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Flix über "Spirou in Berlin" "Ich möchte Frauenfiguren in Comics haben"

Spirou und Fantasio erreichen das Palasthotel in Ost-Berlin, das inzwischen abgerissen wurde.

Spirou und Fantasio erreichen das Palasthotel in Ost-Berlin, das inzwischen abgerissen wurde.

(Foto: Flix / Carlsen Verlag 2018)

"Spirou" gehört neben "Tim und Struppi", "Lucky Luke" und "Asterix" zu den großen Klassikern des frankobelgischen Comics. Erstmals legt nun ein deutscher Zeichner einen Band der Reihe vor: "Spirou in Berlin" (hier gibt's die Besprechung). Unter dem Motto James Bond trifft "Das Leben der Anderen" erzählt Flix eine Geschichte aus der geteilten Stadt. Im Interview mit n-tv.de spricht er über seine Motivation, das Problem, eine Diktatur darzustellen, den Männer-Überhang bei "Spirou" und eine ganz spezielle Nasenform.

n-tv.de: Ein "Spirou"-Band, der in Deutschland spielt und von einem deutschen Zeichner stammt - das ist eine doppelte Premiere. Wie kam es dazu?

Flix: Klaus Schikowski, der Comic-Chef des Carlsen-Verlags, und ein Redakteur des französischen "Spirou"-Verlags Dupuis hatten die Idee, dass Spirou und Fantasio mal nach Deutschland reisen könnten, wo sie noch nicht waren. Und dann kam die Idee: Wenn man von Berlin erzählt, dann durch einen deutschen Zeichner. Dieses Konzept ist neu, das hat es in der Reihe bisher noch nicht gegeben.

Angesichts der weltweiten Bekanntheit von Spirou musste es vermutlich eine Geschichte sein, die nicht nur für deutsche Leser funktioniert.

Spirou und Fantasio verschlägt es in die DDR.

Spirou und Fantasio verschlägt es in die DDR.

(Foto: Flix / Carlsen Verlag 2018)

Mir war wichtig, eine Geschichte zu machen, für die man möglichst wenig Vorwissen braucht, also weder über die DDR noch über Spirou. Es war mir außerdem wichtig, eine Geschichte zu finden, die so auch nur in Berlin spielen kann. Damit es für Leute, die Berlin ein bisschen kennen, interessant ist, aber auch erschließbar genug für Leute, die Berlin nicht kennen und für junge Leser, die die DDR nicht erlebt haben. Für die heute 15- oder 20-Jährigen ist die DDR nicht mehr so ein Begriff. Deshalb gibt es auch eine Seite, die einige Grundlagen erklärt.

Es ist eine Gratwanderung, einen Abenteuercomic zu machen, der lustig sein soll, andererseits aber in einer Diktatur spielt, die es wirklich gab und die viele noch erlebt haben.

Ja, das war eine der großen Herausforderungen: Wie erzähle ich von der DDR, ohne zu verschweigen, was für ein Staat das war, bewahre aber gleichzeitig den Charakter der Serie? Deswegen hatten wir irgendwann das Schlagwort: James Bond trifft "Das Leben der Anderen". Also ein Abenteuer wie James Bond, mit einem Superschurken, der das ganz große Ding drehen will. Aber auf der anderen Seite gibt es auch eine ganz reale Bedrohung. Mir war wichtig, diese Bedrohung in der DDR nicht weg zu witzeln, sondern sie zu zeigen. Das macht das Abenteuer natürlich weniger komisch als man es von anderen "Spirou"-Bänden gewohnt ist, aber bei Emile Bravo habe ich gesehen, dass die Serie das kann.

Bravo zeigt in "Porträt des Helden als junger Tor" den jungen Spirou in Brüssel, zu Beginn des Zweiten Weltkriegs. Wie dort auch steht in "Spirou in Berlin" der typische fantastische Moment der Reihe eher im Hintergrund.

Ja, weil ich mich auf ein historisches Feld begebe. Und das stand für mich im Vordergrund. Es muss in diesen historischen Kontext passen. Deshalb kann ich auch nicht auf einmal sagen: Spirou ist der Grund, warum die Berliner Mauer geöffnet wird.

Aber er kann das beeinflussen.

