellagern zu stellen, wo sie bis zu 18 Monate ausharren müssen. Doch auch nach einer Verteilung auf die Kommunen droht ihnen oftmals ein Leben ohne Privatsphäre in überfüllten Sammellagern. Eine Arbeitsaufnahme ist ihnen erst nach neun Monaten erlaubt, Sozialleistungen und Krankenversorgung werden ihnen nur eingeschränkt gewährt.

Was es bedeutet, ein Mensch zu sein, dem weniger Rechte zugesprochen werden, verdeutlicht Zahra Lessan, Referentin beim Flüchtlingsrat Niedersachsen

„Ich, als Lebewesen, habe viele Facetten und Rollen. Ich bin ein Mensch, eine Frau, eine geflüchtete Frau, eine Mitarbeiterin beim Flüchtlingsrat, eine Akademikerin und noch ganz vieles mehr. Welcher meiner Facetten steht es nicht zu, gleich behandelt zu werden und die gleichen Rechte zu bekommen wie alle anderen Menschen auch? Die Gefühle von Hilflosigkeit und des Ausgeschlossenseins verfolgen Menschen ein Leben lang!“

Maryam Mohammadi, Referentin beim Flüchtlingsrat Niedersachsen, beschreibt ihre Erfahrungen wie folgt:

„Ich musste 5 Jahre lang um meine Anerkennung in Deutschland fürchten. Ich wurde in Afghanistan verfolgt, weil ich dort für Rechte der Frauen gekämpft habe. Ich kam nach Deutschland auf der Suche nach Stabilität und Sicherheit, aber ich fühlte mich wie eine Outsiderin. Die Paragrafen haben mein Schicksal bestimmt und meine Rechte beschränkt, und ich musste für jedes einzelne Recht kämpfen, das ich verdiente.“

Doris Schröder-Köpf, die Niedersächsische Landesbeauftragte für Migration und Teilhabe, resümiert:

„Wir brauchen Chancengleichheit. Es darf keine Unterschiede zwischen Geflüchteten geben. Insofern ist hier die Bundesebene gefordert, schnellstmöglich nachzubessern.“

Kontakt

Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.:
Maryam Mohammadi 0511 – 84 87 99 76 | mmo(at)nds-fluerat.org
Zahra Lessan 0511 – 85 03 34 90 | zl(at)nds-fluerat.org

Verbindungsbüro zur Landesbeauftragten für Migration und Teilhabe:
Norman Ilsemann, 0511-120-6804 | norman.ilsemann(at)stk.niedersachsen.de

Hinweis:

Zum internationalen Tag der Geflüchteten am Montag, 20.6.22, veranstaltet ein breites Bündnis eine Demonstration unter dem Motto „Solidarität mit ALLEN Geflüchteten“.
Kommt mit uns auf die Straße und teilt gerne den Aufruf über eure Netzwerke!
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Anhang: Forderungen des Flüchtlingsrats

Im Rahmen der Neugestaltung der Asyl- und Migrationspolitik sind aus Sicht des Flüchtlingsrats Niedersachsen die Umsetzung der nachfolgenden Punkte essentiell.

1. Aufenthaltssicherheit statt Angst vor Abschiebung

  • Die Anwendung des § 24 AufenthG auch Geflüchtete aus Kriegs- und Krisengebieten wie Afghanistan, Syrien, Somalia und Eritrea.
  • Faire Asylverfahren, bei denen die Qualität Vorrang vor der Schnelligkeit hat und bei denen die Entscheidungen auf Grundlage von Tatsachen und nicht von politischen Vorgaben getroffen werden.
  • Ein Bleiberecht für alle Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt längst in Deutschland gefunden haben

2. Wohnen in Nachbarschaft statt Ausgrenzung in Lagern

  • Die Einführung eines „Free Choice Systems“, bei dem Schutzsuchende ihren Wohnort dort nehmen dürfen, wo sie Angehörige oder Freunde haben.
  • Die Verabschiedung von Aufnahmekonzepten, die allen Geflüchteten – so schnell wie möglich, spätestens jedoch nach drei Monaten – ein selbstbestimmtes Leben in den eigenen vier Wänden ermöglichen.
  • Die Einführung von Schutzkonzepten in Sammelunterkünften, die effektiv vor Gewalt schützen und die Privatsphäre gewährleisten.

3. Gleichberechtige gesellschaftliche Teilhabe statt Diskriminierung

  • Gleiche soziale Rechte für alle Geflüchteten, d.h. bspw.
    • einen unverzüglichen Zugang zu Integrations- und Sprachkursen,
    • das sofortige Recht, eine Arbeit aufzunehmen,
    • Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch statt nach dem Asylbewerberleistungsgesetz,
    • Zahlung von Kinder-/Erziehungsgeld, BAföG etc. unabhängig von Aufenthaltsstatus
  • Die Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte und Gesundheitsleistungen nach dem Katalog der gesetzlichen Krankenkassen für alle.

4. Schaffung legaler und sicherer Fluchtwege statt Push-Backs

  • die Erteilung von humanitären Visa insbesondere für vulnerable Schutzsuchende
  • die Verabschiedung von Landes- und Bundesaufnahmeprogrammen für Schutzsuchende,
    • die Angehörige oder Freunde in Deutschland bzw. Niedersachsen haben,
    • die besonders gefährdet sind (Ortskräfte, Menschenrechts-aktivist:innen, Frauen etc.),
    • die an den Außengrenzen der Europäischen Union in „Hotspots“ im Elend festgesetzt werden.
  • die Wiedereinführung eines Rechts auf Familienleben für Geflüchtete: Schutzberechtigte Familien müssen zusammengeführt werden.
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