Wenige Tage vor seiner Amtsübergabe an Donald Trump hat US-Präsident Barack Obama der wegen Spionage verurteilten Whistleblowerin Chelsea Manning einen Strafnachlass gewährt. Sie soll nicht erst im Jahr 2045, sondern bereits am 17. Mai 2017 entlassen werden. 

Die unter dem Namen Bradley Manning bekannt gewordene Informantin hatte während ihrer Stationierung als Obergefreite im Irak Hunderttausende US-Armeedokumente und Depeschen von Militärrechnern heruntergeladen und der Enthüllungsplattform WikiLeaks zukommen lassen. Nach eigenen Angaben wollte sie damit eine öffentliche Debatte über die Kriege in Afghanistan und im Irak anstoßen. Im Mai 2010 wurde sie auf einem Stützpunkt nahe Bagdad festgenommen und im August 2013 zu 35 Jahren Haft verurteilt.

Der Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, Paul Ryan, nannte die Hafterleichterung "empörend". Chelsea Manning habe "das Leben der Amerikaner riskiert und einige der sensibelsten Geheimnisse der Nation entblößt", kritisierte der Republikaner am Dienstag nach der Verkündung. Obama setze damit einen Präzedenzfall: Wer die nationale Sicherheit kompromittierte, werde dafür nicht mehr zur Rechenschaft gezogen.

Die Betreiber der Enthüllungsplattform WikiLeaks lobten indes Obamas Entscheidung. Die Begnadigung könne das Leben der früheren Geheimdienstmitarbeiterin gerettet haben, hieß es in einer Mitteilung am Dienstag. Die Entscheidung mache ihr bisheriges Leiden in der Haft aber nicht wieder gut.

Julian Assange bot Auslieferung an

WikiLeaks Gründer Julian Assange bedankte sich per Twitter bei allen, die für die Hafterlassung der 29-Jährigen gekämpft hatten.

Vier Tage zuvor hatte er erstmals angekündigt, dass er eine Auslieferung an die USA akzeptieren würde. Er knüpfe sein Schicksal an das von Chelsea Manning: Sollte Obama die ehemalige Informantin der Enthüllungsplattform begnadigen, würde Assange trotz der "klaren Verfassungswidrigkeit" der gegen ihn erhobenen Vorwürfe einer Überstellung zustimmen, teilte WikiLeaks bei Twitter mit. Sein Tauschangebot erwähnte er nach Mannings Freilassung nicht mehr.

Assange hält sich seit Mitte 2012 in Ecuadors Botschaft in London auf. Der 45-jährige Australier war dorthin geflohen, um einer Festnahme durch die britische Polizei und schließlich einer Auslieferung an Schweden zu entgehen, wo er zu Vergewaltigungsvorwürfen befragt werden sollte. Letztlich fürchtete Assange aber stets, dass er an die USA überstellt werden könnte, wo ihm wegen der Veröffentlichung Hunderttausender geheimer Dokumente über WikiLeaks eine lange Haftstrafe droht. 

Der künftige Präsident Donald Trump und Mitarbeiter seines Teams hatten sich in den vergangenen Wochen wohlwollend über Assange geäußert – ein Novum in den USA, wo er bislang als Geheimnisverräter galt.

Bitte an Obama

Nach der Verurteilung hatte Bradley Manning angekündigt, sich ab sofort Chelsea zu nennen und als Frau leben zu wollen. Im April 2014 genehmigte ein US-Gericht die Namensänderung. Manning, die eine operative Geschlechtsangleichung will, hat in der Haft bereits zwei Mal versucht, sich das Leben zu nehmen. Einen Hungerstreik gab sie nach Angaben ihres Anwalts im September auf, nachdem ihr für die nähere Zukunft eine Operation zugesagt worden war.

Im November 2016 bat sie schließlich US-Präsident Barack Obama um eine Verringerung ihrer Strafe. Der scheidende Präsident möge dafür sorgen, dass sie nach sechs Jahren aus der Isolationshaft im Militärgefängnis in Fort Leavenworth im Bundesstaat Kansas entlassen werde, schrieb Manning im November.

Bürgerrechtsaktivisten hatten die 35-jährige Haftstrafe als viel zu harsch kritisiert und dabei auch auf Mannings fragilen mentalen Zustand verwiesen. Unter dem Slogan "#HugsForChelsea: Give Chelsea Manning A Hug" entstand zudem eine Petition, die sich für die Strafverringerung einsetzte. "The clock is ticking. Let’s show the President how much support Chelsea has, and how many people are waiting for her to be released. She has suffered so much. We want to give her a hug", heißt es auf actionnetwork.org.

Mit der Petition #HugsForChelsea soll Chelseas Haftstrafe gemindert werden. © actionnetwork.org

Manning ist der bekannteste Name auf einer Liste von 64 Begnadigungen und 209 Straferlässen, die Obama zu Ende seiner am 20. Januar 2017 ablaufenden Amtszeit gewährte. Der im russischen Exil lebende Geheimdienstinformant Edward Snowden, über dessen Begnadigung spekuliert worden war, steht nicht darauf. Nach offiziellen Angaben hat Obama bisher für insgesamt 1.385 Gefangene einen Straferlass ausgesprochen, 212 sind begnadigt worden.

Puertoricaner feiern Begnadigung ihres Freiheitshelden

Zeitgleich mit Chelsea Manning erließ Obama unter anderem dem 74-jährigen Nationalisten Oscar López Rivera die Haftstrafe. In dessen Heimat Puerto Rico wurde die Entscheidung mit Hupkonzerten und spontanen Partys die ganze Nacht hindurch gefeiert. López' Anwältin Jan Susler sagte der Nachrichtenagentur AP, ihr Mandant sei sehr dankbar über die Entscheidung. "Morgen ist der Geburtstag meiner Tochter", habe er gesagt. "Was für ein wunderbares Geschenk für sie."

López war für seine Rolle in den Unabhängigkeitskämpfen Puerto Ricos gegen die USA zu 55 Jahren Haft verurteilt worden, 35 davon hat er bereits abgesessen. Er gehörte einer Gruppe von Ultranationalisten an, die sich in den siebziger und achtziger Jahren zu mehr als hundert Bombenanschlägen auf Gebäude in den Vereinigten Staaten bekannten.