Flix heißt eigentlich Felix Görmann und lebt und arbeitet in Berlin. Zu seinen Büchern gehören "held", "Da war mal was...", "Faust", "Don Quijote" und "Schöne Töchter". Mehrfach wurde er für seine Werke ausgezeichnet.

Flix heißt eigentlich Felix Görmann und lebt und arbeitet in Berlin. Zu seinen Büchern gehören "held", "Da war mal was...", "Faust", "Don Quijote" und "Schöne Töchter". Mehrfach wurde er für seine Werke ausgezeichnet.

(Foto: Carlsen Verlag by Mari Boman)

Spirou ist jemand, der sich für friedliche Lösungen einsetzt, das verbindet man mit dem Charakter. Wenn er mit diesem Ansatz jemand anderen beeinflusst, dann passt das wieder zur DDR, zur friedlichen Revolution. So hat Spirou sozusagen seinen Anteil daran, dass die Mauer geöffnet wird. Wenn eine Comicfigur sich für ein friedliches Europa einsetzt, dann bleibt das im Idealfall auch bei den Leserinnen und Lesern hängen. Das fände ich super.

Spirou als der unbestechlich Gute schiefgehen

Ja, das bringt die Figur mit, deshalb kann man das in diesem Kontext einbinden. Wobei Spirou zwar die Hauptfigur ist, aber eigentlich braucht es den Reporter Fantasio, um die Abenteuer zum Laufen zu bringen. Nur durch ihn können sie um die Welt reisen und etwas erleben. Spirou wird dann eher mit reingezogen. Er ist ein klassischer Held und damit auch ein bisschen langweilig. Ich musste beim Schreiben aufpassen, dass Spirou die Hauptfigur bleibt, und nicht Fantasio oder Momo, die junge Frau, die sie in Ost-Berlin treffen.

Die klassischen franko-belgischen Serien, von "Tim und Struppi" bis "Asterix", sind alle männlich dominiert. Da ist es sicher kein Zufall, dass Momo weiblich ist.

Das ist hier total schwierig: Spirou ist ein Mann, Fantasio ist ein Mann, der Graf ist ein Mann, Zantafio ist ein Mann, selbst das Eichhörnchen ist ein Mann. Die kann ich nicht einfach verweiblichen. Aber es gibt für mich zwei Gründe, warum ich das aufbrechen wollte. Der eine ist: So kann man heute nicht mehr erzählen. Ich bin Vater von Töchtern, ich möchte Frauenfiguren in Comics haben. Und der zweite ist: Ich verbinde mit der DDR starke, eigenständige Frauen. Frauen, die arbeiten und gleichberechtigt im Wirtschaftsleben stehen. Ich habe auch gelesen, dass die Friedensgruppen stark weiblich geprägt waren. Momo ist ja ein Teil von so einer Gruppe.

Momo ist aber auch eine Figur, die anfangs dazu neigt, zu Gewalt gegen die Stasi zu greifen.

Figurenstudien von Spirou, Fantasio und Eichhörnchen Pips.

Figurenstudien von Spirou, Fantasio und Eichhörnchen Pips.

(Foto: Flix / Carlsen Verlag 2018)

Wir haben lange über diesen Aspekt diskutiert, ob Momo Bomben bauen darf oder nicht. Wenn ich aber davon erzählen möchte, dass die friedliche Revolution ein Wunder ist, dann muss ich vorher zeigen, dass es auch hätte schiefgehen können. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand, der sich wie Momo ungerecht behandelt fühlt, keine Aggressionen hat.

Der große Gegenspieler in dem Band ist Zantafio, der böse Cousin von Fantasio. Er tritt in Uniform auf - ist er ein Stasi-Offizier?

Er arbeitet auf jeden Fall mit denen zusammen. Zantafio war es ja schon immer egal, für welches Regime er arbeitet. Als General Zantas war er Diktator in Südamerika und auch sonst schreckt er vor Machenschaften etwa mit der Mafia nicht zurück. Ihm geht es nur um Kohle, wie immer.

Wenn man bestehende Figuren wie Spirou, Fantasio oder Zantafio übernimmt, muss man sich auch an deren Gestaltung halten. Gab es einen Stylesheet vom französischen Verlag, also zeichnerische Vorgaben?

