fzs kritisiert das „Netzwerk für Wissenschaftsfreiheit“

Dieses Netzwerk von etwa 70 Wissenschaftler*innen behauptet, die freie Forschung an Hochschulen in Deutschland werde von einer sogenannten Cancel Culture von links gefährdet. Wissenschaftler*innen müssten mit öffentlicher Diskreditierung und der Erstickung wissenschaftlicher Debatten rechnen. Diese Behauptung ist trotz vielfacher Wiederholung nicht belegbar. Sie hängt sich an einigen Vorkommnissen der letzten Jahre auf, ist aber in keiner Weise zu vergleichen oder gar gleichzusetzen mit den bisherigen Debatten zu Wissenschaftsfreiheit, die im Zusammenhang mit dem Agieren autoritärer Staaten gehalten wurden. Wenn in Istanbul der regierungsnahe Meile Bull als Präsident der Boğaziçi-Universität eingesetzt wird und bei Protesten Student*innen, Professor*innen und wissenschaftliche Mitarbeiter*innen mit Polizeigewalt und Verhaftungen konfrontiert werden, ist die Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit deutlich erkennbar. Wenn aber an der Uni Hamburg der AfD-Mitbegründer Bernd Lucke mit Protesten konfrontiert wird oder der Auftritt von Thilo Sarrazin an der Universität Siegen sogar nur diskutiert wird, kann man nicht von einer Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit sprechen. Hier wird dagegen protestiert, dass Rechtsaußen angesiedelten Personen im öffentlichen Raum der Hochschule eine Plattform geboten wird. Ein Bernd Lucke bezeichnet hier Kritik an seiner Lehre als eine Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit und nutzt die mediale Aufmerksamkeit, um sich zu inszenieren. Statt nun eine Debatte über Wissenschaftsfreiheit zu führen, müssten vielmehr Diskussionen über die Qualität der Lehre und Forschung geführt werden.

Proteste dagegen, dass oftmals menschenfeindlichen Positionen an Hochschulen eine Plattformen gegeben wird, sollten nicht nur auf Akzeptanz sondern explizit auch auf Unterstützung stoßen.

Dass aus Protesten gegen menschenfeindliche Positionen einiger Dozierender nun ein Druck zur Selbstkonformisierung abgeleitet wird, ist absurd. Stattdessen weisen Befragungsergebnisse selbst konservativer Gruppen wie der KAS auf andere Ursachen für Konformitätsdruck hin: Viel eher entsteht solch ein Druck in erster Linie durch prekäre Beschäftigungsverhältnisse, unter denen Wissenschaftler*innen an Hochschulen im Zuge neoliberaler Umgestaltung Finanzmittel für ihre Forschungsprojekte akquirieren müssen. Die Dauerbefristung etlicher Wissenschaftler*innen hat zur Folge, dass die Beschäftigten unter hohem Druck und ständiger Angst vor Arbeitslosigkeit arbeiten müssen. Diese Prekarisierung führt zu wenig Kontinuität, was sich unmittelbar negativ auf die Qualität von Forschung und Lehre auswirkt.

Die Behauptung einiger Mitglieder des Netzwerkes, wie bspw. Michael Sommer, Hochschulen würden die Wissenschaftsfreiheit ihrer Professor*innen nicht zu Genüge unterstützen erscheint schier lächerlich, wenn mensch sich die jüngsten Ereignisse an der Universität Hamburg ansieht. Wenn eine Universität pseudowissenschaftliche Papiere einer ihrer Professoren auf Twitter teilt, „um eine breite Diskussion“ zu erlauben, zeigen sich Probleme auf ganz anderer Ebene. Nicht nur hat hier ein Professor unwissenschaftliche Arbeit veröffentlicht, die Universität hat ihn hierbei sogar noch unterstützt. Einige Professor*innen der Universität haben sich bereits deutlich von den veröffentlichten Papieren distanziert. Dass die Unileitung dies noch nicht geschafft hat, zeugt von Angst vor dem Vorwurf der Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit.

Der fzs setzt sich für eine Stärkung der (Selbst)Kritischen Wissenschaft ein. Die Vorwürfe einer Cancel Culture dienen vor allem der Einschränkung von (legitimer) Kritik und demokratischer Meinungsäußerung. Die Machtverhältnisse, die zwischen Professor*innen und Studierenden bestehen, müssen in den Debatten mitgedacht werden.

Beschlossen auf der 66. Mitgliederversammlung des fzs