Einen Stylesheet gab es nicht, aber es gibt die früheren Alben, in denen man grundlegende Dinge wie das Aussehen erkennt. Zudem erscheint "Spirou in Berlin" als Einzelband, der nicht zur Hauptreihe gehört, und bei diesen Spezial-Bänden geht es darum, künstlerisch etwas auszuprobieren, eine größere graphische Bandbreite zu präsentieren.

Es gibt Skizzen, die Fantasio mit der für Sie typischen Quadernase zeigen. Jetzt im fertigen Band ist die weg.

Früher Entwurf für die Covervignette - Fantasio hat hier noch eine Quadernase.

Früher Entwurf für die Covervignette - Fantasio hat hier noch eine Quadernase.

(Foto: Flix)

Ich habe am Anfang einfach rumprobiert, um mich den Figuren anzunähern. Aber die Quadernasen wurden vom französischen Verlag tatsächlich rausgekürzt.

War es schwer, sich dann an Stupsnasen zu gewöhnen?

Ja, ich bin es halt einfach nicht gewohnt. Ich hab mir die Quadernasen irgendwann so angewöhnt, weil es einfach ist und weil es wiedererkennbar ist. Ich mache so viele verschiedene Sachen, da ist es gut, wenn man ein Erkennungsmerkmal hat.

Die Figur Spirou hat auch seine festen Erkennungsmerkmale wie die Haartolle und die rote Pagen-Uniform, obwohl er in seinen 80 Jahren viele verschiedene Zeichner hatte.

Das ist der Vorteil der Reihe, dass sie nicht von einem einzelnen Autor geführt wird, sondern verschiedene Zeichnerteams hatte. Im Grunde hat sich Spirou alle zehn Jahre verändert.

Aber der langjährige Zeichner André Franquin ist so etwas wie der Säulenheilige bei "Spirou", obwohl die Figur nicht von ihm ist. Warum?

Aus einem einfachen Grund: Er hat das ganze Universum entwickelt, das Städtchen Rummelsdorf erfunden, den Grafen und viele andere Nebenfiguren. Er hat gute, auch heute noch lesbare Geschichten geschrieben. Er hat der Reihe eine Richtung gegeben. Damit war das auf einmal klar und gesetzt, schön und erfolgreich.

Ist Franquin Ihr Favorit unter den Spirou-Zeichnern?

Je länger die Geschichte geht, desto mehr variiert Flix die Seitenarchitektur.

Je länger die Geschichte geht, desto mehr variiert Flix die Seitenarchitektur.

(Foto: Flix / Carlsen Verlag 2018)

Ich hab zwei Favoriten: Ich mag tatsächlich Franquin und ich mag das aktuelle Team sehr, also Yoann mit seinem Autor Fabien Vehlmann. Die letzten Alben sind gut, die haben wieder diesen Geist, die haben Tempo. Die haben auch diesen Wahnsinn, der Figuren wie Zyklotrop oder Zantafio, aber auch den Grafen von Rummelsdorf ausmacht. Außerdem finde ich ziemlich originell, was sie erzählen. Sie haben etwas modernes, weil sie jedes Album mit einem Cliffhanger beenden. Man fragt sich gleich, wie es weitergeht.

Haben Sie als Kind schon Spirou gelesen?

Ja. Das ist ein Grund, warum mich diese Anfrage so gefreut hat. Die Aussicht, mit diesem Universum arbeiten zu können, sich etwas ausdenken zu können, fand ich toll. Am Anfang war es ja wirklich nur ein Experiment. Es hätte auch passieren können, dass wir nichts hinbekommen, das war an mehreren Punkten der Entwicklung möglich.

Hatten Sie Respekt vor der Aufgabe?

Ja, total (lacht). In einem relativ frühen Stadium des Projekts habe ich mich mit dem Zeichner Ralph Ruthe zusammengesetzt, der ein super Skript-Doktor ist. Er sieht sehr schnell, wo eine Geschichte hakt, und hat schnell etliche Punkte rausgefischt, wo mein Skript noch nicht funktioniert hat. Am Ende des Treffens haben wir uns dann die großartigen Franquin-Alben angeschaut. Da wurde ich immer kleiner und dachte: Das schaffe ich nie. Aber das musste ich irgendwie ausblenden und mich Schritt für Schritt auf die Geschichte konzentrieren. Es ging ja nicht darum, ein Franquin-Album zu machen, sondern ein Flix-Album. Deshalb sind da Dinge und Lösungen drin, so wie ich sie machen würde.

War es eine Umstellung, im klassischen franko-belgischen Albenformat zu zeichnen?

Der sonnige Westen und der graue Osten - dieses Klischee löst Flix später auf.

Der sonnige Westen und der graue Osten - dieses Klischee löst Flix später auf.

(Foto: Flix / Carlsen Verlag 2018)

Das eigentlich Schwierige an dem Projekt war, mit so vielen Formen zurechtzukommen. Zum einen muss das Spirou-Universum korrekt dargestellt werden, gleichzeitig aber auch die DDR und Berlin. Es sollte eine Abenteuergeschichte sein, aber auch historisch. Und dann hat man die Wahl, es entweder auf 48 oder 56 Seiten zu machen. Da gibt es nicht eine Seite mehr oder weniger, es muss exakt diese Länge haben. Das heißt, man hat auch eine fest vorgegebene Dramaturgie, womit ich am Anfang Schwierigkeiten hatte. Ich habe gemerkt, so ein Album zu schreiben ist nochmal eine andere Herausforderung, als einen Zeitungsstrip oder eine lange, durchgehende Graphic Novel.

Interessant ist die Farbgebung: Auf einem Bild am Anfang ist Berlin zweigeteilt, vorn der sonnige Westen, hinter der Mauer der graue, regnerische Osten. Dieses Klischee wird später aufgelöst, da strahlt dann auch die DDR in leuchtenden Farben.

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Farbe spielt, wenn man über die DDR spricht, immer eine große Rolle. Bei jeder Verfilmung, sei es "Sonnenallee", "Good Bye Lenin" oder "Das Leben der Anderen", wird Farbe bewusst eingesetzt, weil so die Atmosphäre entsteht. Bei mir ist der "Goldene Westen", von dem man sprach, in Gelbtönen gehalten, die für das Gefühl von Freiheit stehen. Aber es gab auch in der DDR Menschen, die sich frei gefühlt haben, so wie es Menschen gab, die sich gefangen gefühlt haben. Ich habe versucht, diese Differenzierung mit der Farbgebung zu lösen. Deshalb ist etwa die Stasi-Zentrale grau und entsättigt, aber Momos Garten ist als Rückzugsort ins Private, als Ort der Freiheit dann wieder in goldenen Tönen gehalten.

Auch die Seitenarchitektur ist abwechslungsreich, vor allem mit Fortschreiten der Geschichte. Haben Sie da Ihre Erfahrungen aus der Stripserie "Schöne Töchter" eingebracht?

Ich versuche bei all meinen Geschichten, einen graphischen Kniff reinzubringen, der dazu passt. Und ich mag es, wenn man die Seitenarchitektur, also die Möglichkeiten des Comics nutzt. Ich habe häufig das Gefühl, dass gerade bei Alben diesbezüglich viel Standard produziert wird. Ich glaube, dass da mehr geht. Und durch die Erfahrung durch "Schöne Töchter" weiß ich, wie gut die Leser bei so etwas mitgehen. Es geht ja nicht darum, möglichst komplizierte Seiten zu machen, sondern darum, den Leserinnen und Lesern ein bestimmtes Lesegefühl zu geben.

"Spirou in Berlin" erscheint vorerst nur in Deutschland. Falls es auch in Frankreich herauskommt, wäre das für Sie auch ein Schritt auf einen wesentlich größeren Comicmarkt.

Das war auch ein Grund, dieses Projekt zu machen. Wenn man vom Comiczeichnen leben will, muss man größer denken. Das reicht sonst nicht, der deutsche Comicmarkt ist dafür zu klein. Im Moment geht das, aber es erfordert eine Menge Output. Also ist das Album ein Versuch, über Deutschland hinauszugehen.

Mit Flix sprach Markus Lippold.

Die Buchpremiere von "Spirou in Berlin" findet Ende August in Hamburg und Berlin statt, anschließend geht Flix im September und Oktober auf Tour.

Quelle: ntv.de

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